Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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als Mraeghdar, begleitet von Askailandro mit vier seiner Untergebenen, sowie Hraedlin und zwanzig ausgewählten khyltrischen Reitern, an der immer noch von Rauchschwaden überhangenen Brandstätte eintraf. Lyghdar und zwölf seiner Berittenen, die beiden Leibgarden nicht eingerechnet, waren ebenfalls mitgekommen.

      Was sie dort aber zu sehen bekamen, gab ihnen Rätsel auf. Nicht nur, daß sie keine Überlebenden fanden: sie fanden noch nicht einmal Tote, oder auch nur Spuren einer Kampfhandlung, wie zerhauene Waffen oder verschossene Pfeile.

      Ungläubig suchten sie ihren Weg zwischen gänzlich abgebrannten, teilweise noch glimmenden Getreidefeldern hindurch. Sie hatten bereits einige Meilen zurückgelegt, als unvermittelt verkohlte Holzpfosten vor ihnen aus dem Boden ragten, gekrönt von dünnen, sich himmelwärts ringelnden Rauchspiralen: die Reste einer heruntergebrannten Siedlung. Schneewehen gleich, wirbelte weiße Asche darüber hin. Wortlos trabten sie weiter, auf einem Streifen nackter Erde, der bis zu vier Reitern nebeneinander Platz bot und bis gestern noch eine Dorfstraße gewesen sein mußte. Mraeghdar und Lyghdar ritten voraus, dicht gefolgt von Askailandro, den Blick unentwegt auf die Spuren am Boden gerichtet; Fußstapfen, Hufabdrücke und von Wagenrädern gefurchte Rillen bildeten ein ungleichmäßiges Muster, das umso dichter wurde, je näher sie dem gegenüberliegenden Rand der Ruinenstätte kamen.

      Wo die Straße aus der einstigen Siedlung hinausführte, hielten sie an.

      „Was bei allen Pforten der Hölle hat das zu bedeuten?“ brach Lyghdar endlich das allgemeine Schweigen.

      Mraeghdar mußte vor sich selbst eingestehen, daß er ratlos war. Nur um sich nicht um eine Antwort verlegen zu zeigen, entgegnete er:

      „Erinnerst du dich, was ich dir bei unserer letzten Siegesfeier gesagt habe? In Aedhwyns Zelt?“ Und auf die offensichtliche Verwirrung des Gefragten hin, half er seinem Gedächtnis auf die Sprünge: „Der Krieg ist nicht mehr, was er einmal war. Das habe ich dir gesagt. Noch nicht einmal der Krieg.“

      Er ahnte nicht, wie recht er mit dieser Feststellung noch behalten sollte.

      „Krieg?!“ Lyghdar blickte mißbilligend um sich. „Was hat das hier mit....“

      „Askailandro“, rief Mraeghdar, „hast du vielleicht eine Ahnung, was hier vor sich geht?“

      Seine kydhrische Herkunft half dem jungen Späher jedoch auch nicht weiter. Irgendetwas schien ihn zu beschämen; ob es das befremdliche Verhalten jener Steppenbewohner war, zu deren weitläufiger Verwandschaft er sich aus Sicht seines vandrischen Herrn zu bekennen hatte, oder sein eigenes Unvermögen, wenigstens eine Erklärung dafür zu finden, mußte dahingestellt bleiben. Stumm schüttelte er den Kopf und mied dabei jeglichen Blickkontakt.

      Fluchend hielt Mraeghdar den nackten Arm vors Gesicht, um es vor einer heranwehenden Rauchfahne zu schützen. Indem er sich über die tränenden Augen wischte, befahl er, immer noch an den Späher gewandt:

      „Du und deine Männer, verfolgt die Spuren. Findet heraus, wo das elende Pack sich verkrochen hat und ob es sich lohnt, sie zu verfolgen! – Alle anderen, zurück zum Lagerplatz!“

      Mit den letzten Worten drückte er seinem Rappen die Fersen in die Flanken, und die Reiterschar bildete eine Gasse, um ihn vorausreiten zu lassen. Zurück blieben die vier Yildhrim unter der Führung von Askailandro, die unverzüglich und wie befohlen die Fährte aufnahmen.

      Wie es sich herausstellte, führten die Spuren nirgendwo hin; denn sie führten, und das kam aufs Gleiche heraus, in alle Richtungen.

      Askailandro und sein kleiner Spähtrupp kamen am späten Nachmittag zurück und fanden den Großkönig im Schatten der Flußauen vor, wo er eine Versammlung aller Heerführer einberufen hatte, der Könige samt ihrer Herzöge. Letztere bildeten einen Halbkreis. Mraeghdar selbst saß mit dem Rücken zum Stamm einer gewaltigen Weide, zwischen Lyghdar zur Linken und Aedhwyn zur Rechten, und hatte seine eigenen Leute genau gegenüber plaziert; die lugdrischen Fürsten schlossen Schulter an Schulter mit ihren khyltrischen Standesgenossen auf und vervollständigten den Halbkreis zur Seite ihres Königs hin, und in genau gleicher Weise hatten sich auch Aedhwyns Herzöge auf der anderen Seite niedergelassen. Mehr als sechzig Mann mochten so versammelt sein, einschließlich der Könige und ihrer Leibgarden.

      Mraeghdar forderte unverzüglich die fällige Kundschaft ein. Aber alles was es zu berichten gab war, daß sich die Fährte nach wenigen Meilen zu zerstreuen begann: bald verzweigte sie sich nach links, bald nach rechts, wobei sich der überwiegende Teil des Trecks jedoch linkerhand, also in nördlicher oder nordöstlicher Richtung, abgesetzt zu haben schien, so Askailandro. Diese Nachricht bewirkte zunächst allseitiges Schweigen. Jedem der Anwesenden schien einzuleuchten, was sie mit größter Wahrscheinlichkeit zu bedeuten hatte: daß sich die Bewohner der heruntergebrannten Siedlung nämlich in mehrere kleine Züge aufgeteilt hatten, um die Kunde vom herannahenden vandrischen Heer zu verbreiten. Die Frage, die niemand aussprach, war: würden die Vandrimar nichts als niedergebrannte Felder und Wohnstätten vorfinden, wenn sie ins dyraktrische Stammesgebiet einfielen, oder würden sich ihnen die Bewohner schließlich doch in einer offenen Schlacht entgegenstellen? Dies, und auch darüber gab es keine Worte zu verlieren, hing zweifellos von der Unterstützung anderer Stämme ab. Wurde ihnen diese aber versagt, konnten einzig Streitigkeiten untereinander als Grund angenommen werden.

      „Langsam machen mir die Kydhrischen wahrhaftig Sorgen.“ Es war Lyghdar, der als erstes den zu Ende gesponnenen Gedanken auf den Punkt brachte, nicht ohne seine gewohnt hämischen Bemerkungen. „Zuerst laufen sie uns davon, mitten im Kriegsjahr, und ziehen sich in ihr angestammtes Gebiet zurück wie ein geprügelter Hund unter den Tisch. Suchen wir sie, haben sie wiederum nichts besseres zu tun, als Hals über Kopf zu fliehen. Damit nicht genug, brennen sie zuvor noch ihre Ernte und ihre Häuser ab, die sie schon nicht verteidigen wollen. Und warum?“ Herausfordernd blitzte Lyghdar in die Runde. „Was meint ihr wohl? – Weil jede Verteidigung aussichtslos ist. Weil sie auf den Beistand ihrer Verbündeten angewiesen sind, und der wird ihnen offensichtlich nicht gewährt, aus welchem Grund auch immer. Kurzum: worauf warten wir noch? Der Weg für einen Plünderzug stand nie offener!“

      Auf diese Worte hin hob unter den versammelten Herzögen ein lebhaftes Debattieren an. Schienen Lyghdars Worte im Allgemeinen auch Zustimmung zu finden, wollte doch jedes Für und Wider im Einzelnen abgewägt werden. Dann aber stand ein Herzog aus den Reihen der Bhyandrim auf und bat um Gehör. Solange er saß, hatte er sich seiner äußeren Erscheinung nach kaum von seinen Standesgenossen abgehoben. Jetzt wirkte er dafür umso ehrwürdiger: hochgewachsen und korpulent, trug er einen dichten, silbrig durchwirkten Bart, der ihm bis fast an die Gürtelspange reichte. Zweifellos war er betagt genug, sich in mehr Schlachten verdient gemacht zu haben als die meisten der übrigen Anwesenden, seinen König vielleicht ausgenommen.

      „Sprich, Bhelundir!“

      Mraeghdar selbst erteilte ihm das Wort. Aller Augen richteten sich auf Aedhwyns gestandenen Heerführer und blieben erwartungsvoll an ihm hängen. Nicht ohne sich zuvor dankend vor seinem Großkönig zu verneigen, rief Bhelundir mit seiner über die langen Jahre an der Mark brüchig gewordenen Stimme:

      „Vandrische Krieger: wer unter euch, Khyldir oder Lugdhir, ist einst mit mir in Bryannars Gefolge gegen die Masgadhrim geritten? – Und wer unter euch Bhyandrim?“ fügte er an, indem er den Blick über seine um ihn her sitzenden Stammesgenossen schweifen ließ.

      Insgesamt vier Hände erhoben sich, drei aus der Schar der Khyltrim und eine weitere dicht bei dem Sprechenden. Doch dabei blieb es keineswegs: Aedhwyn selbst nickte seinem Herzog einvernehmlich zu. Bhelundir schwellte stolz die Brust, wie einer, der sich einer eng verschworenen Gemeinschaft angehörig weiß.

      „Wir fünf, ja. Wir und Aedhwyn, den ich seither meinen König nenne. Sonst ist keiner mehr am Leben, auch nicht von denen, die damals mit uns zurückkehrten.“

      Dann richtete er sich an einen der drei khyltrischen Veteranen jenes so ruhmreichen wie blutigen Feldzugs, dessen bloße Erwähnung jüngere Krieger vor Ehrfurcht verstummen ließ: „Dhunmar, gedenkst du noch derer, die ihr Blut vergossen, allein um Bryannars Leichnam zurückzugewinnen? – Und du, Bhaldur“, wandte er sich an seinen bhyandrischen Mitstreiter, „hörst