Isabelle von Bayern. Alexandre Dumas d.Ä.

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Название Isabelle von Bayern
Автор произведения Alexandre Dumas d.Ä.
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754913567



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auch dies verstummte endlich ganz. Eine Stunde später war alles Schweigen und Finsternis.

      Wir verbreiteten uns etwas ausführlich über den Einzug der Königin Isabelle in Paris, über die Personen, welche sie begleiteten und über die Feste, welche bei dieser Gelegenheit gegeben wurden; das aber nicht blos, um dem Leser einen Begriff von den Sitten und Gebräuchen jener Zeit zu geben, sondern auch, um zu zeigen, wie, gleich dem ersten schwachen Quell der Flüsse, schwach und schüchtern jene verderbliche Liebe, jener tödliche Hass entstanden, die sich von dort herschreiben. Jetzt werden wir sie erblicken, wie sie bei jedem Winde sich regen, unter Stürmen und Widerwärtigkeiten anwachsen, und wie sie Frankreich so tiefe Wunden schlugen, wie ihr Übermaß jene unglückselige Regierung bezeichnete.

      II.

      Es gibt wohl keinen Romanschreiber oder Historiker, der nicht seine Betrachtungen über große Wirkungen aus geringen Ursachen angestellt hätte, und in der Tat ist es auch unmöglich, die Falten des Herzens oder die Tiefen der Geschichte zu erforschen, ohne darüber zu erschrecken, wenn man sieht, wie leicht ein unbedeutender Umstand, der unbemerkt vorüberging, als er sich zutrug, nach einer gewissen Zeit eine Katastrophe für ein Menschenleben oder für ein ganzes Reich sogar werden kann. Es ist daher auch für den Dichter, wie für den Philosophen vom höchsten Interesse, nach der vollendeten Katastrophe in deren Tiefe hinabzusteigen, wie in den Krater eines ausgebrannten Vulkanes, und sie dann in allen ihren Windungen und Verzweigungen bis zur Quelle zu verfolgen. Wahr ist es, dass die, welche durch ihren Geist zu dergleichen Forschungen getrieben werden, und sich ihnen mit Ausdauer und Leidenschaft hingeben, dabei Gefahr laufen, allmählich ihre älteren Begriffe gegen neuere umzutauschen, und je nachdem sie von der Flamme der Wissenschaft oder dem Sterne des Glaubens sich leiten lassen, werden sie aus gottesfürchtigen Leuten Atheisten, oder aus Irreligösen Gläubige; denn in der Verkettung der Umstände glaubt der Eine die phantastische Laune des Zufalls, der Andere die leitende Hand Gottes zu sehen. Der Eine sagt mit Hugo Foscolo: »Verhängnis«, der Andere mit Sylvio Pellico: »Vorsehung.« Dadurch sprechen sie die beiden Worte aus, welche man auch durch: »Verzweiflung« und »Ergebung« bezeichnen könnte.

      Wahrscheinlich durch die Verachtung dieser kleinen Umstände und sorgsamen Nachforschungen haben unsere neuern Historiker uns das Studium unserer Geschichte so trocken und ermüdend gemacht. In der Organisation der menschlichen Maschine sind nicht die Lebensorgane das Interessanteste, sondern die Muskeln, welche durch sie die Kraft erhalten und durch die zahllose Verzweigung der Adern ihnen das Blut zuführen.

      Dem oben ausgesprochenen Tadel wollten wir uns entziehen und laden dadurch vielleicht den entgegengesetzten auf uns; aber es ist unsere Überzeugung, dass keine Stufe der Jakobsleiter übersprungen werden darf, dass jedes Ereignis mit einem früheren zusammenhängt, und so viel es in unserer Gewalt steht, werden wir daher nie den Faden zerreißen lassen, der die kleinen Ereignisse mit den großen Katastrophen verknüpft, und unsere Leser dürfen ihm daher nur folgen, um sich durch die Irrgewinde des Labyrinthes zu finden.

      Diese Erklärung schien uns nötig beim Anfange eines Kapitels, das man sonst vielleicht als fremd für das betrachten möchte, was wir beschrieben, und ohne Zusammenhang mit dem, was kommen wird. Freilich würde man den Irrtum bald bemerkt haben, aber die Erfahrung macht uns zittern, dass man uns nach einzelnen Teilen beurteilt, ehe man uns ganz hat kennen lernen. Nach dieser Erklärung nun kehren wir zu unserm Gegenstande zurück.

      Fürchtet der Leser nicht, sich mit uns in die öden, finstern Straßen von Paris zu wagen, so führen wir ihn an die Ecke der Rue Coquillière und der Rue du Séjour. Kaum dort angelangt, sehen wir durch eine Seitentür des Hôtel de Touraine, welches später das Hôtel Orleans wurde, einen Mann heraustreten, der in einen weiten Mantel gehüllt war, dessen Kappe ihm über das Gesicht fiel, und deren man sich in jener Zeit bediente, wenn man unbekannt bleiben wollte. Nachdem dieser Mensch stehen geblieben war, um die zehn Glockenschläge zu zählen, welche eben von der großen Uhr des Louvre herüber tönten, erinnerte er sich ohne Zweifel, dass diese Stunde gefährlich sei, denn um nicht unvorbereitet zu fein, zog er das Schwert aus der Scheide, stützte die Spitze auf den Boden und bog die Klinge hin und her, als wolle er sich ihrer Tüchtigkeit versichern. Ohne Zweifel zufrieden mit dieser Prüfung, trat er seinen Weg an, in dem er mit dem Schwerte Funken aus den Steinen schlug und halb laut ein Lied vor sich hin summte.

      Wir wollen ihm durch die Rue des Etuves folgen, können es aber nur langsam thun, denn an dem Heiligenbilde der Ecke blieb er stehen, ein Gebet zu sprechen; nach dessen Beendigung fuhr er in seinem Gesange fort, wo er stehen geblieben war, verfolgte die Rue Saint Honoré und sang immer leiser, je mehr er sich der rue la Ferronnerie näherte; in dieser angelangt, verstummte er ganz und ging leise an der Mauer des Kirchhofs der Saints Innocens hin; als er ungefähr Dreiviertel derselben zurückgelegt hatte, wendete er sich plötzlich, ging quer über die Straße, blieb vor einer niedrigen Tür stehen und that drei leise Schläge daran. Er schien erwartet worden zu sein, denn man antwortete ihm so gleich:

      »Seid Ihr es, Meister Ludwig?«

      Auf seine bejahende Antwort öffnete sich behutsam die Tür und schloss sich sogleich hinter ihm.

      In dem Hause blieb die Person, die wir hier Meister Ludwig nennen hören, stehen, steckte das Schwert wieder in die Scheide, warf seinen Mantel über der Führerin Arm und erschien in einem einfachen, aber eleganten Kleide. Sein Anzug war der eines Stallmeisters aus gutem Hause, es bestand aus einem Barett von schwarzem Samt und einem Wams von demselben Stoff und gleicher Farbe; die Ärmel waren vom Handgelenke bis zur Schulter aufgeschlitzt und ließen enganliegende grüne Unterärmel sehen; ein enganliegendes Beinkleid von violettem Zeuge vollendete den Anzug. Auf dem einen Schenkel trug er ein Wappen mit drei goldenen Lilien und darüber eine herzogliche Krone.

      Als Meister Ludwig sich von dem Mantel befreit sah, widmete er, obgleich er weder Licht noch Spiegel hatte, einige Augenblicke seiner Toilette, und erst, nachdem er sein Collet glatt gezogen und sich die Haare aus der Stirn gestrichen hatte, dass sie glatt und anmutig auf die Schultern herabfielen, sagte er in leichtem Tone:

      »Guten Abend, Amme Jehanna; Ihr seid eine gute Wächterin, ich danke. Was macht Eure junge Gebieterin?«

      »Sie wartet Eurer!«

      »Es ist gut, hier bin ich. In ihrem Kämmerlein, nicht wahr?«

      »Ja, Meister.«

      »Ihr Vater?«

      »Schläft.«

      »Gut!«

      Die Spitze seines Schnabelschuhes traf in diesem Augenblicke die erste Stufe der Wendeltreppe, welche in die oberen Stockwerke des Hauses führte, und obgleich es ganz dunkel war, stieg er die Treppe mit einer Leichtigkeit hinauf, welche zeigte, dass er hier bekannt sei. Im zweiten Stockwerk angelangt, sah er durch eine angelehnte Tür einen Lichtstrahl fallen; so gleich näherte er sich, drückte sie vollends auf und befand sich in einem Gemache, dessen Geräte den Mittelstand verrieten.

      Der unbekannte war auf den Zehen und unbemerkt eingetreten, und konnte so einen Augenblick das anmutige Gemälde betrachten, das sich ihm darbot.

      Neben einem Säulenbett mit Gardinen von grünem Seidenzeuge kniete ein junges Mädchen vor einem Betpulte; sie trug ein langes weites Gewand, dessen bis zur Erde herabhängende Ärmel schön gerundete Arme und zarte weiße Hände erblicken ließen, auf denen in diesem Augenblicke ihr Haupt ruhte; ihre langen, blonden Haare fielen in gefälligen Ringeln über die Schultern bis zu dem Boden. In ihrer ganzen Erscheinung lag etwas so Einfaches, so Himmlisches, so Ätherisches, dass man sie für ein Wesen aus einer andern Welt hätte halten können, wenn nicht unterdrücktes Schluchzen die Erdentochter verraten hätte, das Weib, das geboren und erschaffen ist, um zu leiden.

      Als der Unbekannte diese Tränen hörte, machte er eine Bewegung, und das junge Mädchen sah sich um. Regungslos blieb er stehen, als er sie so traurig und blass erblickte.

      Sie stand auf und näherte sich langsam dem schönen jungen Manne, den sie schweigend und verwundert kommen sah. Einige Schritte vor ihm blieb sie stehen und beugte ein Knie vor ihm.

      »Was macht Ihr, Odette