Skiria - Am Berg der Drachen. Fran Rubin

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Название Skiria - Am Berg der Drachen
Автор произведения Fran Rubin
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847633556



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um einen Mann, der Irian, stünde er direkt neben ihm, gewiss um einen Kopf überragt hätte, obwohl auch er keine kleine Statur besaß. Rabanus Quioga stellte eine Erscheinung dar, der mancher mit Ehrfurcht oder gar Neid begegnete. Doch Irian kannte ihn zu gut, als dass er sich von seiner kräftigen Gestalt beeindrucken hätte lassen. Zusammen waren sie in dem beschaulichen Tralor aufgewachsen und hatten gemeinsam die Dorfschule besucht. Schon früh hatte sich herausgestellt, dass die beiden verschiedene Interessen pflegten und andere Meinungen vertraten. Dementsprechend unterschiedlich waren ihre Lebenswege verlaufen. Während sich Irian ernsthaft auf seine Ausbildung besann, um einmal in die Fußstapfen des örtlichen Lehrers zu treten, konzentrierte sich Rabanus auf all die angenehmen Dinge, die ihm das Leben bot.

      Die Jagd war Rabanus’ große Leidenschaft. Oft verschwand er tagelang in den Wäldern und kehrte mit erlegten Füchsen und Kaninchen zurück, die auf dem Marktplatz ihre Käufer fanden. Die so gewonnenen Münzen blieben jedoch meist nicht lange in seinem Besitz, denn sie wanderten bald in die Tasche des Wirtes, in dessen Schenke sich Rabanus so gerne und oft aufhielt, bis er die Zeche nicht mehr bezahlen konnte und man ihn unsanft hinaus beförderte. Mit Argwohn beobachtete Irian, dass sein bester Freund Zawer immer mehr Zeit mit dem wilden Jäger verbrachte. Für den unbeholfenen Kameraden schien Rabanus eine Art Vorbild darzustellen. Zawer ignorierte seine Warnungen vor dem großmäuligen Tunichtgut trotzig, als begriffe Irian die Qualitäten des mächtigen Hünen nicht.

      Ungehalten schüttelte Irian den Kopf, als er registrierte, dass seine Mitbürger wie gebannt an Rabanus’ Lippen hingen. Das Gebaren, mit dem er sie in seinen Bann zog, ließ Irian die Augen verdrehen. Trotzdem beschloss Irian nach draußen zu gehen, um mitzuverfolgen, mit welchen unglaubwürdigen Geschichten Rabanus diesmal aufwartete.

      „Und dann spie er Feuer, aber ich bin ihm geschickt ausgewichen, bevor ich ihm den Todesstoß versetzte“, prahlte Rabanus mit theatralisch erhobener Stimme. Die auf dem Marktplatz versammelte Menge hielt den Atem an.

      „Ist Hirgenrot wirklich tot?“, fragte ein kleiner Junge vorlaut, doch er verstummte rasch, als Rabanus die blutigen Teile des Drachengebisses aus seinem Hemd hervorzog. Raunend wichen die Menschen zurück. Inzwischen hatte sich Irian einen Weg durch die Menge gebahnt. Was er sah, schockierte ihn zutiefst. Zu Rabanus’ Füßen lag ein lebloser Körper. Das angetrocknete Blut auf dessen Kopf ließ das Gesicht des Mannes wie eine diabolische Maske erscheinen. Trotz des entstellten Antlitzes erkannte Irian seinen Freund Zawer sofort.

      Ganz Tralor feierte den neuen Helden ausgiebig. Die Kunde vom Sieg über den bösartigen Drachen verbreitete sich schnell im gesamten Dorf, sodass sich noch am selben Abend die meisten der Bürger in der Schenke einfanden, um den Drachentöter zu ehren und ihm zu danken. Dass die Bestie tot war, erleichterte die Menschen, doch dadurch geriet die Trauer um Zawer in den Hintergrund. Kaum einer erwähnte sein tragisches Schicksal. Stattdessen lauschten die Einwohner Tralors dem Mann, der Hirgenrot erlegt hatte. Immer wieder aufs Neue erzählte Rabanus die Geschichte vom Kampf mit dem Drachen und brüstete sich mit spektakulären Einzelheiten. Wie wild hätte das Ungetüm die beiden Kameraden angegriffen und mit seinen scharfen Zähnen Zawer tödlich verletzt. Nur weil er so entschlossen und beherzt reagiert hätte, musste sich nun niemand mehr vor dem bösartigen Koloss fürchten.

      Währenddessen saß Irian allein in einer Nische des Schankzimmers und ertränkte seinen Kummer mit dem stärksten Gebräu, das der Wirt ihm anbieten konnte. Er konnte Zawers Tod noch immer nicht ganz begreifen. Dass Rabanus das schreckliche Ungetüm umgebracht hatte, war ihm nur ein geringer Trost. Niemals hätte er geglaubt, dass in den Wäldern Tragoniens noch derartige Bestien hausten. Wie viele von ihnen mochten wohl noch existieren? Ihn schauderte, als er daran dachte, wie sich die Szene in der Drachenhöhle wohl abgespielt hatte. Gleichzeitig wünschte sich Irian, selbst dabei gewesen zu sein. Womöglich hätte er schneller reagiert als Rabanus, und Zawer wäre jetzt nicht tot.

      Angewidert verfolgte Irian, wie Rabanus es genoss, ausführlich von seinem Abenteuer zu erzählen und dabei seine Blicke über die anwesenden Mädchen schweifen ließ, um sich eine Schönheit auszusuchen, die er später mit in sein Zimmer nehmen würde.

      Einige Tage später klopfte es an der Tür. Irian öffnete und stellte überrascht fest, dass Rabanus ihm einen Besuch abstattete.

      "Was willst du?"

      Rabanus überging den unfreundlichen Empfang und trug stattdessen sogleich sein Anliegen vor: "Ich will mit ein paar Leuten für längere Zeit durch die Wälder ziehen. Da gibt es mit Sicherheit noch einige von den Biestern. Willst du mitkommen?"

      Ungläubig sah ihn Irian an.

      "Du willst auf Drachenjagd gehen?"

      "Sieht so aus, ja."

      "Und wieso möchtest du ausgerechnet mich mitnehmen?"

      "Nun ja, ich dachte, du hast ein besonderes Interesse daran, die Viecher zu töten. Wegen Zawer, du weißt schon."

      Irian überlegte einen Moment. Ein Drache hatte seinen besten Freund umgebracht. Er hasste Drachen. Es bot sich nun eine einmalige Gelegenheit, an den Ungetümen Rache zu nehmen.

      Er beschloss nicht lange zu zögern.

      "Ich komme mit!", sagte er ernst.

      "Na also", erwiderte Rabanus. "Das hab' ich mir gleich gedacht."

      Der Hüne drehte sich um und ging von dannen. Kurz drehte er sich noch einmal um und rief Irian zu: "Morgen, kurz vor Sonnenaufgang treffen wir uns am Marktplatz und ziehen los."

      IV.

      Janus beschloss, für längere Zeit nicht mehr nach Runa zurückzukehren, denn dort galt er nur als Bruder einer Diebin, dem niemand mehr vertrauen wollte.

      Zunächst hatte Janus immer wieder laut Skirias Namen gerufen, doch das erschien ihm bald zwecklos. Möglich, dass sich Skiria versteckte, bis sich der Wirbel um den vermeintlichen Diebstahl gelegt hatte. Vielleicht war sie aber auch weiter gezogen und er lief in die völlig falsche Richtung. Derlei Gedanken quälten ihn mehrere Tage, doch schließlich gestand sich Janus ein, dass es Skiria wenig nützte, wenn er sich den Kopf zerbrach. Seine kluge Schwester wusste sich gewiss zu helfen. Womöglich hatte er Glück und begegnete ihr unverhofft.

      Das Leben im Wald begann Janus bald zu gefallen. Hier konnte er tun, was ihm beliebte. Keine Arbeit, keine Mühsal, um das tägliche Brot zu verdienen. Zu Essen fand er in dieser Jahreszeit reichlich vor.

      Beeren, Pilze und Wurzeln boten ein ausreichendes Mahl, das er gelegentlich durch ein Kaninchen oder kleine Forellen ergänzte, die er mit bloßen Händen aus Waldbächen fischte. Fröhlich setzte Janus seinen Weg fort und wollte eben seine Lippen spitzen, um ein Lied zu pfeifen, als er plötzlich menschliche Stimmen vernahm.

      „Nicht so schnell. Ich kann nicht mehr“, klagte jemand hinter den Büschen. Der Sprecher, so vermutete Janus, war männlich, obwohl die Stimme recht hoch klang.

      „Stell dich nicht so an, Fettkloß“, ertönte prompt die Erwiderung eines dunkleren Basses.

      „Wir sollten eine Pause einlegen!“, schlug ein weiterer Mann vor. Vorsichtig spähte Janus durch das Dickicht. Vier Gestalten standen zusammen und debattierten darüber, ob sie nun weiter gehen sollten oder nicht. Unter ihnen befand sich eine groß gewachsene, grobschlächtige Frau mit sehr dünnem hellem Haar, dessen fettige Strähnen ihr bis zu den Schultern reichten. Mit einem wohligen Seufzer ließ sie sich auf ein Moosbüschel plumpsen und streckte die Beine aus.

      „Meine Füße dampfen wie ein Misthaufen“, stellte sie fest, als sie ihre Schuhe abstreifte. „Mal riechen?“

      Ein junger Mann mit dunkelblondem Haar warf ihr einen angewiderten Blick zu, als sie ihm ihre schmutzigen Zehen entgegenstreckte.

      „Du bist widerlich, Agata.“

      Ein weiteres Mitglied der Gruppe war ein fettleibiger Knabe, der sich an einen Baumstamm gelehnt hatte und so heftig keuchte, als stünde er kurz vor einem Zusammenbruch. Doch als er in den Tiefen seines Tragebeutels wühlte und eine lange