Gewitter. Christa Dautel

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Название Gewitter
Автор произведения Christa Dautel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754176306



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      Christa Dautel

      Gewitter

      Kurzgeschichten

      Dieses ebook wurde erstellt bei

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Gewitter

       Allein

       Elisabeth

       Die Anzeige

       Der Juwelier

       Antworten

       Eine lange Reise

       Wohin

       Meine Spinne

       Impressum neobooks

      Gewitter

      Die ersten Tropfen fielen, zuerst langsam, wie zögernd, nur für wenige Sekunden kleine Pünktchen auf dem Boden, aber Thomas wusste, dass der Gewitterregen gleich mit voller Wucht einsetzen würde. Er kannte die Gewitter hier in den Bergen, es war ein faszinierendes Schauspiel, die Blitze zu beobachten, wie sie in rasendem Zickzack den Himmel erleuchteten. Er zählte langsam 21, 22, 23, der Abstand zwischen Blitz und Donner wurde immer kürzer. Mit dem Näherkommen des Gewitters begann es heftig zu regnen. Schnell brachte er seine Bücher, in denen er geblättert hatte, in Sicherheit und setzte sich wieder auf die Bank vor dem Haus.

      Ein starker Wind war aufgekommen, der den Regen wie in großen Wellen gegen das Haus peitschte. Es störte ihn nicht, dass er nass wurde, er bemerkte es kaum, so sehr faszinierte ihn das Toben der Natur. Er hatte den Eindruck, dass das Gewitter in den Bergen hängen blieb, Blitz und Donner kamen jetzt beinahe gleichzeitig. Dieses Haus steht schon seit über 100 Jahren, dachte Thomas, es wird auch diesem Unwetter standhalten.

      Es war ein sehr warmer Herbsttag gewesen, eigentlich viel zu warm für diese Jahreszeit, er hatte schon den ganzen Tag gespürt, dass ein Gewitter heraufziehen und diese Schönwetterperiode beenden würde. Bald würde er seine Zelte hier abbrechen müssen, es würde vielleicht noch ein paar wenige Tage wie diesen geben, aber hier oben würde der Winter nicht mehr lange auf sich warten lassen.

      Thomas liebte den alten Bauernhof, es war sein Refugium geworden, hier hatte er die Ruhe, die er zu Hause so sehr vermisste. In seinem Haus in Berlin war es immer laut, ständig kamen Freundinnen von Gisela, nur auf einen kleinen Kaffee, sagten sie immer, aber dieser Kaffee dauerte endlos. Sie saßen meist in der Küche an dem großen, blank gescheuerten Holztisch. Ihre lautstarke Unterhaltung und ihr Gelächter drangen bis in sein abgeschottetes Arbeitszimmer.

      Früher, als die Töchter noch im Haus lebten, war es noch turbulenter gewesen, aber damals war er selten zu Hause gewesen. Er war oft wochenlang auf Geschäftsreisen in den USA und in Fernost, und wenn er in der Stadt war, war er von frühmorgens bis spätabends in der Firma gewesen. Und am Abend herrschte Ruhe im Haus, da hatte er sich mit seiner Frau verständigt: Er rief an, bevor er nach Hause fuhr, so dass sie Gelegenheit hatte, aufzuräumen und ihm die Stille und Ruhe zu verschaffen, die er erwartete.

      Seit er vor einigen Jahren in Pension gegangen war, konnte er dem Trubel nicht mehr so leicht entfliehen. Natürlich waren die Töchter inzwischen erwachsen und waren aus dem Elternhaus ausgezogen, aber laut waren sie immer noch und sie kamen häufig auf einen kurzen Besuch vorbei. Seine Frau schien den Trubel zu genießen, wie er immer wieder staunend und befremdet wahrnahm.. Er selbst war eher ein Einzelgänger. Für ihn waren Menschen, die immer jemanden um sich haben mussten, die nicht alleine sein konnten, ein Rätsel.

      Das Gewitter verzog sich allmählich, der Donner entfernte sich immer mehr, bis nur noch ein leises Grummeln zu hören war. Thomas ging hinein, es war kalt geworden. In der Stube hatte sich die Wärme des Tages noch gehalten. Mit einem Glas Wein, das er sich in der Küche geholt hatte, setzte sich Thomas an den Tisch in der Stube. Er wollte noch nicht ins Bett gehen, er wollte jede Minute hier oben noch genießen.

      In seiner Firma wurden alle leitenden Angestellten mit 60 Jahren nach Hause geschickt, er hatte das immer gewusst und doch heimlich gehofft, für ihn würde diese Regelung nicht gelten. Als er dann doch mit 60 aufhören musste, war er in ein tiefes Loch gefallen, er war nicht darauf vorbereitet gewesen und wusste nicht, was er mit seiner Zeit anfangen sollte.

      Gisela hatte ihn immer wieder gedrängt, sich mit seinen früheren Kollegen zu treffen, so wie er es vor seiner Pensionierung auch getan hatte. Aber was sollte er mit denen denn reden, die Firma war immer ihr Thema gewesen, über Persönliches hatten sie nie gesprochen. Er wusste, dass sich die Kollegen regelmäßig trafen, hin und wieder auch gemeinsame Radtouren über mehrere Tage machten, einmal sind sie sogar bis zur französischen Atlantikküste geradelt. Sie hatten ihn immer wieder gefragt, ob er nicht mitkommen wolle, er hatte, obwohl er sehr gerne mit dem Rad unterwegs war, immer abgelehnt. Auf Giselas Fragen, warum er diese Kontakte so abrupt abgebrochen habe, konnte er keine Antwort geben, er wusste es selbst nicht so genau.

      Die Tage waren in einem gleichgültigen Einerlei verlaufen, er hatte oft nicht einmal gewusst, welcher Wochentag gerade war. An manchen Tagen wollte er gar nicht aufstehen, er wusste nicht, was er mit diesem Tag anfangen sollte, das Leben war so sinnlos geworden, er könnte genauso gut einfach im Bett liegen bleiben. Die Tage im Büro waren ausgefüllt gewesen, er hatte eine wichtige Funktion gehabt, er war in der Firma und darüber hinaus in der gesamten Branche angesehen, aber das war alles vorbei. Jetzt war er für niemanden mehr wichtig, niemand interessierte sich noch für ihn.

      Zufällig hatte er in der Zeitung eine Annonce entdeckt: Alter aufgelassener Bauernhof im Allgäu, Traumlage, phantastischer Bergblick, renovierungs-bedürftig zu verkaufen. Als er diese Anzeige gelesen hatte, war er wie elektrisiert aufgesprungen und zu Gisela gegangen. Er hatte ihr die Annonce gezeigt und gesagt, sie könnten doch gemeinsam dorthin fahren und sich das Haus ansehen. Er wusste selbst nicht so genau, warum er sie fragte, ob sie mitkommen würde. Seine Liebe zu den Bergen hatte sie nie geteilt und so war er von ihrer Antwort nicht überrascht: „Fahr du mal alleine hin, du weißt, es zieht mich nicht in die Berge. Außerdem habe ich unserer Tochter versprochen, beim Umzug zu helfen“.

      Wortlos war er in sein Arbeitszimmer gegangen, er hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und seine finanziellen Möglichkeiten geprüft. Nach gründlichen Berechnungen kam er zu dem Schluss, wenn er den Kaufpreis noch ein wenig drücken und sie beide sich ein klein wenig einschränken würden, dann wäre es möglich, den Hof zu kaufen.

      In einem kurzen Gespräch legte er Gisela seine Pläne dar. Sie hatte etliche Einwände vorgebracht, er hatte sich aber nicht davon abbringen lassen, den Makler angerufen und schon für den nächsten Tag einen Besichtigungstermin vereinbart.

      Am nächsten Morgen war er sehr früh losgefahren. Er fühlte sich gut wie lange nicht mehr, er hatte ein Ziel, eine Idee, die er verfolgen konnte. Mit dem Allgäu waren für ihn Kindheitserinnerungen verbunden, mit seinen Eltern war er fast jedes Jahr dort gewesen, zum Wandern aber auch im Winter zum Skifahren. Mit dem Allgäu verband sich für ihn die Erinnerung an eine fröhliche, unbeschwerte Kindheit.

      Thomas