triste. Katrin Sell

Читать онлайн.
Название triste
Автор произведения Katrin Sell
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750235069



Скачать книгу

Hörsturz

       Perspektiven

       Verbleiben ein paar unbezwingbare Realitäten

       Nachtrag

      Katrin Sell

       triste

       Schmerz und Heilung

       Texte

      1. Auflage

      Copyright © 2020 Katrin Sell

       www.literaturbraut.de

      Alle Rechte vorbehalten

      Gestaltung Peter Ahrens artwork Berlin

       www.peterahrens.net

      Dich vergessen

      Während jeder schreitet, in ein Blütenfeld oder in Gruben und Aushöhlungen,

      in seinen Tag hinein, wie ein Tag sein kann als Wiederholung oder Ereignis,

      rinnt Wasser verstohlen im Hintergrund, als unterdrückter Schmerz,

      in dessen Zwerchfell ein Atmen ist, auch ein Schrei, meinetwegen

      von jener Art, die hervorbrechen will, doch nicht zu den einfachen

      Dingen passt. Denn stell dir vor, plötzlich sprichst du von glühenden Namen

      und der erwürgten Braut, sprichst von Erinnerungen und grausamen

      Umständen, denen nichts entnommen werden konnte, außer einer fieberhaften

      Krankheit und dem Verlust von tausend Küssen.

      Es bedeutet weiter und sprich nur von Dingen, von gekauften Kleidern

      und Kaffeetassen, von Terminen und Autobahnen. So ist es. Sich die

      Oberfläche zu eigen zu machen, und das Geschrillte selbst niederschreien

      oder sich abwenden vom Gekrächze der eigenen inneren Stimme

      und das ohne Mitleid, was heißt, den Schmerz bei sich selbst ausrotten,

      ihn verschlingen und sich irgendwo hintreiben lassen.

      Und Tau kommt dann vielleicht, auch ein frisches Gewächs,

      das dem versehrten Morgen einen Anreiz gibt, die verdunkelten Straßen

      zu vermeiden; und wie jemand zu sein, der nicht mehr fragt: Warum dies?

      Das nennt sich Strategie und braucht den Kopf, ärztliche Verordnungen und Willen

      zur Überwindung; die starke, rosige Hand, auch den Roboterarm, der öfter

      empfindungslos über Rosen streift, damit nicht alles Eindruck und Sanftheit ist.

      Ja, ein Lächeln, wenn nichts gelingt.

      Hier sind Wochen, in denen man an einem Dorn festhing und die niedergetrampelte

      Angst von Neuem kam, es nicht zu schaffen, was so scheinbar existiert

      zwischen Kaffeehausluft und Fußballplatz, eben dieses Leben, befreit und nicht

      in Nächten verschüttet.

      Jeder Winkel der Seele, ihr weiches Mark, klammert sich

      an mir fest, dich nicht auszusortieren wie zerstörten Hausrat, dabei bist du

      das wasserlose Gras und stumm wie hundert Tote zu mir und sprichst von Terminen

      wie andere von ihren Kindern. Eitle Füchsin, sagt etwas in mir, denn ich kenne

      dich als Zwielicht und habe dir deine Bücher hinterhergetragen und dich verehrt

      wie ein Knabe die schlaksige Abiturientin.

      Das geht so durch die Tage, eine niedergerungene Leidenschaft, von der niemand

      hören will, nicht einmal du selbst.

      Energien

      Blendender Tag, eigentlich. Irgendetwas müsste es zu heben oder

      zu werfen geben; die bunten Kugeln eines Clowns oder die verwitterten

      Kohlköpfe in den Auslagen der Gemüsehändler.

      In dieser Sekunde jagt eine Flamme durch den Körper: Dich müsste es geben,

      mit deinem rührseligen roten Lippenstift, damit ich in dein Haus gehen kann,

      wie ein halber Mond, knapp an der Erfüllung vorbei. Es bliebe danach

      eine erneute Freude und immer ein Davor.

      Doch da liefen einem die Nerven davon. Ja, ich habe gespürt

      und hatte gehabt. Hatte das romantische Palaver und die offene Frage,

      die Schwerelosigkeit und den klaren Verstand, der sich im Nachdenken bildet.

      Deshalb geht dieser Morgen so dahin, mit seiner waghalsigen Wucht.

      Nennt es Erfüllung, was es auch war. Trotzdem bleibt ein bettelndes Tier

      in den Eingeweiden und ein bohrender Drang, der fordert und schraubt

      und auf Einfälle pocht, etwa, den Kopf durch Wände zu schieben und

      die Makler zu verdreschen. (Gleich einen ganzen Haufen, ihr versteht.)

      Jemand hatte die Vorstellung, und es gefiel mir sehr, eine Weile auf

      Bäumen zu leben. Da wären dann andere Einsichten, die braucht man doch,

      eine andere Art, ein anderes Sitzen, Fassen und Gehen,

      andere Erkenntnisse wie verborgen gehaltene Flügel.

      Jedoch: Oft bleiben ein Aufschrei, eine Pappel und ein Fänger im Tor,

      mit seinen verschwitzten Schuhen.

      Irgendwann kommt der Zwang, sich zu verteidigen.

       Was hast du gemacht?

      Mitunter lässt sich sagen: Leuchter zerbrochen und Schatten gesehen.

      Doch immer ist da eine aggressive Hektik und manchmal

      das Irre hinter Vorhängen und eine Glocke ohne Seil.

      Dich quält er auch, der manische Moment, stürzen zu wollen und

      herauszubrechen. Wenn die Kraft aus den Poren fließt, kommen

      die Möglichkeiten, kleine widerspenstige Reize sind es, mit viel Größe

      und Geschrei. Ach, es bleiben Reste einer unvollendeten Idee,

      wie silberne Zöpfe liegen sie auf Dachböden.

      Und immer weiter

      An diesem weißen Morgen – eine kleine Übertretung sei erlaubt,

      es ist Abend, und der ist, von einem flüchtigen Stern abgesehen,

      dunkel. Was geht einen die Wirklichkeit von mondsüchtigen Poeten an?

      Inmitten der Poesie ist es fatal,

      sich nach dem Befinden des Schreibenden zu erkundigen. Der schüttelt

      oft Nester aus und spricht von Inspiration.