Skiria - Am Berg der Drachen. Fran Rubin

Читать онлайн.
Название Skiria - Am Berg der Drachen
Автор произведения Fran Rubin
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847633556



Скачать книгу

auf dem sich Honiggläsern stapelten, deren Preis ihr erschwinglich schien. Schnell wurde sie sich mit der Marktfrau einig und ließ die Leckerei in ihrem Weidenkorb verschwinden.

      Gut gelaunt verließ Skiria den Markt und begab sich auf den Heimweg. Im tief stehenden Sonnenlicht wirkten die kalkweißen Mauern der Häuser Runas wie frisch gestärkte Leinentücher. Lange Zeit begegnete ihr niemand auf den einsamen Nebenstraßen. Als sie jedoch plötzlich trappelnde Schritte hinter sich hörte, schaute sie sich um. Ohne von Skiria Notiz zu nehmen, lief eine kleine, ausgemergelt wirkende Frau heran, die sie bereits einige Male im Dorf gesehen hatte. Ihren Rock hielt sie an beiden Enden hoch, als diene ihr dieser Teil ihres Kleides als Behältnis.

      Als sie an Skiria vorbei rannte, stießen ihre Ellbogen gegen das Mädchen, das ihr scheinbar im Weg stand. Dabei glitt der Stoff aus ihren Fingern, sodass der Inhalt ihres Rockschoßes auf die Straße kullerte.

      „So bleib doch stehen!“, rief Skiria ihr nach, „Deine Äpfel!“

      Aber die Frau reagierte nicht. Stattdessen bog sie flugs in eine Seitengasse ab und ließ Skiria inmitten der am Boden liegenden Äpfel stehen. Kopfschüttelnd sah sie ihr nach, bevor sie sich bückte, um das Obst aufzuheben, das sich, abgesehen von einigen angeschlagenen Stellen, in hervorragendem Zustand befand. Es wäre eine Schande gewesen, es einfach liegen zu lassen. Konzentriert sammelte sie die Früchte ein und merkte dabei nicht, dass Nestor Gamm seinen Marktstand verlassen hatte und auf Skiria zueilte. Erst als er keuchend vor ihr stand, blickte sie überrascht auf.

      „Was“, hechelte er, „was machst du mit meiner Ware?“

      Verwirrt sah sie auf.

      „Verzeihung, ich wusste nicht, dass es deine sind. Hier, nimm sie dir ruhig“, entschuldigte sich Skiria rasch, denn sie wollte diesen im Dorf äußerst angesehenen Mann keinesfalls verärgern. Doch als sie ihm einen der Äpfel reichen wollte, packte Nestor grob zu.

      „So leicht kommst du mir nicht davon!“, polterte er.

      Seine Gesichtsfarbe erinnerte dabei an Beerenmus und die winzigen Äuglein wirkten, als lugten darin gerade noch zwei faulige Früchte hervor. Wie Fesseln hielten seine grobschlächtigen Hände Skirias Unterarm umklammert.

      „Du hast nicht dafür bezahlt, stimmt’s?“, fragte er sie drohend.

      „Aber nein, es ist anders, als du denkst. Die Frau...“

      „Kleines Miststück!“, unterbrach Gamm sie barsch. „So zu lügen. Das werde ich dir austreiben!“

      „Das ist ein Missverständnis“, versuchte Skiria ihn aufzuklären. Der Schreck und die Empörung über die Anschuldigung ließen Tränen in ihre Augen treten. Nestor Gamm schien das zu freuen. Sein dickes Gesicht beugte sich über ihres, versucht, die Nase in ihrem duftenden Haar zu vergraben.

      „Na, mein Fräulein, wer wird denn gleich weinen“, säuselte er und blies dabei muffigen Atem in ihr Antlitz. „Du kannst dich ganz einfach revanchieren, dann vergessen wir diesen kleinen Vorfall.“

      „Wie?“, erkundigte sich Skiria Hoffnung schöpfend. Nestor grinste dreckig.

      „Komm heute Abend in mein Gemach. Es dauert auch nicht lange.“

      Die junge, schlanke Skiria stellte eine willkommene Abwechslung für Nestor dar, dessen Frau den Taillenumfang eines hundertjährigen Eichenstammes besaß. Wie jeden Abend bediente die stämmige Matrone auch heute in der örtlichen Dorfschenke, sodass sie ungestört sein würden. Erwartungsvoll blickte Gamm auf die vermeintliche Diebin, die sich in seinem Griff wand. Er wähnte sich bereits sicher, dass Skiria zu ihm käme, denn jeder wusste von seinem guten Verhältnis zu den wichtigsten Personen des Dorfes. Gewiss interessierte den hiesigen Wachmann, dass eine Diebin in Runa ihr Unwesen trieb. Schon zog er Skiria mit sich, doch das Mädchen beendete seine Vorfreude jäh und spie ihm mitten ins Gesicht.

      „Niemals würde ich das tun“, schleuderte sie ihm entgegen.

      Für einen Moment fassungslos, begriff Nestor nur langsam diese ungeheure Frechheit, während etwas Nasses unterhalb seines rechten Auges hinab lief. Als Gamm sich mit dem Ärmel über seine feiste Wange wischte, nutzte Skiria die Gelegenheit, um sich loszureißen. Geschwind lief sie davon und bog in die nächste Gasse ein, begleitet von Nestors donnernden Flüchen, die zwischen den Häuserwänden widerhallten.

      Er schien sie nicht zu verfolgen. Immer wieder blickte sich Skiria um, doch von der untersetzten Gestalt war nichts zu sehen. Sicher wusste Nestor, dass ihr schlanker Körper zu flink für ihn war. Trotzdem lief Skiria erst langsamer, als das kleine Haus zu sehen war, das sie zusammen mit Janus bewohnte. Die Tür knallte hinter ihr zu. Keuchend legte sie die Hände auf ihre Oberschenkel und wartete, bis ihr Atem sich beruhigte. Es war töricht von ihr gewesen, einen so wichtigen Mann zu bespucken. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wenn wenigstens ihr Bruder hier gewesen wäre, doch Janus arbeitete noch auf dem Feld.

      Ein wenig später beschloss Skiria, das Abendessen vorzubereiten und ging zu dem Schrank, in dem einige Vorräte lagerten. Als sie an dem kleinen Fenster vorbeikam, nahm sie draußen eine Bewegung wahr. Sie wagte kaum, hinauszusehen. Bestimmt kam Janus etwas früher nach Hause, versuchte sie sich zu beruhigen. Langsam drehte sie ihren Kopf, um durch das Glas zu blicken.

      Es waren gleich mehrere Männer, die sich zwar noch etwas entfernt, jedoch eindeutig auf dem Weg zu ihr befanden. Die königsblaue Uniform des Wachmannes stach aus der Menge der tristen Joppen hervor, mit denen seine Begleiter bekleidet waren. Dazwischen wehte die weiße Haarpracht des Dorfältesten, der entschlossen wirkend neben Nestor Gamm einherschritt.

      Skiria verließ ihr Heim durch die Hintertür und begann zu rennen, doch ihr Fluchtversuch blieb nicht unbemerkt.

      Skiria fühlte sich wie ein wildes Tier, verfolgt von einer Horde Jäger, von denen jeder die begehrte Trophäe ergattern wollte. Bald schmerzten ihre Beine, ihr Atem rasselte. Doch sie durfte nicht aufgeben. Auf Diebstahl standen schwere Strafen. Doch nicht nur die körperlichen Qualen, die ihr bei einer Verurteilung bevorstünden, ängstigten sie. Ihr Ruf im Dorf wäre für immer beschädigt. Niemand würde mehr ihr Getreide kaufen, sodass Janus und sie kein Einkommen mehr hätten.

      Unter ihren Füßen knisterte verdorrtes Gras. Der Sommer hatte dieses Jahr eine langanhaltende Hitzeperiode gebracht. Noch waren die Tage heiß und die Nächte lau, doch die Bürger des Dorfes Runa ahnten, dass sie sich bald auf kühlere Temperaturen einstellen mussten.

      Hinter der Wiese erhoben sich die Baumkronen des Waldes, in deren verblichenes Grün sich bereits bunte Farbtupfen mischten. Zielstrebig hielt Skiria darauf zu - ihre einzige Chance, den Männern zu entwischen. Keiner von ihnen brächte den Mut auf, ihr in den sagenumwobenen Hain zu folgen. Zu sehr fürchteten sich selbst gestandene Kerle vor dem Ungewissen, das hinter den Bäumen lauerte.

      Im Dorf schärften die Mütter bereits Kleinkindern ein, sich niemals in den Wald zu wagen, und Väter bekamen Wutanfälle, wenn sie ihre Söhne dabei erwischten, Mutproben zu veranstalten, die zum Ziel hatten, möglichst weit ins Unterholz vorzudringen. Skiria war noch ein kleines Kind gewesen, als ein Knabe namens Ogrin allein in den Wald gelaufen war. An die bangen Tage des Wartens konnte sie sich gut erinnern. Einige Mutige hatten zumindest einen breiten Gürtel am Rande des Waldes durchkämmt. Vergebens. Von Ogrin war niemals eine Spur gefunden worden.

      Was genau in dem Hain vor sich ging, konnte niemand genau sagen. Und von den Gestalten, die darin lebten, hatte Skiria nur eine vage Vorstellung. Doch eines wusste sie gewiss: Vor ihren Verfolgern sollte sie dort sicher sein.

      Skirias Vorsprung schien zu schmelzen. Als überzögen unvermittelt Wolken das Firmament, fiel jäh der Schatten der Bäume auf sie. Die Jäger blinzelten gegen das Sonnenlicht und erkannten gerade noch den hüftlangen Zopf, der um ihre Hüften tanzte, bevor das Mädchen in die unbekannte Wildnis entschwand.

      Skiria suchte sich einen Weg zwischen den Stämmen der Buchen, durch deren Kronen wenige Sonnenstrahlen einfielen. Beinahe mit jedem Schritt, den Skiria zurücklegte, schien sich ihre Umgebung jedoch zu verfinstern, bis schließlich kaum mehr Tageslicht durch das dichte Blätterdach drang. Aus der Ferne