RoadMovie. Hans-Joachim Mundschau

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Название RoadMovie
Автор произведения Hans-Joachim Mundschau
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844253122



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zu hören war. Dann schlich ich mich in Britts Zimmer, entkleidete mich und legte mich in der Unterwäsche aufs Bett. Morgen würde ein anderer Tag sein.

      *

      Ich erwachte, schaute auf meine Armbanduhr, es war halb vier. Ein Traum hatte mich geweckt.

      Ich saß wieder im Mathematikabitur und sollte eine Formel ableiten. Ich war dazu nicht in der Lage und schaute mich hilfesuchend um, aber alle Gesichter, in die ich sah, zeigten eine feindselige Leere. Der Prüfer schaute mich voller Schadenfreude an, so wie es mein letzter Mathematiklehrer immer getan hatte. Er war sehr viel kleiner als ich, hatte ungebändigte, wirre Haare, nicht der Typ, der bei Frauen ankam.

      Diesen Traum habe ich immer wieder. Ich erwache schweißgebadet und bin froh, in der jeweiligen Jetzt-Zeit zu sein.

      Gelegentlich hörte ich das Geräusch von vorbeifahrenden Autos. Es wurde schon langsam hell. Ich erinnerte mich, dass ich vor dem Einschlafen einen Entschluss gefasst hatte. Ich überlegte, ob ich mich von Inga verabschieden oder wie ein Dieb in der Nacht verschwinden sollte. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte. Sie hatte mich bei sich aufgenommen, hatte mir zugehört, war lieb zu mir gewesen. Ich hatte mich eher unangenehm benommen, hatte mich bei ihr breit gemacht, hatte ihr Angebot mit mir zu schlafen abgelehnt. Stattdessen hatte ich ihr vorgejammert. Alles in allem hatte ich ein schwaches Bild abgegeben.

      Ich schämte mich, ihr noch einmal unter die Augen zu treten. Ich stand auf, wechselte meine Unterwäsche, zog meine Klamotten an und packte meine Sachen zusammen. Mir fiel ein, dass ich ihr noch nichts für die Miete gegeben hatte und legte ihr 150 Mark aufs Bett. Ich warf noch einen Blick ins Zimmer, ob ich etwas vergessen hatte. Der Hut! Ich holte ihn von dem Haken hinter der Tür, wo ich ihn am Abend zuvor aufgehängt hatte. Dann schlich ich mich leise durch den Flur. Als ich die Wohnungstür leise hinter mir schloss, glaubte ich, freier atmen zu können. Ich trat vor das Haus, die ersten Vögel zwitscherten. Ich erinnerte mich an meine Studentenzeit in Mannheim, wenn ich frühmorgens nach einer durchzechten Nacht nach Hause ging. Die Luft hat um diese frühe Zeit eine ganz besondere Qualität. Alles scheint leichter zu sein. Es ist etwas dran, dass morgens um sieben – oder eher ein bisschen früher – die Welt noch in Ordnung ist.

      Im Auto legte schob ich Beethovens Sechste in den CD-Player. Ich lehnte mich zurück und ließ mich von der Musik tragen. Bilder kamen und gingen. Ich sah einen ähnlichen Film, wie ich ihn aus den Beschreibungen von Menschen kannte, die Nah-Tod-Erlebnisse gehabt hatten. Mein Leben zog an mir vorüber. Ich sah unglaublich präzise Einzelheiten, Ereignisse, die ich vergessen zu haben glaubte. Es waren auch welche darunter, die ich lieber nicht mehr in meinen Erinnerungen gehabt hätte. Das eine oder andere Bild wollte ich nicht loslassen, doch es entzog sich mir.

      Als ich aus dieser Zwischenwelt zurückkam, zeigte die Uhr auf dem Armaturenbrett halb neun. Ich hatte Hunger und Lust auf eine Tasse Kaffee. Für einen Moment dachte ich daran, zu Inga in die Wohnung zu gehen, mich zu entschuldigen und mit ihr zu frühstücken, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Alles hätte von vorne angefangen, die schlechten Gefühle, das schlechte Gewissen wäre wieder da gewesen. Ich wollte den Schlussstrich jetzt und hier ziehen.

      Ich ließ den Wagen an und fuhr los. An einer Ampel musste ich anhalten und da sah ich sie wieder. Patrizia stand in weißer Bluse und schwarzer Jeans vor einem Schaufenster. Über die Schulter gehängt trug sie eine dunkelblaue Ledertasche. Hinter mir hupte jemand, weil ich die Grünphase verschlafen hatte. Ich bog rechts ab und suchte einen Parkplatz, natürlich um diese Zeit aussichtslos. Ich fuhr einfach weiter, bis ich einen großen Parkplatz sah, fuhr aber dann doch vorbei.

      Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie ich auf sie zugehen, wie ich sie ansprechen sollte. Ich war immer noch nicht so weit. Ich fuhr ein gutes Stück aus der Stadt hinaus. Bei einem kleinen Landgasthof an der Straße hielt ich an. Vor dem Eingang standen mehrere Gartentische mit rot-weiß karierten Decken unter einem riesengroßen Laubbaum, von einem hinfälligen alten Holzzaun von der Straße abgesondert. Ich setzte mich an einen der Tische und wartete auf die Bedienung.

      Eine ältere Frau kam, grüßte freundlich und fragte, ob ich noch frühstücken wollte. Ich bestellte Kaffee und Rühreier mit Schinken und fragte nach einer Zeitung. Während ich wartete, saß ich auf meinem Stuhl und dachte an nichts. Ich spürte einen warmen Luftzug auf meiner Haut, genoss die Wärme der Sonne, empfand eine Leichtigkeit, die ich lange nicht mehr gekannt hatte.

      Als das Frühstück samt einer großen Kanne Kaffee kam, war es mir fast unangenehm, in meiner Ruhe gestört zu werden. Aber der Duft von Kaffee und Eiern holte mich zurück. Ich legte die Zeitung neben den Teller und vergaß die Zeit.

      Irgendwann nach zwei Brötchen und einer fast leeren Kaffeekanne und dem Sporttteil der Zeitung nahm ich meine Umwelt wieder wahr. Der Tag war atemberaubend schön. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück, schloss die Augen, spürte die Sonne auf meinen Lidern und sah das Rot, das ich immer sehe, wenn ich mit geschlossenen Augen in die Sonne schaue.

      „Hat’s Ihnen geschmeckt?“ fragte die nette Bedienung, und begann, das Geschirr abzuräumen. „Sind Sie auf der Durchreise?“

      „Eigentlich wollte ich ein wenig in dieser Gegend bleiben, aber ich habe noch nicht die passende Unterkunft gefunden. Vermieten Sie denn auch Zimmer?“

      „Wir haben ein paar Zimmer, aber bei uns übernachtet außer ein paar Stammgästen selten jemand von außerhalb. Wollen Sie’s sich mal anschauen? Wir haben auch ein schönes Einzelzimmer nach hinten raus.“

      „Ja, würde ich gerne tun. Mir gefällt’s hier.“

      „Ja, dann kommen Sie mir nach, ich muss nur schnell das Geschirr in der Küche abstellen.“

      Ich lief hinter ihr her in einen dunklen Flur, in dem es nach Äpfeln roch. „Warten Sie, ich komme gleich!“ Ich hörte sie in der Küche mit dem Geschirr klappern, und dann ging sie vor mir eine Treppe hoch, die ich in der Dunkelheit nicht wahrgenommen hatte. Es ging nicht sehr hoch hinauf zu einem langen Flur, der offensichtlich parallel zur Straße verlief. Auf beiden Seiten des Flures waren Türen zu den Zimmern, nahm ich an.

      „Ich denke, Sie schlafen lieber nach hinten hinaus, da ist es ruhiger. Ich zeige ihn mal ein Zimmer.“

      Sie öffnete eine der Türen und ließ mich eintreten. So hatte ich mir die Zimmer in Märchen immer vorgestellt. Ich sah ein Himmelbett mit blau-weiß karierten Kissen und Bettdecken. Am Fenster, das eine viergeteilte Scheibe hatte, stand ein kleiner Tisch mit rot-weiß karierter Tischdecke und einer Vase mit Schnittblumen, blaue Gerbera. Es gibt gar keine blauen dachte ich. Sie musste sie auf irgendeine Weise gefärbt haben. In der Ecke links neben dem Fenster stand ein kleiner Fernsehapparat auf einem Regal, in dem eine ganze Menge Bücher aneinandergereiht waren, deren Einbände sympathisch bunt aussahen. In der anderen Ecke stand eine Art Sekretär, an der freien Wand rechts ein riesiger Kleiderschrank aus altem Holz. Überall hing der Duft von Äpfeln in der Luft.

      Ich fragte nicht nach dem Preis. „Kann ich ein, zwei Wochen hier bleiben?“

      „Sie können bleiben so lange Sie wollen, wir haben keine Vorbestellungen. Wir haben regelmäßig ein paar Gäste, die für eine Firma in der Nähe arbeiten. Die werden Sie aber nicht stören. Die gehen früh ins Bett und sind auch früh aus dem Haus. Wir bieten auch Halbpension an, wenn sie das wollen. Sie können auch wählen, ob Sie mittags oder abends essen wollen.“

      „Ich glaube, Frühstück reicht mir erst mal. Ich weiß nicht, ob ich immer da sein werde. Kann ich gleich hier bleiben?“

      „Ja, natürlich, die Betten sind frisch gemacht. Die Matratze ist übrigens aus Latex, nicht, dass Sie glauben, Sie müssten auf einem Strohsack schlafen.“ Sie lachte, als Sie das sagte.

      Sie zog einen Schlüssel mit einem runden Metallanhänger aus der Tasche ihrer Schürze. „Hier, der passt auch für die Haustür. Wir schließen nach 21 Uhr ab. Und jetzt richten Sie sich erst mal ein. Hier ist übrigens das Bad.“

      Sie