Analyseträume. Walter Pollak

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Название Analyseträume
Автор произведения Walter Pollak
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783738001556



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Ängste wachgerufen. Einmal die Angst, die Mutter zu verlieren durch einen Unfall, also Trennungs- und Verlustängste, oder die Angst, ich könnte selbst zu Schaden kommen, also Todesangst oder zumindest Kastrationsangst. Im Umkehrschluss kann man aber auch den unbewussten Wunsch vermuten, die Mutter möge dort liegen. Bestrafungs- oder Todeswünsche also, aufgrund einer ausgeprägten Ambivalenz. Positiv gesehen handelte es sich um Ablösungswünsche, und auch den Traum könnte man so deuten: es ist Zeit, mit der Kindheit abzuschließen und endlich erwachsen zu werden, was durchaus ein schmerzlicher Prozess sein kann und wobei Wunden oder Narben zurückbleiben können. Das Auto symbolisiert die Fortbewegung, die Entwicklung, in diesem Traum aber auch die Möglichkeit, „unterwegs“ eine Gefährdung für andere zu sein und Schaden anzurichten. Der Umstand, dass ich das Auto später nicht mehr finde, kann einmal die Angst vor einem Entwicklungsstillstand anzeigen und zum andern eine Art von Bestrafung (Kastration).

      6. Kapitel: Marketing, Gruppendynamik und eine Wasserleiche

      Es geht darum, eine Intervention zu starten zugunsten eines Unternehmens in Schwierigkeiten. Ich spreche von einer Art Gruppendynamik, die man mit den Verantwortlichen machen müsste und die alles in Ordnung bringen könnte. Gleichzeitig füge ich hinzu, dass dies nicht meine Arbeit sei und ich die Angelegenheit einem Kollegen überlassen möchte. Insgeheim bin ich mir aber sicher, dass ich durchaus die erforderlichen Fähigkeiten dafür besitze. Ich befinde mich dann in einem Wohnwagen, an einem Computer, umringt von Leuten, die mir zusehen und Fragen stellen, Informationen über den Markt erbitten. Woher man sie bekommen könne. Ich antworte, das sei schwierig, und man müsse ein Industrieller sein. Anschließend träume ich davon, aufzuwachen und stelle fest, dass kein Wohnwagen mehr vorhanden ist. Ich frage mich, wie ich dazu komme, den Traum als Realität aufzufassen. Im Traum erscheint auch das Bild eines Lenkrades, das in zahlreiche Einzelteile zerbricht.

      Gruppendynamik gehört zur Sozialpsychologie, und davon hatte ich schon eine gewisse Ahnung. Hier war aber ein Betriebspsychologe gefragt. Der Kollege, den ich vorschlage, ist allerdings auch kein ausgebildeter Betriebspsychologe. Und ich scheine die Arbeit dann ja doch zu machen, bin aber anscheinend ein wenig überfordert bezüglich der gestellten Fragen. Mit Computern kannte ich mich damals noch gar nicht aus, hatte aber während des Studiums kurzfristig an einer EDV-Vorlesung teilgenommen, die mir allerdings gar nicht gefiel, wegen des damals noch üblichen Betriebssystems MS-DOS und der umständlichen Tastatureingabe der Befehle. Im Traum will ich mich dem Ganzen entziehen durch das Erwachen und denke dann absurderweise, ich hielte den Traum für Realität, da ich den Wohnwagen vermisse. Das sich auflösende Lenkrad erinnert an Steuerung, die misslingt oder nicht mehr möglich ist. Zum Kollegen fällt mir ein, dass zwischen ihm und mir ein gewisses Konkurrenzverhältnis bestand und er mein Vorgänger war an der Arbeitsstelle, die ich damals hatte. Man erwartete von mir, dass ich alles besser mache als er. Er war mehr Theoretiker, während ich der Praktiker war. Im Traum lasse ich ihm den Vortritt, bin aber überzeugt, dass ich die Sache ebenfalls machen könnte, möglicherweise effizienter als er? Es geht demnach auch um Ehrgeiz und Besserwisserei. Außerdem zeigt dieser Traum, dass man unter Umständen träumen kann, wach zu sein: traumhaft absurd!

      Subjektstufig handelt es sich bei dem mit Schwierigkeiten behafteten Unternehmen um mein Selbst, und es ist Gruppendynamik angesagt, Sozialpsychologisches. Es geht demnach um soziale Vorgänge, um Beziehungen, wobei ich mich dem zunächst entziehen will, dann aber doch tätig werde, mich dabei offenbar überfordert fühle und erneut einen Ausweg suche, indem ich im Traum aufwache. Der Arbeitsplatz ist verschwunden, das Problem gelöst. Ich wundere mich dann nur über meine eigene Naivität. Soziale Kontakte zu pflegen und mich in Gruppen zu bewegen, war nicht immer leicht und schnell mit Ängsten unterlegt, insbesondere im privaten Bereich, aber auch beruflich, wobei zu sagen ist, dass meine Arbeit mich immer ausgiebig mit anderen Menschen konfrontierte. Die Bewertung oder mögliche Abwertung durch andere wurde erlebt und zum Teil leidvoll erfahren. Gewisse Schutzmechanismen und Vermeidungsstrategien hatten sich etabliert. Dennoch wagte ich immer wieder einen Vorstoß, fühlte mich manchmal dabei auch sehr gut. Es gab wohl stets einen inneren Konflikt zwischen dem Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen und bewundert zu werden (Exhibitionismus) und dem Bedürfnis, mich unsichtbar zu machen und möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Dies kommt in dem Traum zum Ausdruck, da es ein Hin und Her gibt zwischen Vermeidung und aktiver Bewältigung. Die Vermeidung scheint zu überwiegen, aber der Wunsch, etwas zu leisten, ist vorhanden, wie auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das zerbrechende Lenkrad lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob genügend Steuerungsvermögen vorhanden ist, um das Ganze in die richtige Richtung zu lenken. Im realen Leben gab es immer wieder Phasen von gesteigerter sozialer Aktivität, gefolgt von Zeiten des Rückzugs und der Besinnung. Das eine war anstrengend und kostete einiges an Energie, das andere wiederum war erholsamer, aber mit Gefühlen der Einsamkeit verbunden. In Zeiten starker Belastung überwog der Rückzug, und eine Art Schutzmauer wurde aufgebaut, um sich gegen weitere Verletzungen zu sichern.

      Es folgt nun der „dramatische“ Traum: Zwei Männer erscheinen. Der Eine steht aufrecht und bedroht den sitzenden anderen. Dieser ist beunruhigt, aber der Aufrechte sagt, er wolle ihn nicht töten, sondern etwas anderes machen. Der Sitzende hat auf einmal ein Gewehr und richtet es gegen den andern, der den Abzug betätigt und sich selbst tötet. Der Sitzende hält das Gewehr immer noch in der Hand, voller Entsetzen. Ein älterer Herr (der Butler?) kommt herein, sieht alles mit an und ist Zeuge. Später ist die Leiche eine Frau und schwimmt im Wasser. Der Hals ist teilweise abgeschnitten, und es fließt Blut.

      Der ältere Herr lässt an den „Senex“, den „alten Weisen“ denken oder an den Analytiker. Er kann bezeugen, dass der Stehende angefangen und sich zuletzt selbst gerichtet hat. Das Gewehr kann etwas Phallisches oder zumindest etwas Aggressiv-Männliches darstellen. Der abgeschnittene Hals und das Blut verweisen auf Kastrationsangst, aber auch auf Besorgnis um sich selbst und/oder vorhandene selbstzerstörerische Neigungen. Die Wasserleiche hat möglicherweise mit dem toten Zwilling im Mutterleib zu tun, der da noch mal auftaucht aus dem tiefsten Untergrund und der unter ungeklärten Umständen zu Tode kam. Es mag ja wirklich dramatische Vorgänge gegeben haben da drin! Oder es handelt sich um eine negative Animafigur, die hier symbolisch entsorgt wird, der böse, bedrohliche und verschlingende („nefaste“) Anteil der Mutter etwa, der Hexe! Es bleibt offen, in welcher Weise der Stehende den Sitzenden bedroht und ob er auch eine Waffe hat, was zumindest anzunehmen ist, und man kann nur spekulieren, was er vorhat und was „etwas anderes machen“ bedeuten könnte. Auch wieder Kastration? Dann ist es natürlich sehr von Nutzen, dass der Sitzende, der sich ja zunächst in der inferioren Position befindet, auf einmal ein Gewehr besitzt.

      Die Gegner im Traum symbolisieren wahrscheinlich zwei Anteile des Selbst, und es tobt ein „mörderischer“ Konflikt zwischen ihnen, wobei auch eine Umkehr der Verhältnisse erfolgt. Der scheinbar superiore Part ist letztlich der Verlierer, der sich sogar selbst vernichtet und schlussendlich als weibliche Wasserleiche endet. Der zuvor Wehrlose hat plötzlich die Oberhand, ist bewaffnet und überlebt. Der „Butler“ hat alles gesehen und kann dem Sieger, dem Helden gratulieren und seine Unschuld bezeugen. Auch hier könnte der Heldenarchetypus eine Rolle spielen, da es um Kampf und Bewährung geht. Das Gute siegt über das Böse, auch wenn es zunächst gar nicht danach aussah. Der „alte Weise“ oder der Analytiker verkörpern wiederum den Seelenführer, der bei diesem Kampf assistiert und die Dinge ins rechte Licht zu rücken vermag. Von Leichen zu träumen kann ein ernstes Warnsignal sein, vor allem, wenn es gehäuft der Fall ist. Der Selbstmord kann symbolisch, wie schon gesagt, selbstzerstörerische Tendenzen oder einen drohenden Selbstverlust darstellen. Hier handelt es sich vermutlich „nur“ um den Ausdruck eines heftigen Konfliktes, der da im Zuge der analytischen Behandlung innerseelisch ausgefochten wird und wo es auch mal um die sprichwörtliche Leiche im Keller gehen kann.

      Zur Abwechslung nun einen deutlich harmloseren Traum: Ich entdecke in meinem Fach auf der Arbeitsstelle ein Erste-Hilfe-Set sowie ärztliche Instrumente. Ich stelle fest, dass ich jetzt wirklich alles habe. Es ist auch eine Blutdruckmanschette dabei, und ich sage mir, dass ich sie gar nicht zu bedienen weiß.

      Als Psychotherapeut ist man in gewisser Weise auch Arzt, zumindest Seelenarzt, und so ist es kein Zufall, dass in Deutschland die Psychotherapeuten als „Kassenärzte“ zugelassen