Skiria - Am Berg der Drachen. Fran Rubin

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Название Skiria - Am Berg der Drachen
Автор произведения Fran Rubin
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847633556



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regelmäßig das Glück verließ. Die stacheligen Gewächse schienen Skiria förmlich festhalten zu wollen. Ungeduldig zerrte sie an ihrem Kleid, das sich hoffnungslos in den Dornen verhangen hatte. Dem Besitzer der dunkel behaarten Pranke, der sich im Dickicht verbarg, lief bereits das Wasser im Munde zusammen. Völlig darauf konzentriert, sich loszureißen, bemerkte Skiria ihn nicht. Erst als sich ein fester Griff um ihr Handgelenk schloss, registrierte das Mädchen starr vor Schreck den Angreifer. Die riesige Gestalt, deren scheußliches Äußeres darauf hindeutete, dass es sich nicht um ein menschliches Wesen handelte, überragte sie um zwei Köpfe. Noch nie hatte sie etwas derart Grässliches gesehen: Der kahle Schädel wies eine sonderbare Deformation auf, sodass er wie die Karikatur eines besonders hässlichen Menschen wirkte. Sowohl am Körper als auch im Gesicht hing seine Haut in wulstigen, ledrigen Falten herab. Grinsend verzog das Monstrum sein rissiges Maul, während die behaarte Hand noch fester zudrückte. Skiria entfuhr ein Schmerzensschrei, als sie grob zu Boden gestoßen wurde. Es kniete über ihr und musterte sie schneidend. Der Geruch, den das Monster verströmte, erinnerte an einen Pferdestall, den seine Besitzer seit Wochen nicht mehr gesäubert hatten. Endlich begann Skiria zu schreien. Das Geschöpf versuchte, sie daran zu hindern, indem es seine Finger auf ihr Gesicht presste. Kurzentschlossen biss Skiria zu. Das Wesen zuckte zurück und schüttelte heulend die schmerzende Hand, während Skiria aus Leibeskräften um Hilfe rief.

      Doch sie verstummte jäh, als ein kurzes Zittern den Waldboden durchfuhr. Verwirrt sah sich das Wesen um. In kurzen Intervallen durchliefen Wellen den Boden, begleitet von einem unheilvollen Dröhnen. Mit irrem Blick rollte das Ungeheuer wild mit den Augen. Sein eben noch vor Gier strotzendes Monstergesicht verwandelte sich zusehends in eine angstverzerrte Fratze, als die Ursache der dumpfen Geräusche zum Vorschein kam.

      Der Drache wuchtete seinen Schuppenpanzer durchs Dickicht. Mit solchen Urtieren verband der Angreifer wohl schlechte Erfahrungen, denn er ließ augenblicklich von seinem Opfer ab und lief mit plumpen Schritten ins schützende Dickicht. Der Drache preschte hinterher und walzte einfach sämtliche Sträucher platt, die sich ihm in den Weg stellten. Planlos lief das flüchtende Ungeheuer zwischen den Bäumen umher und stieß sich seine Stirn an den tiefhängenden Ästen. Die dicht verwobenen Zweige mannshoher Sträucher ließen es nur schwer vorwärts kommen. Vergeblich mühte es sich, aus seinem Gefängnis aus Dornen zu entkommen. Das Wesen saß in der Falle. Als die Kreatur sich umdrehte, musste sie hilflos mit ansehen, wie der Drache wutentbrannt auf sie zurannte. Ängstlich wimmerte das Geschöpf vor sich hin.

      Skirias Herz klopfte bis zum Hals. Würde es zum Kampf zwischen den beiden kommen? Es erschien ihr vollkommen absurd, doch ihre neue Bekanntschaft riss mit lautem Brüllen das Maul auf und ließ den Kopf des Angreifers in ihrem Schlund verschwinden. Spitze Zähne bohrten sich in das Fleisch, immer weiter, bis der Drache mit einem kräftigen Ruck den Schädel der Kreatur vom übrigen Körper trennte. Aus dem kopflosen Leib schoss ein Blutstrom heraus, der seinen Schuppenpanzer besudelte. Das geschundene Biest schwankte und fuchtelte mit seinen Armen über die Stelle hinweg, an der sein Kopf die letzten dreißig Jahre über gesessen hatte. Schließlich stürzte es leblos zu Boden.

      Währenddessen spuckte der Drache lässig den hässlichen Kopf aus und befreite sich mit einem Schütteln von den Blutspritzern, die an seinen Schuppen abperlten wie Wasser an Gänsefedern. Skiria schluckte, als die blutige Trophäe vor ihre Füße kullerte.

      Ungläubig erkannte das Mädchen, dass der Drache sie gerettet hatte. Langsam stand Skiria auf und rieb ihr Handgelenk, in das sich schmerzende rote Druckstellen gegraben hatten. Der Anstand gebot es wohl, dass sie dem Drachen dankte, doch es widerstrebte ihr, zu dem Ungeheuer freundlich zu sprechen. Konnte ihr nicht ein Mensch oder irgendein anderes Wesen zur Hilfe eilen? Musste es ausgerechnet ein Drache sein?

      „Danke“, kam fast tonlos über ihre Lippen, bevor sie sich umdrehte und sich anschickte, den Koloss zu verlassen.

      „Warte!“, rief das Tier. Skiria hielt erschrocken inne. War der Blutdurst des Ungetüms etwa doch noch nicht gestillt?

      „Ich bin Ramin, und du?“, fragte der Drache.

      Sie zögerte ein wenig. Ob es sich um eine Falle handelte? Doch hätte das Ungetüm, das sogar einen Namen trug, sie sonst vor dem gefährlichen Angreifer beschützt? Immer noch abwartend sah Ramin sie fragend an. Langsam nickte das Mädchen und besann sich sodann wieder auf ihre gute Erziehung.

      „Mein Name ist Skiria“, stellte sie sich vor und dachte gleichzeitig, dass wohl ihr Verstand unter der beschwerlichen Reise gelitten haben musste. Anstatt vor ihr wegzulaufen, ließ sie sich auf eine Unterhaltung mit der Bestie ein.

      „Warte hier, ich komme gleich wieder!“, rief Ramin aufgeregt und stampfte eilig davon. Doch Skiria nutzte auch diese hervorragende Gelegenheit nicht, um zu fliehen. Zu sehr hatte sie es genossen, endlich wieder mit jemanden zu sprechen. In der Sorge um das Überleben hatte Skiria verdrängt, wie einsam sie sich eigentlich fühlte. Sie kannte niemanden hier in der Fremde und freute sich nun insgeheim, dass sie endlich wieder mit jemandem sprechen konnte. Selbst, wenn es sich dabei um einen Drachen handelte.

      Beinahe eine Stunde verging, ehe Ramin zurückkehrte. In seinem Maul hing ein zerfetztes Reh, das er nun fallen ließ, um schließlich tief Luft zu holen und einen Rauchschwall aus seiner Kehle zu entlassen. Als das Wildtier gar war, verzehrte Skiria gierig eine Keule. Ramin verschlang laut schmatzend beinahe das ganze restliche Fleisch. Als sie ihr Mahl beendet hatten, platzte das Ungetüm jäh heraus: „Willst du meine Höhle sehen?“

      Skiria, die aus der Begegnung mit der Riesenechse bislang nur profitiert hatte, fragte sich, ob es nicht zu weit ginge, wenn sie dem Drachen nun auch noch in seine Behausung folgte. Immerhin handelte es um einen Waldbewohner, der sehr gefährlich werden konnte. Was würde sie erwarten, wenn seine Stimmung plötzlich umschlug und er sich unvermittelt in eine wilde Bestie verwandelte?

      Doch Ramin wartete ihre Antwort erst gar nicht ab, sondern begann, einen Weg durch das Dickicht für sie freizutrampeln, in der Erwartung, das Mädchen folge ihm wie selbstverständlich. Schulterzuckend setzte sich Skiria in Bewegung, nicht ohne die Rehkeule zu schultern, die Ramin übriggelassen hatte. Was konnte sie schon verlieren?

      Ihr Marsch führte die beiden in ein Waldgebiet, in dem große, moosbewachsene Felsen den Eindruck erweckten, kein menschliches Wesen hätte sie jemals berührt. Vorbei an tiefen Schluchten, in deren Abgründen sich rauschende Wassermassen ihren Weg suchten und kleineren Anhöhen, von deren höchstem Punkt man jedoch keinerlei Aussicht genießen konnte, da Buchen und Tannen den Blick in die Weite versperrten. Skiria fand es reichlich sonderbar, hinter einem Drachen herzulaufen und zweifelte, ob sie richtig entschieden hatte, Ramin bis in seine Höhle zu begleiten. Ständig sah sie sich nach einer Möglichkeit zur Flucht um, falls sich das Ungeheuer doch noch dazu entschließen sollte, sie anzugreifen.

      Ein gewaltiger Felsen türmte sich vor ihnen auf, als sie schließlich stehen blieben. In seiner Mitte spaltete ihn ein breiter Riss in zwei Teile und gab somit einen Weg frei, der ins Innere des Steins führte.

      „Dort hinein?“, fragte Skiria ungläubig, und Ramin bestätigte dies durch ein freudiges Schnauben.

      „Am besten, ich gehe wieder vor“, riet er und setzte sich in Bewegung. Als er erneut zu sprechen begann, befand Ramin sich bereits in dem Gang, und seine Worte hallten von den Steinwänden wider.

      „Der Weg führt zu unserer Höhle.“ Skiria stutzte.

      „Wieso unserer?“

      „Meine Mutter lebt noch hier, aber sie ist auf Reisen und ich bin allein...“

      Der Rest seines Satzes verschwamm im Echo, das seine Worte mehrfach wiedergab: „... bin allein ... allein ... allein ...“

      Angestrengt spähte Skiria in die Dunkelheit und erkannte gerade noch, wie er hinter einer Biegung verschwand. Unschlüssig stand sie vor dem Eingang. Sollte sie wirklich dort hinein gehen? Es blieb keine Zeit, diese Entscheidung lange hinauszuzögern, wenn sie den Anschluss an Ramin nicht verlieren wollte. Beherzt trat sie ein. Zuerst mit langsamen, vorsichtigen Schritten, die sich dann jedoch schnell beschleunigten, um Ramin wieder einzuholen. Zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass der Gang