INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Vier. Eberhard Weidner

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Название INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Vier
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия Inquisitor Michael Institoris 1
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847665816



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gelassen wurde. Alles andere ging ihn nichts mehr an, und folgen konnte er ihm dorthin eh nicht.

      Mit jeder verstreichenden Sekunde beruhigten sich Wolfgangs Erregung, Atmung und Herzschlag immer mehr. Offensichtlich war er noch einmal davongekommen.

      Nachdem die Aufregung sich gelegt und er eine Atempause gewonnen hatte, war es Zeit für einen weiteren nächtlichen Anruf bei Butcher, entschied Wolfgang. Der Rudelführer würde über die erneute Störung seiner Nachtruhe sicherlich ebenso wenig erfreut sein wie beim ersten Mal, aber über die neueste Entwicklung der Dinge wollte er andererseits sicherlich sofort informiert werden.

      Wolfgang postierte sich so, dass er die nach oben führenden Stufen und den oberen Treppenabsatz weiterhin im Auge behalten konnte, und lehnte sich mit der Schulter gegen die kühlen Steine der Seitenwand. Er holte sein Handy aus der Hosentasche und gab Butchers Nummer ein. Schon nach dem ersten Rufzeichen wurde abgenommen. Anscheinend hatte Butcher nicht geschlafen. Entweder war er nach Wolfgangs erstem Anruf nicht wieder zu Bett gegangen, oder er war schon wieder wach, weil er in Kürze ebenfalls in Richtung Vatikanstadt aufbrechen wollte, um sich dort mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass alles nach Plan verlief. Butcher war eben ein Perfektionist. Wolfgang überraschte es daher nicht, dass er alles zusätzlich persönlich kontrollierte, obwohl er genügend Handlanger hatte, die derartige Dinge für ihn erledigten.

      »Wolfgang? Du schon wieder? Was gibt es denn diesmal? Ich hoffe, du hast keine weiteren schlechten Nachrichten für mich.«

      »Wie man’s nimmt«, erwiderte Wolfgang und verzichtete wohlweislich darauf, seinen Rudelführer auf die Folter zu spannen, sondern ließ die Katze sofort aus dem Sack: »Die Hexe ist tot!«

      »Die Hexe ist …«, wiederholte Butcher wie ein grollendes Echo, vollendete den Satz aber nicht. »Du sprichst von Marcella? Bist du dir sicher?«

      Wolfgang nickte heftig, auch wenn Butcher ihn nicht sehen konnte. »Ja. Kein Zweifel. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen.«

      »Wie konnte das passieren? Haben die Inquisitoren die beiden verfolgen können und erwischt? Und was ist mit dem Hexenjäger, ist er wohlauf?«

      »Ja, es …« Wolfgang verstummte und versteifte sich unwillkürlich, da er von oben ein Geräusch gehört hatte. Er lauschte angestrengt, ob es sich wiederholte.

      »Wolfgang, was ist los? Bist du noch dran?«, drang Butchers knurrige Stimme aus dem winzigen Lautsprecher des Mobiltelefons.

      »Einen Moment«, flüsterte Wolfgang und legte die Hand auf das Gerät, um jeden Laut zu dämpfen.

      Er horchte mit höchster Konzentration und spähte aus zusammengekniffenen Augen nach oben. Da tauchte am oberen Ende der Treppe ein dunkler Umriss auf. Augen, die im Mondlicht glitzerten, starrten zu ihm herunter.

      Wolfgangs Herzschlag setzte aus. Erwischt!, dachte er erschrocken, ehe er realisierte, dass es sich nicht um einen Menschen, sondern um einen Hund handelte, der dort oben stand und ihn ansah. Wolfgang erkannte, dass es ein Schäferhund war und sich das Nackenfell des Tiers aufgerichtet hatte. Als Gestaltwandler, der oft selbst in tierischer Erscheinung unterwegs war, wusste er die Signale eines bevorstehenden Angriffs zu deuten. Dennoch war er nicht beunruhigt, sondern froh, dass es nicht der Inquisitor war, der ihn entdeckt hatte. Ein Haustier machte ihm deutlich weniger Sorgen, und daher entspannte er sich wieder ein wenig.

      Obwohl es da, wo sich Wolfgang gegen die kühle Mauer der Tiberbrücke presste, stockfinster war und ein Mensch ihn nicht ohne Weiteres entdeckt hätte, witterte ihn der Hund. Er knurrte aggressiv, zog die Lefzen zurück und entblößte seine spitzen Reißzähne.

      Tiere, speziell Hunde, reagierten sehr unterschiedlich auf Gestaltwandlers. Entweder nahmen sie Reißaus, weil sie die Bestie unter der menschlichen Schale und ihre eigene Unterlegenheit instinktiv erkannten, oder sie gingen zum Angriff über, als wollten sie sich mit einem Rivalen in ihrem Revier messen. Manch dämlicher Köter der zweiten Kategorie hatte zu spät erkannt, dass er sich mit einem Wesen anlegte, das ein paar Nummern zu groß für ihn war, und seinen Übermut mit dem Leben bezahlt.

      Von der Brücke war die Stimme eines Mannes zu hören. Er rief ein paar Worte in italienischer Sprache, die Wolfgang nicht verstehen konnte. Er konnte aber den Rauch einer brennenden Zigarette riechen. Es war also nur jemand, der seinen Hund Gassi führte, weil dieser mitten in der Nacht ein dringendes Bedürfnis verspürt hatte, und die Gelegenheit nutzte, eine Zigarette zu rauchen.

      Der Hund knurrte erneut, lauter und eindringlicher dieses Mal. Die Lefzen waren jetzt ganz hochgezogen, sodass eine Reihe spitzer Zähne sichtbar war. Der Schäferhund machte einen weiteren zögerlichen Schritt in Wolfgangs Richtung, ohne allerdings die Treppe zu betreten, und duckte sich zum Sprung.

      Trotz dieser Anzeichen, dass der Köter ihn attackieren wollte, blieb Wolfgang ruhig und gelassen. Immerhin hatte er mit dem Auftauchen des Inquisitors gerechnet, der tatsächlich in der Lage gewesen wäre, ihn in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Institoris hatte mittlerweile Marcella als Hexe identifiziert und erledigt. Möglicherweise verdächtigte er jetzt auch Wolfgang, nicht der zu sein, der er zu sein vorgab, sondern ebenfalls zu den Luziferianern zu gehören. Vor allem, wenn er realisierte, dass Wolfgang ihm und der Hexe heimlich hierher gefolgt war.

      Doch vor einem Hund – egal, welcher Größe oder Rasse – hatte er keine Angst. Er hätte dem Schäferhund in seiner tierischen Gestalt rasch und lautlos das Genick brechen oder den Kopf abreißen können, doch er wollte kein Aufsehen erregen. Wenn der Hundehalter anschließend nach seinem Köter suchte, musste er diesen auch noch erledigen. Und wer wusste schon, was danach noch alles kam? Besser, er wählte eine elegantere, aber ebenso effektive Methode, das Tier rasch loszuwerden. Also ließ er die Bestie in seinem Inneren ein wenig von der Leine – gerade so viel, dass die Fänge in seinem Mund wuchsen und sein Kehlkopf und die Stimmbänder sich veränderten. Anschließend stieß er ein leises Knurren aus, welches das des Tieres in puncto Aggressivität und Bösartigkeit weit in den Schatten stellte, aber nicht so laut war, dass es von dessen Herrchen gehört werden konnte. Der Mann auf der Brücke rief erneut nach seinem Hund, nun schon wesentlich lauter. Allmählich wurde er wohl ungeduldig.

      Der Schäferhund jaulte auf, als er erkannte, mit was er es hier zu tun hatte und dass es besser war, sich nicht mit dieser Kreatur anzulegen. Er warf sich herum und rannte davon, den Schwanz zwischen die Hinterläufe geklemmt. Der Mann auf der Brücke sagte etwas und lachte, als der Hund an ihm vorbeijagte. Doch als das Tier nicht anhielt, sondern immer weiter und weiter rannte, wurde er ärgerlich und rief seinem Hund laut hinterher. Schließlich hörte Wolfgang die eiligen Schritte des Mannes auf dem Beton der Brücke, als er seinem Hund hinterherrannte.

      Wolfgang lachte leise und kehlig über diese Episode, was aufgrund seiner körperlichen Veränderung wie ein tierisches Knurren klang, bevor er die Bestie wieder zurückdrängte. Doch sein tierisches Selbst sträubte sich. Es wollte losgelassen werden, auf vier anstatt auf zwei Beinen durch die Nacht rennen, im Mondlicht baden und fühlen, wie die frische Nachtluft durch sein dichtes Fell strich. Und vor allem wollte es Beute jagen, stellen und töten, anschließend das noch zuckende Fleisch zerreißen und das warme Blut kosten. Doch dies war weder die rechte Zeit noch der rechte Ort dafür. Deshalb blieb Wolfgangs menschliche, von seiner Vernunft gesteuerte Seite unerbittlich und schließlich erfolgreich. Das Tier knurrte noch einmal verärgert, kroch aber widerstrebend in seine menschliche Hülle zurück.

      Erst als Wolfgang wieder vollständig Mensch war – zumindest äußerlich! –, hob er das Mobiltelefon ans Ohr. »Butcher, bist du noch dran?« Auch wenn der nächtliche Spaziergänger mitsamt seinem Hund weg war, flüsterte Wolfgang weiterhin. Das Mikrofon des Handys war empfindlich genug, seine Worte trotzdem aufzufangen und klar und deutlich an den Teilnehmer am anderen Ende der Leitung zu übermitteln.

      »Natürlich«, kam postwendend die knurrige Antwort. »Was war denn los bei dir? Ich hörte ein Knurren. Gab’s Ärger?«

      »Nicht wirklich. Nur ein neugieriger Köter, den ich davonjagen musste. Wo waren wir stehen geblieben?«

      Das Tier in Wolfgangs Innerem empfand noch immer stillen Triumph darüber, den Hund, den es als minderwertig ansah, davongejagt zu haben.