Menosgada. Werner Karl

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Название Menosgada
Автор произведения Werner Karl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738084931



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Ein misstrauischer Bursche.

      »Nein, darin ist nicht meine Ware.« Er zögerte und vernahm erneute Hornsignale, die sich bis zur Stadt auf dem Berg fortsetzten. »Ich fand einen toten Körper im Fluss treiben«, fuhr er fort und registrierte, dass sich die Mienen der Männer augenblicklich verdunkelten. »Ich zog ihn aus dem Wasser und sah, dass man dem Opfer die Kehle durchgeschnitten hatte …«

      »Warum sollten wir nicht denken, dass du das warst?«, rief nun der Speerträger und machte einen Schritt nach vorn.

      »Würde ich dann damit zu euch kommen? Allein?«

      Plötzlich drang Hufgetrappel zu ihnen und er sah einen Trupp Reiter den Hang zwischen mittleren und unteren Ring herabpreschen. »Glaubt ihr, ich würde mich einer hundertfachen Übermacht entgegenstellen, wenn ich einen von euch getötet hätte?«

      Verunsichert blickten sich die Bauern an und wussten nicht, was sie tun sollten. Der Kräftige drehte sich dem Geräusch zu und sah, wie die Reiter gerade ein Tor passierten und kurz darauf bei ihnen in einer Staubwolke ankamen und den Fremden sofort umringten.

      Arwed fiel beim Vordersten sofort das Missverhältnis von Reiter und Pferd ins Auge. Der Mann wirkte wie zwei Krieger, so breit und massig drückte er dem Pferd ins Kreuz. Zum Ausgleich war er eher klein geraten. Arwed schätzte mindestens einen und einen halben Kopf kleiner als er selbst. Trotzdem schienen alle den Kleinen als Anführer zu akzeptieren.

      Vielleicht sind sein Alter und seine Erfahrung wichtiger als Jugend und Größe, dachte Arwed und blickte dem Mann offen entgegen. Er musterte dessen Narben auf Armen und Brust, dazu seine weiß gekalkten Haare und die Metallringe an Hals und beiden Oberarmen.

      Auch das Objekt seiner Betrachtung verhielt mit seinem Pferd nun Arwed gegenüber und begutachtete ihn einen langen Moment. Das Pferd blähte die Nüstern und schien den Geruch des fremden Pferdes interessiert aufzunehmen, denn es schnaubte leise und hätte einen Schritt getan, hätte sein Reiter es nicht mit einem Stoß in die Flanken daran gehindert. Ohne den Blick von ihm zu wenden, rief er über die Schulter den Bauern zu.

      »Was ist das für einer, Drostan?«

      Dieser Drostan muss also wirklich angesehener sein als der Speerträger, überlegte Arwed und blieb gespannt stehen.

      »Er behauptet, er sei ein Bernsteinhändler, Wolfried.« Drostan schien sich plötzlich in der Rolle zu gefallen und kam ein paar Schritte näher. Als Arwed ihn stumm in die Augen blickte, blieb der Bauer stehen und sagte mit deutlich weniger Großspurigkeit: »Außerdem hat er eine Leiche dabei …«

      Von einem Moment zum anderen sah sich Arwed von einem Dutzend Speerspitzen bedroht.

      »Ich bin nicht der Mörder«, sprach er ruhig. »Der würde wohl kaum zu euch kommen und sein Opfer auch noch mitbringen«, wiederholte er sein vorheriges Argument. »Außerdem scheint mir der Mord an einem Kind kein guter Anfang für Handelsbeziehungen zu sein.«

      »Ein Kind?« Der Anführer der Reiter war wohl kein Hitzkopf, denn er betrachtete Arwed abschätzend und schien geneigt, in ihm keinen Mörder zu sehen.

      »Ein Junge.«

      »Zeig ihn mir!«, befahl er und stieg überraschend flink von seinem Reittier. Das Ross schnaubte erleichtert und einige der Männer dahinter lächelten verhalten.

      Arwed drehte sich langsam zu seinem Pferd, nahm das Bündel und legte es behutsam zu Boden. Mit bedächtigen Bewegungen richtete er den Leichnam gerade aus und faltete die Felle auseinander, in die er ihn gewickelt hatte. Zum Vorschein kam der Junge, die Hände über der Brust gefaltet und mit einem Strauß bunter Blumen und Kräuter darin. Wieder strich Arwed dem Toten die Haare aus dem Gesicht, dann erhob er sich.

      »Kennst du ihn?«, fragte er den Kelten mit deutlichem Mitgefühl in der Stimme.

      »Nein.«

      Wolfried warf einen Blick auf Arwed und wartete. Dieser verstand und trat einige Schritte zurück. Dann beugte sich der kleine Mann hinab und betrachtete das Gesicht des Jungen genau. Plötzlich keuchte er auf und strich mit einem Finger die Kanten des Schnittes entlang. Erst jetzt fielen dem Germanen die schwarz gefärbten Ränder der Wunde auf. Zunächst hatte er sie für Dreck oder Uferschlamm gehalten, doch jetzt wurde ihm klar, dass das Wasser solche Spuren längst fortgewaschen hätte.

      Arwed missdeutete den Laut des Kriegers.

      »Also erkennst du ihn doch?«

      »Nein, Fremder. Dieser Junge stammt nicht aus unserer Stadt … und du bist nicht sein Mörder«, ergänzte er und stand wieder auf. »Dies war die Tat eines Schwarzen Kriegers!«

      Kapitel IX: Der erste Blick

      Das Erste was Arwed beim Marsch den Berg hinauf auffiel, war, dass die Tore an einem Weg lagen, der links an den Wällen entlang lief. Daneben ging es recht steil den Hang hinab. Dies bedeutete nichts anderes, als dass ein Mann, der rechts sein Schwert in der Hand hielt und somit seinen Schild in der Linken, ungedeckt war. Die Verteidiger hätten ein leichtes Spiel. Er versuchte sein Erstaunen, ja seine Bewunderung über diese sinnvolle Bauweise sich nicht anmerken zu lassen. Dass sie ihn zu Fuß und nicht auf seinem Pferd den Weg nehmen ließen, war ihm sogar recht. Denn somit hatte er mehr Zeit, alles – und wie er hoffte unauffällig – betrachten zu können.

      Die Wälle selbst bestanden aus Bruchsteinen, die von senkrechten Holzbalken unterbrochen wurden. Beides ragte in doppelter Mannshöhe vor ihm auf. Am oberen Ende befanden sich Querbalken, hinter denen er ab und zu Männer stehen sah, die ihn misstrauisch beäugten und wohl am liebsten ihre Speere auf ihn geschleudert hätten. Der Weg bog vom Rand der Bergkante ab und mündete in einen Hohlweg, der nun zu beiden Seiten befestigte Wälle besaß.

      Ein angreifendes Heer würde von beiden Seiten beschossen werden, dachte Arwed nüchtern und sah, dass der Weg zu einem Tor führte, das von einem Übergang bewacht wurde, auf dem mehrere Krieger standen und ihn mit finsteren Blicken empfingen. Arwed war sich sicher, dass er längst tot gewesen wäre, hätte ihn nicht der Reitertrupp begleitet, der stumm vor und hinter ihm ritt. Niemand sprach auch nur ein Wort. Sie passierten das Tor, das sich ohne Befehl öffnete und den Blick auf die Ebene dahinter freigab.

      Er sah Felder, darin verstreut vereinzelte Scheunen und andere Gebäude, von denen er annahm, dass sie als Lager oder Werkstätten dienten. Denn sie machten nicht den Eindruck, dass sie bewohnt waren. Mehr als drei Dutzend Männer und Frauen arbeiteten dort und warfen nur gelegentlich Blicke auf den Trupp. Als sie allerdings erkannten, wer da inmitten einer Horde Krieger ging, stellten sie ihre Arbeit ein und verfolgten jeden seiner Schritte.

      Arwed wandte sich ihnen zu und gab sich Mühe, einen freundlichen Ausdruck im Gesicht zu tragen. Schließlich musste er die Rolle des Händlers überzeugend spielen. Ein griesgrämiges oder ängstliches Gesicht passte nicht zu einem Händler, der auf ein gutes Geschäft hoffte. Nach der halben Strecke zum nächsten Wall erhob er seine freie Hand und winkte den Leuten zu. Niemand erwiderte den Gruß.

      Der Durchgang am zweiten Wall verlief wie bei dem zuvor. Doch der Anblick dahinter unterschied sich in einigen Punkten von dem der ersten Ebene. Er sah Ziegen und Schafe weiden, dazwischen etliche Obstbäume und mehrere Wohnhäuser. Ein geschäftiges Treiben ging vonstatten und nur wenige nahmen Notiz von dem Trupp. Nur die unmittelbar am Weg arbeitenden Menschen verhielten sich wie jene eine Ebene tiefer. Sie warfen ihm Blicke zu, die wohl, je nach Charakter, Neugier, Zurückhaltung oder Misstrauen ausdrückten. Aber allen war eines gemeinsam: eine unterschwellige Angst, die er sich nur schwer erklären konnte.

      Arwed wusste, dass sein Volk noch nicht so weit in den Süden vorgestoßen war, als dass es zu größeren Auseinandersetzungen hätte kommen können. Allerdings wusste er auch, dass es bald dazu kommen würde. Schließlich war er genau aus diesem Grund hier.

      Der Germane blieb dort stehen, wo man ihn dazu aufgefordert hatte. Vier Krieger umringten ihn, zwei davon noch immer auf ihren Pferden. Die beiden anderen standen zu beiden Seiten ein wenig hinter ihm. Arwed war klar, dass er nicht