Abgelenkt. Adam Wutkowski

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Название Abgelenkt
Автор произведения Adam Wutkowski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738020281



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Ende dieses albernen Gespräches ist also zum Greifen nah. Nur noch wenige Minuten Beherrschung trennen mich von einem entspannten Abend mit „Der Strategische Krieg“.

      «So, du wirst dich bei deiner Mutter entschuldigen und dich in Zukunft etwas beherrschen. Ansonsten nehme ich dir deinen Computer weg. Hast du das verstanden!» sagt mein Vater bestimmend und dreht im nächsten Augenblick sein Gesicht zum Fernseher.

      Nein. Alles, nur nicht meinen Computer.

      «Alles ist für den Menschen da.» höre ich meine Mutter ergänzen. «Man muss nur damit vernünftig umgehen. Also spiel nicht so viel, sondern kümmere dich auch um das Drumherum.»

      Der Fernseher geht an.

      «Wo ist das Brot?» fragt mein Vater, das Gesicht dem Fernseher zugewandt.

      «Es gab kein Brot im Supermarkt.» sage ich abwesend, immer noch von der Angst erfüllt, meinen Computer weggeben zu müssen.

      «Dann geh in den Supermarkt und hol Brötchen!» fügt mein Vater hastig hinzu.

      «Ja. Kein Problem. Mit dem Fahrrad ist das in null Komma nichts erledigt.» erwidere ich beschwichtigend.

      «Und übrigens,» sagt mein Vater, das Gesicht vom Fernseher wegdrehend, «du könntest dein Fahrrad wieder mal putzen. Es sieht wie Sau aus.»

      «Ja. Das habe ich mir für morgen vorgenommen.» erwidere ich demütig und gleichzeitig froh, dass dieser Disput ein Ende genommen hat.

      In meinem Zimmer angekommen, öffne ich die Schublade, in der ich mein Taschengeld aufbewahre. Doch im Gegensatz zu meiner Erwartungshaltung ist die Schublade leer. «So ein Mist. Wo ist das Geld?» frage ich, in die leere Schublade hineinschauend. Doch im gleichen Moment, in dem ich die Worte sage, fällt mir ein, dass ich das Geld letzten Monat für „Die Helden des Krieges“ ausgegeben habe.

      Plötzlich überfällt mich Panik. Die Angst meinen Eltern beichten zu müssen, dass ich sie angelogen habe und das Geld für ein Computerspiel ausgegeben habe, sitzt tief. Hinzu kommt, dass der Moment nach dem eben geführten Disput mehr als ungünstig ist. Doch was nun?

      Einfach behaupten, dass ich das Geld verloren habe. Die Idee ist nicht grade die Beste. Sicherlich würde es auch Konsequenzen nach sich ziehen. Aber was bleibt mir schon anderes übrig? Die Wahrheit zu sagen, kommt nicht in Frage. Mein Vater würde mir sofort den Computer wegnehmen. Und das ist inakzeptabel.

      Grade als ich mich ins Wohnzimmer aufmache, um meinen Eltern die Geschichte mit dem verlorenen Geld aufzutischen, dringen plötzlich Wortfetzen von meiner Mutter in den sonst stillen Flur. «So geht das nicht weiter mit dem Jungen. Vielleicht solltest du mit ihm noch einmal unter vier Augen reden. Ich verstehe das nicht. Wir machen so viel für ihn und er schätzt das einfach nicht.»

      «Du bist viel zu sanft zu ihm.» ertönt die Stimme meines Vaters, «Das habe ich dir schon öfters gesagt. Ein Paar Züchtigungen mit dem Gürtel bringen viel mehr, als dieses leere Gerede. So jetzt ist aber genug. Ich möchte mich noch etwas entspannen. Sei still und genieß den Fernsehabend!»

      Nach dem eben Gesagten wird mir bewusst, dass für Fehler heute kein Platz mehr da ist. Ohne recht zu wissen, was ich machen soll, ziehe ich mich in aller Ruhe an und verlasse leise die Wohnung.

      Draußen angekommen, nehme ich das Fahrrad aus der Halterung und setze mich drauf. Im selben Moment, in den ich mich auf das Fahrrad setze, bemerke ich, dass das Fahrrad nicht wirklich einen gepflegten Eindruck macht. «Morgen nach der Schule kann ich es wieder mal in Schuss bringen.» Doch dieses Problem gilt es, morgen zu lösen.

      Auf dem Weg zum Supermarkt kreisen die Gedanken um das Geschehene. Der Gürtel als Mittel zur Züchtigung. Erinnerungen an längst vergangene Züchtigungen dringen in das Hier und Jetzt. Diese Art von Züchtigung, und das schwöre ich mir, werden keinen Einlass in meine Erziehung haben.

      Doch noch mehr beherrscht mich in diesem Augenblick die Furcht, den Computer zu verlieren. «Ansonsten nehme ich dir deinen Computer weg!» raunt die Stimme meines Vaters durch meinen Kopf. Das darf nicht geschehen, um keinen Preis der Welt. Er tut immer das, was er sagt. Er spricht niemals leere Worte aus. Das weiß ich mittlerweile.

      Einen Augenblick später stehe ich vor dem Supermarkt. Doch was nun?

      Im selben Moment, als ich mir die Frage stelle, taucht auch schon eine Antwort auf.

      Du hast es schon mal getan. Du wolltest es eigentlich nicht noch einmal machen. Aber die Situation verlangt es. Außerdem ist der Moment günstig. Es ist bereits dunkel. Nur noch dieses eine Mal und dann nie wieder.

      Fest entschlossen mache ich einen großen Bogen um den Supermarkt herum auf die Rückseite, an der das Leergut aufbewahrt wird. Das Fahrrad im Dickicht eines angrenzenden Wäldchens liegend, schleiche ich mich an den Zaun, hinter dem das Leergut steht. Das Tor zum Leergutlager ist verschlossen. Gut. Sie werden also heute hier nicht mehr Leergut packen. Weit und breit ist auch niemand zu sehen. An derselben Stelle wie schon mal, quetsche ich mich in das Leergutlager, nehme eine Kiste mit Plastikflaschen und vollführe dieselben Züge wie einst. Dabei immer achtend, ob jemand kommt. Nachdem alles erledigt ist, zwänge ich mich wieder an derselben Stelle ins Freie hindurch, sammle das Leergut ein und mache mich leise auf den Weg zu meinem abgestellten Fahrrad.

      «Kein Wunder, dass die Idioten ständig beklaut werden, wenn sie den Zaun so dämlich aufstellen.» sage ich, bevor ich mich auf mein Fahrrad setze und auf Umwegen wieder zum Supermarkt fahre.

      Im selben Supermarkt, aus dem ich das Leergut habe, gebe ich es schließlich ab, kassiere das Geld und erledige die Einkäufe.

      Gegen 18 Uhr liegen die Brötchen auf dem Küchentisch. Nach einem hastigen Abendbrot nehme ich Platz vor dem Computer und installiere das neue Spiel. Während der Computer das Spiel startet, warte ich geduldig bis mein Handeln gefragt ist. Bald erscheint auf dem Bildschirm die Aufforderung, den Benutzernamen einzugeben.

      «Ist doch klar.» sage ich in die Richtung des Bildschirms. «Es gibt nur einen Namen, der hier in Frage kommt: Kane.»

      Seitdem ich angefangen habe, Computerspiele zu spielen, erstelle ich immer den ein und selben Benutzernamen. Niemals ist dieser Sven gewesen. Nein, das ist kein Name, der hier etwas zählt. Hier gibt es nur Kane, der Kämpfer und jetzt: der Stratege.

      Nach etwa einer gefühlten Stunde geht die Tür zum Zimmer auf. Eine rasch wachsende Wut wird mit Beherrschung in die Schranken gedrängt, als meine Augen meinen Vater in der Tür erblicken.

      «Es ist kurz vor 22 Uhr. Wir gehen jetzt schlafen. Mach dich bitte ebenfalls bettfertig und pack deine Schultasche für morgen.» sagt mein Vater bestimmend.

      «Ist gut.» antworte ich, meinen Vater anschauend. Daraufhin dreht sich dieser um und geht. Er lässt aber die Tür offen, um mir bewusst zu machen, dass er mich im Auge behält.

      Einen Blick auf den Computerbildschirm verdeutlicht die aussichtslose Lage meines Widersachers.

      «Glück gehabt Königreich Morg. Aber deinem Schicksal kannst du nicht entkommen. Morgen hat dein letztes Stündlein geschlagen.» sage ich. Nach dem Sichern des Spielstandes wird der Computer heruntergefahren. Als ich schließlich im Bett liege, sehe ich aus den Augenwinkeln, meinen Vater im Türrahmen stehen.

      «Gute Nacht.» sagt dieser und verschwindet in Richtung Schlafzimmer.

      Gegen 8:00 Uhr morgens klingelt der Wecker. Nach der vorangegangenen Nacht erzielt der lange Schlaf in dieser Nacht seine erholsame Wirkung.

      Der heutige Schultag besteht wieder nur aus zwei Schulstunden. Diese Tatsache allein sorgt für ein angenehmes Wohlbefinden. Nach der üblichen Morgenroutine erwartet mich in der Küche meine Mutter. Aus ihrem Verhalten zu schließen, ist der Zwischenfall von gestern für sie immer noch nicht erledigt. Nach einem kurzen Moment, in dem die Vorteile und Nachteile einer Entschuldigung gegen einander abgewogen werden, überwiegen schließlich die Argumente für eine Entschuldigung. Auch wenn hierfür die Entscheidung nicht auf der Überzeugung, etwas Unrechtes getan zu haben, ruht. Die Vorfreude im Gegenzug später entspannter Computer spielen