Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit oder wie der Mensch den Wolf zähmte.. Karl Reiche

Читать онлайн.
Название Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit oder wie der Mensch den Wolf zähmte.
Автор произведения Karl Reiche
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738067422



Скачать книгу

verließ er instinktiv den Bau und lief nach draußen. Seine drei Geschwister folgten ihm. Vor ihrer Höhle herrschte das Chaos. Die bisher so behagliche und gemütliche Behausung war von einem Blitz getroffen worden und das trockene Holz hatte sofort Feuer gefangen. Ihr Bau war ein einziges Flammenmeer. Obendrein wehte ein starker Wind, der das Feuer auch zu den umliegenden Büschen und Sträuchern trieb. Diese begannen ebenfalls schnell zu brennen und bald stand die gesamte Lichtung um ihren Bau herum in Flammen.

      Die Welpen wollten in Panik geraten und ängstlich davonlaufen, aber ihre Nummer „Eins“ versuchte, Ruhe zu bewahren. Er wusste instinktiv, dass sie diesem Flammenmeer nicht allein entkommen konnten. Ihre einzige Chance waren die Eltern. Aber wie sollten diese sie finden, wenn sie jetzt fluchtartig den Bereich ihres Baues verließen? Also hockte er sich hin und heulte so laut er konnte, um seine Eltern herbeizurufen.

      Derweil breitete sich das Feuer immer weiter aus, schloss die sich ängstlich zusammenkauernden Welpen vollständig ein und näherte sich ihnen unaufhaltsam.

Image

      Durch den Wald zogen eine kleine Gruppe von sieben jungen Männern und zwei Frauen nach Norden. Sie waren zwischen vierzehn und neunzehn Jahre alt. Ihr Anführer Kaar war mit siebzehn Jahren und mit mehr als 180 cm Größe zwar der Größte von ihnen, aber nicht der Älteste. Er hatte langes dunkelbraunes Haar, den ersten Ansatz eines Bartes am Kinn und braune Augen. Trotz seiner schlanken Gestalt war er sehr kräftig.

      Seine Führung hatten die anderen schon immer anerkannt, seit sie als kleine Kinder zusammen gespielt und Streiche ausgeheckt hatten. Er hatte sich immer die interessantesten Unternehmungen für sie ausgedacht, manchmal nicht ganz ungefährliche, aber immer höchst spannende. Er war auch der Nachdenklichste der jungen Männer, beobachtete seine Umgebung genau, konnte Situationen gut einschätzen und aus ihnen die richtigen Schlüsse ziehen. Andererseits war er aber der Unternehmungslustigste und auch der Intelligenteste der Gruppe und somit einfach ein geborener Anführer.

      Die meisten der anderen jungen Männer erkannten dies problemlos an.

      Die beiden jungen Frauen in der Gruppe, Aja und Ina, waren die Gefährtinnen der beiden ältesten der jungen Männer Petr und Ian und wollten ihre Männer unbedingt begleiten.

      En war Kaars um ein Jahr älterer Bruder und sah ihm sehr ähnlich, war aber nicht ganz so groß. Er war ein sympathischer und sehr gewinnender junger Mann, der ständig gut gelaunt und immer fröhlich war. Seine gute Laune sorgte dafür, dass es in der Gruppe so gut wie nie zu Spannungen kam.

      Raf war genauso alt wie Kaar, kräftig und untersetzt. Er war ein ruhiger und ausgeglichener Typ und gemeinsam mit En und Kaar trug er viel zum Zusammenhalt der jungen Männer bei.

      Sig und Bor waren mit 16 und 14 Jahren die jüngsten Mitglieder dieser Gruppe. Obwohl Bor der Jüngste von ihnen war, konnte er es, was seine Kraft anging, mit den anderen aufnehmen. Er war nur mittelgroß, aber sehr gedrungen und man ahnte bereits jetzt, welche ungeheuren Körperkräfte er einmal entwickeln würde.

      Sig war ebenfalls nur mittelgroß und sehr schlank, aber der Lebhafteste unter ihnen. Er sprühte förmlich vor Energie.

      Ian war mit neunzehn Jahren der Älteste. Er hatte an vielem etwas auszusetzen, nörgelte oft an Entscheidungen von Kaar herum, und er war es auch, der immer wieder versuchte, Kaars Rolle als Anführer infrage zu stellen.

      Vor einigen Jahren waren Besucher aus dem Süden in ihre Höhle gekommen und hatten, während sie mit den Jägern der Sippe Jagdabenteuer austauschten, eine abenteuerliche Geschichte erzählt:

      „Wir waren mit zehn Jägern unterwegs und wollten in der Steppe Elenantilopen erlegen. Von weitem beobachteten wir gerade eine Herde, als diese von einem großen Rudel Wölfe angegriffen wurde, die es wohl auf einige der Kälber abgesehen hatten. Die Antilopen spritzten auseinander, doch einige der Tiere wurden von den Wölfen genau in unsere Richtung getrieben. Wir versteckten uns also, und als sie an uns vorbei gerannt kamen, konnten wir sechs von ihnen erlegen.“

      Der Erzähler hatte in diesem Moment die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Jäger der Sippe. Diese Wölfe gab es auch in ihrer Gegend. Sie waren nicht sehr groß, sehr schlank und hatten große Ohren. Image

      „Was geschah dann? Haben die Wölfe euch angegriffen?“

      „Nein, sie waren wohl von unserem Auftauchen genauso überrascht wie die Antilopen. Während die restlichen Tiere der Herde flohen, blieben die Wölfe in unserer Nähe und beobachteten uns.“

      „Sie haben euch nichts getan?“

      „Nein, sie haben uns nur beobachtet.“

      „Was habt ihr gemacht?“

      „Nun, wir waren zehn Männer und zwei von uns konnten gerade mit Mühe eine dieser großen Antilopen tragen. Mit so viel Beute hatten wir gar nicht gerechnet. Wir haben also aus schlanken Baumstämmen Tragestangen hergestellt und fünf der Antilopen nach Hause gebracht. Die Sechste haben wir einfach liegen gelassen. Ich nehme an, die Wölfe haben sie gefressen, sobald wir weg waren.“

      Die Männer hatten alle genickt und aus der Erzählung dieses Besuchers nur den Schluss gezogen, dass selbst ein großes Rudel Wölfe sie nicht angriff. Auch Kaar hatte interessiert zugehört.

      In seinem Kopf kreiste eine Idee, die er aber noch nicht genau formulieren konnte. Ihm brannte die Frage geradezu auf der Zunge, ob diese Jäger nicht versucht hatten, einen solchen Jagderfolg in Zusammenarbeit mit den Wölfen zu wiederholen.

      Doch er war nur ein Junge, galt noch nicht als erwachsener Mann und durfte in dieser Versammlung zwar zuhören, aber nicht sprechen. Also unterdrückte er seine Frage, begann aber, sich für die Wölfe zu interessieren und sie, so oft er dazu Gelegenheit hatte, zu beobachten. Die Idee, mit Wölfen gemeinsam auf die Jagd zu gehen, begann langsam in seinem Kopf Gestalt anzunehmen.

      Er überlegte, wie er sich mit diesen Wölfen anfreunden könnte. Aber wie sollte er überhaupt Kontakt zu ihnen bekommen? Sie waren scheu und ließen ihn nie sehr nahe an sich heran. Er beobachtete zwar manchmal, wie sie im Rudel Wild müde hetzten und es dann töteten, kam aber nie nahe genug heran, um sich an der Jagd beteiligen zu können. Immer wenn er sich näherte, verschwanden die Wölfe. Ich muss irgendwie ihr Vertrauen erringen, dachte er sich, aber wie?

      Er fand keine Lösung, auch nicht im Laufe der Zeit, während er älter wurde. Also stellte er seine Überlegungen in dieser Richtung erst einmal zurück.

      Er vergaß sie aber nie. Image

      Im vergangenen Winter hatte ein anderer weit gereister Besucher in der Höhle ihrer Sippe, in der Nähe des großen Binnenmeeres, überwintert und ihnen an den langen Abenden unglaubliche Geschichten erzählt. Er war weit oben im Norden gewesen und hatte von vereisten Gebirgen, tiefen dunklen Nadelwäldern und weiten grasbewachsenen Tundren berichtet. Das Interessanteste aber waren seine Erzählungen von den dort lebenden Tieren gewesen. Er hatte vom riesigen Mammut und Wollnashorn, von Wisenten und Riesenhirschen und von gefährlichen Raubtieren, wie dem Höhlenlöwen und dem Höhlenbären, berichtet. Angeblich hatte er dort oben im Norden auch den Rand des großen Eises gesehen, das sich mehrere Hundert Meter hoch aus der Tundra erhob.

      Mit diesen Geschichten hatte er die Neugier und die Abenteuerlust der jungen Männer geweckt und Kaar hatte seine Freunde nicht lange überreden müssen. Auch sie wollten eine Reise in den Norden unternehmen und fieberten bereits dem großen Abenteuer entgegen.

      Als sie ihren Entschluss den Sippenältesten mitgeteilt hatten, gab es in der Gruppe einige Aufregung, vor allem bei Bors Mutter, die sich aber bald wieder legte.

      Die