Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit oder wie der Mensch den Wolf zähmte.. Karl Reiche

Читать онлайн.
Название Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit oder wie der Mensch den Wolf zähmte.
Автор произведения Karl Reiche
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738067422



Скачать книгу

die Männer machten sich daran, so viele und so dünne Weidenzweige wie möglich mit ihren Steinäxten zu schneiden. Aus diesen flochten die Frauen einen überdimensional großen und breiten runden Korb. Image

      Der fertige Korb wurde mit einer aus mehreren großen Fellen zusammengenähten Plane überzogen, die um den Rand des Korbes gelegt und befestigt wurde. Die Nähte bestrichen sie mit heiß gemachtem Birkenpech, und als es abkühlte und hart wurde, hatten sie ein wasserdichtes rundes Boot.

      Nachdem das Boot fertig war, verstauten sie ihre Kiepen darin, zogen ihre Kleidung aus, verstauten sie ebenfalls in ihrem schwimmenden Korb und schoben den in den Fluss. Sie konnten alle mehr oder weniger gut schwimmen. Die drei Frauen sowie Bor, Sig und Raf waren ihre schwächsten Schwimmer. Deshalb sollten sie sich am Rand des Korbes festhalten und ihr Gefährt mit den Füßen vorantreiben, während Kaar, Ian, Petr und En das Boot vom gegenüberliegenden Ende an Lederleinen ziehen wollten.

      Es war ein heißer Frühlingstag, aber das Wasser war dennoch eiskalt. Sobald sie das Boot in den Fluss geschoben hatten, wurde es von der Strömung erfasst und riss sie mit sich. Am schnellen Vorbeigleiten der Ufer konnten sie die Stärke der Strömung erkennen. Sie war enorm stark und zerrte an ihnen. Nur langsam und ganz allmählich näherten sie sich der gegenüberliegenden Seite.

      Auf einmal hörten sie einen lauten Schrei von Mona und dann sahen die vier Schwimmer vorn, wie sie, von der Strömung erfasst, schnell davon getrieben wurde. Sie hatte wohl vor Kälte den Rand des Bootes losgelassen. En brüllte vor Schreck auf, ließ seine Lederleine los und folgte ihr mit schnellen Schwimmzügen. Er war ein sehr guter Schwimmer und erreichte sie gerade noch, als sie unterzugehen begann. Er schaffte es, ihr Haar zu ergreifen und ihren Kopf wieder über Wasser zu ziehen. Mona schnappte nach Luft. Sie war in Panik geraten und klammerte sich jetzt verzweifelt an ihn. So drohten beide unterzugehen.

      Doch Kaar war En gefolgt und packte einen von Monas Armen. Er löste ihre Umklammerung von En und schrie sie an: „Halt dich mit je einer Hand an Ens und meinem Haar fest. Wir helfen dir an Land.“ Durch Ens Nähe beruhigte Mona sich wieder etwas, griff dann Kaar und En in die langen Haare, wickelte sie in einer dicken Strähne um ihre Hände und hielt sich so über Wasser.

      „Es geht wieder“, rief sie ihnen zu. „Meine Hände waren vor Kälte ganz starr und ich habe einen Moment nicht aufgepasst und bin abgerutscht.“ Sie hatte ihre Panik überwunden und brachte sogar wieder ein etwas verkrampftes Lächeln zustande.

      Während Kaar und En zügig in Richtung des gegenüberliegenden Ufers schwammen, hielt sie sich an deren Haaren fest und unterstützte sie durch Schwimmbewegungen mit den Beinen. Kaar verzog dabei ständig das Gesicht. Der Griff in seinem Haar war außerordentlich fest und tat weh.

      Als sie endlich das andere Ufer erreichten und an Land gingen, konnten sie gerade noch das Boot in einer Biegung flussabwärts verschwinden sehen. Doch es hatte weit mehr als die Hälfte der Flussbreite überquert und näherte sich ebenfalls der gegenüberliegenden Seite. Alle anderen fünf Schwimmer hielten sich noch am Bootsrand fest und Ian und Petr zogen ebenfalls noch an den Lederseilen am anderen Ende.

      En nahm Mona in die Arme und küsste sie erleichtert, während Kaar mit einer komischen Grimasse seinen Hinterkopf massierte. „Was machst du da?“, fragte ihn Mona erstaunt. „Ich fühle nach, ob ich noch alle Haare habe. Du hast einen sehr festen Griff.“

      Auch En rieb grinsend seinen Hinterkopf. „Ich hätte gern mehr als nur meine Haare geopfert, um dein Leben zu retten“, murmelte er dann lakonisch. Mona fiel ihm mit einem verliebten Lächeln noch einmal in die Arme. „Danke En, dir auch Kaar.“

      „Kommt, wir müssen weiter und die Anderen suchen. Hoffentlich sind die wenigstens gut an Land gekommen.“

      Doch bevor er sich abwandte, um am Fluss entlang nach dem Rest ihrer Gruppe zu suchen, hockte Kaar sich noch einmal ans Ufer, schöpfte mit der Hand eine kleine Menge Wasser und ließ es wieder in den Fluss rinnen.

      „Geist des Flusses, wir danken dir für deine Hilfe und dass du uns erlaubt hast, Monas Leben zu retten.“

      Ehrfürchtig und dankbar taten En und Mona es ihm nach.

      Dann liefen sie das Ufer entlang stromabwärts und fanden die anderen Mitglieder ihrer Gruppe bereits nach kurzer Zeit. Ian und Petr hatten als Erste den Strand erreicht und das Boot mit den am anderen Ende hängenden Schwimmern an Land gezogen.

      Sie waren vom kalten Wasser stark ausgekühlt, froren trotz des warmen Sonnentages und beschlossen deshalb, zunächst ein großes Feuer anzuzünden, um sich wieder aufzuwärmen.

      „Was machen wir mit dem Boot?“, fragte En, nachdem sie ihre Kleidung wieder angezogen hatten und allen wieder warm geworden war. „Wir lassen es hier. Vielleicht findet es jemand, kann es gebrauchen und freut sich“, schlug Kaar vor. Alle, bis auf Ian, nickten zustimmend. „Warum sollen wir es hier zurücklassen“, mäkelte der. „Es hat uns doch so viel Arbeit gekostet, es herzustellen.“

      „Es ist zwar nicht schwer, aber viel zu sperrig, um es mitzunehmen“, antwortete ihm En. „Und Felle haben wir mehr als genug.“

      Der Rest ihrer Wanderung war dann einfach. Sie folgten diesem Wasserlauf einige Tage flussabwärts und kamen an die Stelle, an der er in den großen Fluss mündete. Es war ein breiter Strom der, wie Monas Vater es ihnen beschrieben hatte, hier fast genau nach Süden floss. Sie brauchten diesem Strom nur noch nach Norden zu folgen.

      Nach einem Marsch von einem weiteren halben Mondzyklus sahen sie schon von weitem das Lager der Leute am großen Strom.

      Mitten im späten Frühsommer kamen sie bei der Höhle der dort lebenden Menschen an.

      Plötzlich war ein grauer Schatten über dem sich ängstlich duckenden Welpen. Er packte ihn mit dem Maul, sprang mit ihm durch die Flammenwand, erreichte den noch nicht brennenden Teil des Waldes und trug ihn in rasenden Sprüngen davon. Sein Vater war gerade noch rechtzeitig gekommen.

      Die Wölfin folgte dem Rüden auf dem Fuß, packte die kräftigere der beiden kleinen Wölfinnen ebenfalls mit dem Maul, warf noch einen letzten, schmerzlichen und verzweifelten Blick auf ihre beiden kleinsten Welpen und raste hinter dem Rüden her.

      Gegen jeden anderen Feind hätte sie gekämpft, um das Leben ihrer Welpen zu schützen, aber sie wusste, gegen diesen Feind konnte sie nicht kämpfen. Da half nur schnelle Flucht.

      Auf diese Weise konnten die Altwölfe wenigstens zwei ihrer Welpen retten.

      Die beiden erwachsenen Wölfe rannten, so schnell sie konnten, vor den sich immer weiter und schneller ausbreitenden Flammen davon. Der Rüde übernahm die Führung und führte sie instinktiv im rechten Winkel zu der Richtung, in die sich das Feuer ausbreitete, nach Südwesten.

      Trotzdem wurde es knapp, denn angefacht von dem kräftigen Nordwestwind entwickelte sich ein starker Funkenflug, der die Flammen über die Wipfel der Bäume vorantrug. Manches Mal rasten sie durch Waldstücke, wo sie am Boden gerade noch durchkamen, über ihnen die Baumkronen aber bereits brannten.

      Doch sie hatten Glück. Gerade als das Feuer sie überholte und die Flammen sie fast eingeschlossen hatten, fing es endlich an, wolkenbruchartig zu regnen und die Ausbreitung des Feuers verlangsamte sich.

      Der bereits in Flammen stehende Wald aber brannte größtenteils nieder und damit auch ihr bisheriges Jagdrevier.

      Sie mussten weiter und sich ein neues Revier suchen.

      Zunächst aber machten sie eine Rast, um sich von dem schnellen Lauf zu erholen und auch, damit die Wölfin die beiden Welpen säugen konnte. Da die Wölfin Milch für vier Welpen hatte, jetzt aber nur noch zwei versorgt werden mussten, reichte ihre Milch, um die beiden Kleinen satt zu bekommen, ohne ihnen zusätzlich Fleisch anbieten zu müssen.

      Nach einer Weile wurde der Rüde unruhig. Er hatte