Schnitt. Carl Wolf

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Название Schnitt
Автор произведения Carl Wolf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754132708



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schaut auf den Zettel.

      „Sie haben eine neue Telefonnummer?“

      „Ja.“

      Berner nickt wieder. „Wollen sie meinen Wagen?“

      „Nein. Ich rufe ein Taxi. Bis später.“

      Beim Verlassen des Hauses biege ich links auf dem Grundstück ab. Versteckt, in einer wild wuchernden Hecke befindet sich ein kleines Schlupftor. Es ist selbstverständlich gesichert, aber die Alarmanlage habe ich abgeschaltet. Der Mietwagen steht am vereinbarten Ort, der Schlüssel liegt auf dem linken Vorderrad. Ich steige in den Wagen und warte was passiert. Das Handy mit der Ortungssoftware sendet seine Signale aus der oberen Schublade des Küchenschrankes.

      Dort wo die Messer liegen.

      44

      Der Fremde hat seinem Kastenwagen wieder unter den beiden uralten Kastanien geparkt. Das Versteck hat sich schon einmal bewährt. Die Dämmerung setzt ein. Der Himmel ist komplett mit Wolken verhangen und es beginnt zu regnen. Kein Mond, kein Licht. Perfekt denkt der Fremde.

      Morgen erwartet der Auftraggeber seinen Bericht.

      Was soll jetzt noch schiefgehen?

      Ihn überkommt ein Niesreiz, aber er hat gelernt so etwas zu unterdrücken. Es gelingt ihm. Jedes ungewöhnliche Geräusch kann sein Versteck auffliegen lassen. Er lehnt sich im Autositz zurück und schaut auf die beleuchteten Fenster von Nordens Wochenendhaus. Er zückt sein Smartphone und vergewissert sich. Das GPS-Signal blinkt als roter Punkt auf der Karte. Ungefähr fünfzig Meter von ihm entfernt. Er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

      Bis gleich, Konrad Norden!

      Diesmal kam der Niesreiz zu plötzlich und vehement stößt die Luft durch seine Nase nach außen.

      Es hat niemand gehört.

      45

      Ich habe nicht im Geringsten die Absicht, mich heute Abend mit meiner Buchhaltung zu befassen.

      Die Buchhaltung kann mich mal!

      Ich will wissen, wer mich attackiert.

      Aus dem Wagen habe ich durch eine Lücke in der Hecke die Hinterseite meines Hauses im Blick und kann durch die beleuchteten Fenster sehen, was im Haus vorgeht. Berner sitzt am Schreibtisch und liest in den Unterlagen.

      Manchmal muss man wie beim Schach Bauernopfer bringen. Berner ist mein Bauer.

      Ich hoffe, dass heute gespielt wird.

      46

      Rolf Witten kannte die Stadt wie seine Westentasche, war hier geboren, aufgewachsen, mehrfach umgezogen, arbeitete in ihr und hatte sie, bis auf ein paar Urlaubsreisen und Weiterbildungen nie verlassen.

      Er liebte und hasste sie gleichzeitig.

      Witten kannte jede Straße und seine Erinnerungen waren größtenteils mit den Fällen verknüpft, die er dort zu lösen hatte.

      Lindenstraße, Einbruchsserie; Marktallee, Körperverletzung; Burgweg, Mord aus Eifersucht; und so weiter und so fort.

      Der Stadtteil, in dem er sich jetzt befand, war vorwiegend durch Kindheitserinnerungen geprägt. Früher war hier nur Wald. Hier stromerte er als Heranwachsender herum, baute mit seinen Kumpels Höhlen, jagte Eichhörnchen und Kaninchen, ohne jemals eins zu fangen. Hier gab es Prügel mit der verfeindeten Bande, gab es den ersten Kuss.

      Jetzt ist alles anders. Die Nachfrage nach Bauland versprach der Stadtverwaltung viel Geld. Es wurde gerodet, erschlossen und verkauft.

      Nun stehen hier die Villen der Neureichen. Typen wie Konrad Norden nahmen sich ein Stück der Welt für sich allein. Erinnerungen kann man zum Glück nicht verkaufen.

      Witten hatte seinen Wagen etwas abseits der Nord’schen Villa geparkt und pirschte sich im Schutz des verbliebenen Waldes an das Haus. Der einsetzende Regen ließ ihn frösteln und er schlug seinen Jackenkragen nach oben. Hinter einer Kastanie verborgen sah er die erleuchteten Fenster.

      Mal sehen, was hier heute noch passiert, dachte er.

      47

      Lutz Berner fühlte sich wie im falschen Film.

      Was tue ich hier, fragte er sich.

      Die Papiere, die Norden ihm zum Durchschauen gegeben hatte, enthielten nichts was nur ansatzweise irgendetwas für die Firma bringen könnte. Alte Rechnungen, Prospekte von Messen und Vorträgen, vereinzelte handschriftliche Notizen dazu.

      Marktanalysen aus Wirtschaftsmagazinen der letzten fünf Jahre, farbig markierte Texte darin.

      Verlauf von Aktienkursen in der IT-Branche, Sonderheft Ausgabe 1/2012.

      Er ließ das Heft zurück auf den Tisch fallen und schüttelte den Kopf.

      Ich verschwende hier meine Zeit, dachte er sich.

      Letzte Woche bekam Berner einen Anruf von Jan Mayerhofer. Er hatte sich gewundert, woher dieser seine Privatnummer wusste.

      Mayerhofer bot ihm unumwunden einen Job an. Zu verbesserten Konditionen.

      Berner lehnte empört ab.

      Konrad Norden wusste nichts davon.

      Lutz Berner wusste, wie cholerisch er darauf reagiert hätte.

      Berner ist keiner, der bei der kleinsten Schwierigkeit davonrennt. Maue Zeiten gibt es immer wieder, durch diese muss man durch, so seine Devise. Aber was jetzt gerade mit „noRDen!“ passierte, hatte nichts mehr mit mau zu tun.

      Hier ging etwas gewaltig den Bach runter. Das sah nach Abgesang aus. Urplötzlich war nichts mehr so, wie es sein sollte. Und niemand hatte es kommen sehen. Das funktionierende Tagesgeschäft hatte alle eingelullt.

      Berner stand auf und griff sich sein Smartphone vom Tisch.

      Ich höre jetzt hier auf und rufe den Chef an, dachte er. Er muss ihm das mit Mayerhofer sagen.

      Vielleicht rüttelt das Norden endlich wach.

      Er tippte die Nummer, die auf dem Notizzettel stand, in sein Handy.

      In dem Moment, als er auf die Wahltaste drücken wollte, bekam er einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf und sank bewusstlos zu Boden.

      48

      Das ist nicht Norden!

      Der dunkel gekleidete Fremde schaut auf die vor ihm liegende Person.

      Er ist wütend.

      Er tritt dem vor ihm Liegendem mit seinem rechten Stiefel in die Rippen.

      Dieser stöhnt, bleibt aber weiter bewusstlos liegen.

      Der Fremde weiß, wo man mit einem Schlagstock treffen muss, um die größte Wirkung zu erzielen. Allerdings war der Schlag für Konrad Norden bestimmt gewesen und jetzt liegt sein jämmerlicher Assistent vor ihm. Er holt sein Handy aus der Umhängetasche und schaut auf das Display mit dem GPS-Marker.

      Hundertprozentige Übereinstimmung.

      Er wählt Nordens Nummer.

      In der Küchenschublade vibriert es.

      „So ist das also! Du spielst Spielchen mit mir?“ sagt der Fremde laut.

      „Ja! Und ab jetzt gelten meine Regeln!“ tönt es von der Tür.

      Dann stürzt sich Konrad Norden mit einem lauten Schrei auf den Eindringling.

      49

      Ich habe ihn!

      Mit aller Kraft versuche ich den sich windenden Widersacher am Boden zu halten. Er liegt auf dem Bauch. Einen Arm des Typen habe ich mit der Hand auf dem Rücken fixiert, auf dem anderen