Название | Morgensonnenschein |
---|---|
Автор произведения | Alina Haag |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754928622 |
Ein Schauder ging durch die Menge wie ein kühler Windhauch. Ich betrachtete die anderen Preisrichter und bemerkte in ihren Augen die gleiche Kälte, die ich auch in den Augen und der Stimme des Wortführers gefühlt hatte. Eine Frau, die links von diesem saß, holte eine lange Pergamentrolle hervor und der eigentliche Teil der Zeremonie begann. Die Preisrichterin verlas die Namen der einzelnen Kinder, ein Elternteil trat zusammen mit dem Baby vor die Tribüne und die Preisrichter bestimmten seinen Preis. Bei den ersten Kindern, die vor allem von Familien aus Coalman stammten, passierte nichts Außergewöhnliches. Sie alle hatten einen Preis, der sie in die Schicht ihrer Eltern einstufte, also einen zwischen null und 150, nur das Baby des Ehepaars, welches neben uns saß, hatte einen Preis von 459, der es in die 2. Schicht einstufte, was wiederum einigen Wirbel vor allem seitens der Eltern auslöste. Als die Mutter wieder Platz genommen hatte, schaute ich kurz in ihr tränenüberströmtes Gesicht. Es war hart das erste Kind an eine andere Schicht zu verlieren, aber wenigstens war es die zweite Schicht und nicht die vierte. Dann waren wir an der Reihe.
„Turris“, ließ die emotionslose Stimme der Frau verlauten.
Ich stand auf, um meine Mutter vorbei- und damit aus der Reihe treten zu lassen, als sich mein Blick mit dem des obersten Preisrichters kreuzte. Ich hörte in diesem Augenblick die Luft schier vor Spannung knistern und noch viel später, als ich längst wieder saß, fragte ich mich, ob er in dieser Sekunde mein Geheimnis erraten haben könnte. Während ich sekundenlang mit Schwindel und der Angst, die mir wie ein Stein im Magen lag und das Atmen erschwerte, kämpfte, durchquerte meine Mutter mit dem kleinen Leo den Raum und stand nun vor den Preisrichtern, auf dem Wappen von Stones. Sie hielt Leo etwas von sich weg, seine Füßchen hingen in der Luft, sein Gesicht musste bei der Zeremonie gut sichtbar sein. Der oberste Preisrichter lehnte sich langsam nach vorne. Er runzelte die Stirn und ein Glühen trat in seine grünen Augen. Ich stellte mir ängstlich vor, wie er damit die rehbraunen Augen meines Bruders wie mit Messern durchstach. Mehrere Sekunden verharrte der Würdenträger in dieser Position, dann lehnte er sich zurück. „Der Sohn der Turris hat einen Preis von 276.“
Die anderen Preisrichter nickten zustimmend. Mein Herz hüpfte vor Freude auf und ab und als meine Mutter sich zu uns umdrehte, sah ich den gelösten Blick in ihren Augen zusammen mit einem freudigen Funkeln, das ich schon allzu lang nicht mehr gesehen hatte und das mich noch breiter grinsen ließ. Als meine Mutter wieder auf ihrem Platz war, umarmte sie zuerst meine Schwester und dann mich, um dann dem Rest der Zeremonie, von der ich durch den Schleier des Glücks fast nichts mitbekam, mit einem Lachen auf den Lippen beizuwohnen. Nachdem der letzte Preis bestimmt worden war, erhob der mittlere Preisrichter abermals die Stimme. „Und nun, nachdem die Preise bestimmt worden sind, singen wir zum Abschluss die Hymne unseres Stones!!“
So erhoben wir uns alle, meine Schwester mit einem Stöhnen auf den Lippen, und sangen ein getragenes Lied in Moll, in dem es vor allem um die Preisrichter ging, die die Ordnung in der Welt bewahrten und deshalb höchste Ehren verdienten. Nach der Hälfte des Liedes bewegte ich nur noch die Lippen und da viele andere meinem Beispiel folgten, sang am Ende nur noch ein kläglicher Teil der Anwesenden. Ein stiller Protest war es, ein Aufbäumen gegen das System. Als die letzten Töne verklungen waren, löste der oberste Preisrichter, dem unser Widerstand nicht entgangen war, die Versammlung auf, stieg von der Tribüne hinab und verschwand, die anderen Preisrichter im Schlepptau, durch die unscheinbaren Tür, die sich hinter dem letzten von ihnen schloss. Sofort erhob sich der Lärm vieler aufstehender Menschen, die alle versuchten, als erste den Saal zu verlassen. Zwischen dem allgemeinen Gerede war immer wieder das Geschrei der Babys und das Schluchzen der Eltern zu hören, die ihr Kind verlieren würden.
Kapitel 5
Mit hastigen Schritten liefen wir den langen Gang zurück zur Eingangshalle. Nachdem wir einige Zeit gewartet hatten, waren wir mit ein paar anderen Nachzüglern in Richtung des neuen Diamond Towers aufgebrochen. Neu wurde dieser Teil des Hauptquartiers der Preisrichter genannt, weil er im Vergleich zum schon nahezu antiken alten Hauptquartier, dessen Zentrum der Zeremoniensaal, aus dem wir gerade kamen, bildete, noch recht neu wirkte. Im eigentlichen Diamond Tower mussten wir noch Leos Papiere holen, bevor wir wieder nach Hause zurückkehren konnten. Als wir schließlich den Eingangsbereich erreichten, wandten wir uns nicht nach rechts, zur Eingangstür, sondern bogen in einen schmalen Raum hinter der weißen Wand mit dem Wappen der Preisrichter ein, in dem sich an der linken Seite zwei bronzene Aufzugstüren befanden. Die Verwaltung der Preisrichter, also Finanzen, Registrierung von Preisen und die große Kanzlei des Preisrichterrates, war im zweiten Stockwerk des Towers angesiedelt. Die Arbeitsplätze dort, die vom einfachen Schreiberling, über Sekretäre bzw. Sekretärinnen, bis zum Berater gingen, wurde von Menschen aus Pebble und einigen glücklichen Ardesianern bekleidet, wobei es als große Ehre galt, für die Preisrichter zu arbeiten. Meine Mutter hatte wohl schon auf den blank polierten Knopf, der mich etwas an eine edle Hausklingel erinnerte, gedrückt, denn als ich meine Gedanken wieder auf die Gegenwart richtete, öffnete sich gerade die Aufzugstür und meine Mutter mit dem schlafenden Leo im Arm, meine Schwester und ich betraten diesen. Der Lift war wie alles andere natürlich wunderschön und von erlesenem Material, mit einem nun karamellfarbenen Boden und verspiegelten Seitenwänden, in denen ich mich als mittelgroßes Mädchen mit einem hoch sitzenden Zopf, dessen hellbraune Haarspitzen sich leicht lockig an mein Kinn legten, einem länglichen Gesicht mit breiten Augenbrauen und einem ausgewaschen grauen Kurzarmhemd über einem blauen Rock aus einem festen Stoff sah. Ein Duft nach eben derselben klebrigen Süßigkeit, die ich nur vom Sehen und Riechen her kannte, aber noch nie probiert hatte, lag in der Luft. Meine Schuluniform an meinem Körper leicht kritisch betrachtend spürte ich den Ruck, der sich bis in meinen Bauch auszuwirken schien und mir sagte, dass die Kabine wohl vom Boden gehoben worden war. Wir erreichten den zweiten Stock, die Türen öffneten sich und nicht zum ersten Mal an diesem Tag stockte mir der Atem auf Grund der immer wiederkehrenden Schönheit der oberen Viertel und ihrer Bauten, die trotz ihrer Beständigkeit und Vorhersehbarkeit für mich nichts an ihrem Scharm und ihrer Faszination verloren hatte. Unter dem Verwaltungsabteil hatte ich mir eine graue, mit dreckigen Teppichen ausgelegte, von Spanholzschreibtischen gefüllte und nur von vereinzelten staubbedeckten Zimmerpflanzen erhellte Bürolandschaft vorgestellt, also etwa wie das Verwaltungszimmer der Nähfabrik, in der meine Mutter arbeitete, nur eben in groß. Zu diesem Bild in meinem Kopf passten eindeutig nicht der glänzende hölzerne Boden, ein weiterer Empfangstresen zu meiner linken, das große bunte mit Ölfarben gemalte Unterwasserbild darüber, die samtigen, grün überzogenen Wartestühle auf der rechten Seite, deren zierliche Beine die gleiche Farbe wie der Boden hatten und die Frau, die ein smaragdgrünes Etuikleid trug, das gut zu ihren grünen Augen und dem langen rotbraunen Haar passte. Sie wartete bereits hinter dem brusthohen Tisch, da vor uns schon einige Familien dagewesen waren. Ihr junges und makelloses Gesicht sah gelangweilt aus und ich fragte mich, ob sie ihre Schönheit an dieser Stelle nicht verschwenden würde, doch dann fiel mein Blick auf ihren Preis und ich verstand. Einem Mädchen von solcher Schönheit standen in den gehobeneren Schichten doch einige Türen offen und für eins aus Ardesia, aus einer einfachen Familie, musste sich mit diesem Job eine ganz neue Zukunft eröffnen. Hinter ihrer Langeweile konnte ich ein Feuer der Hoffnung sehen, das durch eine Beförderung nur so mit Funken sprühen würde. Diese Erkenntnis, die mich mal wieder daran erinnerte, dass für die Preisrichter oft nur das Äußere zählte und dass die Menschen meiner Welt allgemein sehr oberflächlich waren, schließlich wurden man nur nach einem erblichen Preis beurteilt, war in weniger als zwei Sekunden zu mir durchgesickert und als ich sie mit einem Schauder über den Rücken abschüttelte, trat meine Mutter an den Empfangstisch heran. Sie hatte nichts von alldem mitbekommen und war darum bemüht, die Sache so gut es ging zu beschleunigen. „Hallo, mein Name ist Margo Turris. Ich war mit meinem Sohn bei der Zeremonie und möchte seine Papiere abholen.“
„Wenn sie mir bitte folgen mögen“, sagte die Frau mit gleichgültiger Stimme und zeigte mit einer Hand in einen Gang zu ihrer Linken, an dem mehrere Räume lagen und der, wie man erkennen konnte, in einiger Entfernung in ein großes Zimmer mündete.
„Wartet hier“, befahl uns meine Mutter mit einem Kopfnicken auf die grünen Polsterstühle gegenüber den Lifttüren und folgte der Frau, nachdem sie mir den weiterhin schlafenden Leo überreicht hatte.
Meine