Satire satt 1. Wolf Buchinger

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Название Satire satt 1
Автор произведения Wolf Buchinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752901832



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ich Abstand halten. Tut gut.

      Herdenimmunität hatte ich bisher den Schafen zugeordnet, nun kann jeder von uns der Sündenbock für das Virus zu sein, weil es mich nicht umbringen kann. Tut auch gut.

      Tröpfcheninfektion, Aerosol und Partikeldurchmesser hatten wir doch mal im Biologie-Unterricht, aber wegen solch winziger Sachen musste man sich bisher keine Sorgen machen. Die Zeiten ändern sich.

      Die Spuckschutzscheibe ist die absolute Sicherheit für alle Kassiererinnen, damit ihnen niemand in die Kasse spuckt. Sie ist nun überall eingebaut und so bleibt das Geld trocken.

      Lockdown war bisher eine primitive Männerfantasie, wenn man eine Blondine in den Keller locken wollte. Heute trifft man sie gar nicht mehr, weil alle Ausgangsperre haben. Außerdem gilt generelles Kontaktverbot. Schade.

      Fake news waren nie phantasiereicher als jetzt: In der Ukraine soll Wodka gegen das Virus wirken, Corona-Bier macht dicht, weil viele an Infektionen aus der Flasche glauben, amerikanische Sekten verjagen das Problem mit stundenlangem Dauerbeten. Gemeinsam.

      Rachenabstrich ist für mich eine absolut neue Körpergegend, bisher dachte ich, dass er nur deutlich tiefer gemacht würde.

      Klinkenputzen ist nicht mehr für Sektenmitglieder und Staubsaugervertreter, die Bedeutung hat sich total verändert hin zur Desinfektion dank Schmierreinigung.

      Nur das gemeine Volk sagt heute noch „Corona-Virus“, die Intellektuell-sein-wollenden nennen es „Covid-19“. Huch, das tönt gefährlicher.

      „Bleiben Sie gesund!“ gehört zum heutigen Standardwunsch und ist gemeint wie vorher das „Wie geht’s?“, niemand wollte es wirklich wissen. In Geschäftsbriefen wird die Bedeutungslosigkeit dieses Wunsches dokumentiert, in dem man wie früher anstatt „mfg“, nun gefühllos abkürzt:

      „BSg“ (Bleiben Sie gesund).

      mfg BSg, denn „Wir sind im Krieg“! (Trump)

      Alexa, ich hasse dich!

      Eigentlich habe ich mir immer Homeoffice gewünscht. Als Dauerraucher, mittags schon Biertrinker und gerne Siesta-Macher, schien mir diese Form sehr erstrebenswert.

      Nun habe ich sie, unerwartet und schon viel zu lange. Jetzt schaut mir kein Chef über die Schulter, keine Kollegen nerven und keine minigekleidete Sekretärin lenkt mich ab. Ich habe die totale Ruhe und die volle Konzentration, allein in einer kleinen Wohnung. Hier gibt es fast keine Geräusche außer der WC-Spülung, dem Wecker und dem ewigen Fernsehton. Ich bin jetzt sehr einsam und fühle mich krank, obwohl ich nun alle meine erwünschten Freiheiten habe. Hätte ich geahnt, dass eine solch gewaltige Katastrophe kommt, hätte ich mir schnell noch eine Partnerin zugelegt.

      Es bleibt die unendliche Sehnsucht nach einer Frau.

      Eine Frau, die nicht motzt: „Du hast schon vier Bier, jetzt reicht‘s!“ Eine Frau, die auf meine Wünsche eingeht. Eine Frau, die nicht zu viel kostet und wenig Umstände macht.

      Dem nächtlichen Wunschtraum habe ich die Realität folgen lassen: ich habe mir Alexa bestellt! Sie würde mit sanfter Stimme sagen: „Es sind nur noch vier Sixpack Pils vorhanden: soll ich neue bestellen?“

      Alexa würde meine Einsamkeit reduzieren: „Erzähl mir eine Geschichte.“ Sie hat tausend auf Lager. Alexa würde die Rollläden runterlassen und sich dafür bedanken, Alexa würde sagen, wo ich den Staubsauer versteckt habe, Alexa würde ohne Hintergedanken meine Bitte ausführen: „Reduziere bitte das Schlafzimmerlicht!“

      Und ich könnte Alexa erziehen, indem ich sie auf meine Wünsche programmiere: „Spiel mir meine Lieblingssongs vor!“ oder „Alexa sing!“ oder das Allerwichtigste: Wenn ich sage „Alexa, stopp!“, hört sie ohne Murren sofort auf.

      Und jetzt steht Alexa in einer großen Bum-Bum-Box auf meinem Schreibtisch, 100 Seiten Bedienungsanleitung - tja, Frauen sind halt mal kompliziert - und man braucht mindestens drei Stunden, um sie zu verstehen. Es funktioniert alles bestens, nur Alexa gibt keinen Ton von sich.

      Beethoven

      Der große Meister hätte seine bekannteste Melodie wahrscheinlich kaum wiedererkannt. Im doppelten Tempo und mit hohen elektronischen Spielzeugtönen klang sie plötzlich weit weg unter dem Tisch. Zwei Takte. Mehr nicht. Nun schon viermal wiederholt. „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium.“ Kaum jemand kennt diesen Text, Beethoven ist degradiert zu einer simplen Handymelodie. Entsprechend auch diese Bemerkung am Tisch: „Wessen Handy piepst klassisch?“

      Gaby horchte in die Tiefe: „Oh danke, das ist für mich.“ Sie hievte ihre große Handtasche hoch, warf sie auf ihren Schoss und griff hinein. „Götterfun...“ Kein Ton mehr. Sie behielt die Handtasche auf dem Schoss, als erwarte sie gleich den nächsten Anruf.

      Tatsächlich. Die „Freude schöner Götterfunken“-Melodie klang nun aufdringlich nah und unterbrach alle Gespräche. Sie öffnete den breiten Klappverschluss der Tasche und griff zielstrebig hinein, fand überraschend schnell das Handy, setzte es ans Ohr, während in der Tasche Beethoven weiter quäkte. „Oh, das ist mein altes,“ entschuldigte sie sich und kramte weiter. Nach sieben Mal stoppte die Melodie bei „Elysium,“ irgendwo in den Katakomben der prall gefüllten Tasche.

      Präventiv, in Erwartung der nächsten Beethoven-Ode, begann sie mehr oder weniger systematisch zu wühlen, förderte einen zusammengeklappten Regen-schirm nach oben, den ihre Freunde erfolglos abtasteten. Dann eine zerknitterte Bluse, aus der wie von Zauberhand drei Tampons herauspurzelten und ein Schreibetui mit mehreren Kondomen.

      Nun war es still am Tisch. „Der Inhalt einer Handtasche ist wie die Seele einer Frau“, „Ich könnte nie ein Verhältnis mit einer Frau haben, die in einem solchen Durcheinander existieren kann!“, „Chaos hat durchaus seine Vorteile, man glaubt, immer alles dabei zu haben.“ Sie ließ sich nicht beeindrucken, wahrscheinlich war sie solche Kommentare gewohnt.

      „Wozu braucht eine Frau ein Schweizer Offiziersmesser?“,

      „Alle Farben des Regenbogens hat sie in ihren sieben, acht, nein, neun Lippenstiften!“,

      „Und jetzt kommt das Handy aus dem Bergwerk!“ Stattdessen förderte sie eine Taschenlampe ans Licht. „Fisch doch nicht blind herum, leuchte in deinen Abfallsack und du findest alles schneller!“ Doch die Batterien waren aufgebraucht.

      Beethoven meldete sich zurück. Sie versuchte den Kopf in das Dunkel der Tasche zu stecken, um das blinkende Display zu sehen. „Zieh doch die Sonnenbrille aus!“ Prompt fiel diese herunter und verschwand im Innern der Tasche. Das Handy schwieg nun für längere Zeit. Ein Schlüsselbund, eine Illustrierte, ein Taschenbuch und ein älterer Pizzarest in Aluminiumfolie sprengten nun den Platz auf dem Tisch und sie begann, auf dem freien Stuhl neben sich die Geheimnisse des Innern zu deponieren: nochmals Kondome, Papiertaschentücher, Medikamente, ein Notizbuch, eine Puderdose, ein kleines Fotoalbum, Sonnencrème, zwei Sonnenbrillen, vier Kulis. Alles - auβer einem Handy.

      Sie wurstelte weiter. Die Gespräche um sie herum waren verstummt, sie war vertieft in ihre Aktion wie ein kleines Mädchen, das die Weihnachtsgeschenke auspackt.

      Einige Briefe: „Ui, die Steuerrechnung habe ich schon lange gesucht.“ Ein Foto mit einem strahlenden Mann: „Boah, das war einmal.“ Eine Cola-Dose! „Wow, ist die alt!“

      Und dann war die Tasche leer. Sie kippte sie demonstrativ um, schüttelte, drehte sie nochmals um, griff hinein. Sie war leer. Kein Handy, nicht einmal Krümel von Essensresten oder Papierfetzen.

      Und dann geschah das Seltsame, das Unfassbare, das Wunder des Nachmittags. Unerwartet und unerklärbar wurde Beethoven zum Star. Feierlich wie in einer Kathedrale klang aus der offensichtlich leeren Tasche in klaren Tönen und mit etwas Spott: „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium. Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium. Freude ...“