Für Freiheit, Lincoln und Lee. Michael Schenk

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Название Für Freiheit, Lincoln und Lee
Автор произведения Michael Schenk
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738064353



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sah man ihn nur im Speisesaal ohne die Pfeife, die ähnlich verwittert schien, wie ihr Besitzer.

      Eine ganze Reihe von Seeleuten kniete mit Scheuersteinen auf den Planken und schrubbte sie. Seemännische Bordroutine, ebenso wie die Arbeiten in der Takelage und an den Segeln, denn auch wenn die Celeste unter Dampf fuhr, hielt Captain Helms sie jederzeit bereit, auf die Windkraft zurückzugreifen. Der Seewind bauschte Friederikes Röcke, während sie an den Matrosen vorbei zum Bug des Schiffes ging. Hier ragte der Bugspriet wie ein mächtiger Stoßzahn nach vorne und schien dem Schiff den Weg zu weisen. Friederike beugte sich ein wenig über die Reling, um einen Blick auf die Galionsfigur zu werfen, die eine barbusige Meerjungfrau darstellte.

      „Sie sollten Vorsicht walten lassen, gnädiges Fräulein“, erklang Timothy Arguilles Stimme hinter ihr. „Wenn eine stärkere Welle kommt und wir überlegen, könnte es gefährlich werden.“

      Wie um die Worte des Seeoffiziers zu untermauern, legte sich die Celeste erneut über und Arguille griff hastig an Friederikes Arm und hielt sie fest. Für einen Moment erschrak sie, während der Leutnant sie hielt. Nach ein paar Sekunden ließ er ihren Arm los und trat zurück. „Verzeihung, gnädiges Fräulein.“

      „Nein, es gibt nichts zu verzeihen“, sagte sie rasch und bemerkte sein Erröten. Ihre Gegenwart schien den jungen Offizier verlegen zu machen. Irgendwie fand sie es süß, wie er unter seiner Bräune errötete. „Es war mein Fehler und sie haben mich möglicherweise vor einem schrecklichen Sturz ins Meer bewahrt.“

      Arguilles Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln, das zwei Grübchen auf seine Wangen zauberte. Für einen Moment sahen sie sich schweigend an und eher unbewusst verglich Friederike den Schiffsoffizier mit ihrem Friedrich. Friedrich war ein gestandener Bursche, sicherlich ein guter Landwirt, wenn er einmal einen Hof führte. Ganz anders als dieser junge Offizier, der so mit dem Meer verwachsen schien und zugleich gute Manieren zeigte. Dennoch war da eine seltsame Gemeinsamkeit zwischen Timothy Arguille und Friedrich Baumgart, die Friederike zunächst nicht einordnen konnte.

      Der Schiffsoffizier räusperte sich und wies mit dem Arm hinter sie. „Die liegen fest.“

      „Wie?“ Sie wandte sich um und sah verschwommen ein entferntes Schiff.

      Arguille reichte ihr sein Fernglas und wies zu dem Schiff hinüber. „Einer der Großsegler. Eine Vier-Mast-Bark. Wahrscheinlich einer der großen Tee-Clipper, die zwischen den Kontinenten unterwegs sind. Hat noch keine Dampfmaschine und ist auf die Windkraft angewiesen. Sehen sie seine großen Segel? Wenn er guten Wind hat, lässt er uns weit hinter sich, aber jetzt liegt er in einer Flaute.“

      Friederike betrachtete interessiert den Clipper, dessen große Segeltuchflächen schlaff an den Rahen hingen und kaum bewegt wurden. Timothy Arguille beugte sich neben ihr über die Reling und sie spürte seine Nähe. Es war ein angenehmes Gefühl, das sie lange vermisst hatte und einen wohligen Schauder über ihren Rücken jagte.

      „Fräulein Ganzweiler, gestatten Sie mir eine Frage?“

      „Sicher.“ Sie wandte den Blick nicht von dem anderen Schiff, da sie sich scheute, den jungen Offizier anzusehen.

      „Heute Abend, äh, ist doch der kleine Empfang im Salon“, sagte Arguille und räusperte sich verlegen. „Würden Sie mir die Ehre geben, mich zu begleiten?“

      Friederike spürte die Unsicherheit in seiner Stimme. Sie überlegte. Warum sollte sie nicht mit ihm zu dem kleinen Empfang gehen, welcher der Unterhaltung der Passagiere auf der wochenlangen Überfahrt diente? Es tat ihr sicherlich gut, etwas Abwechslung zu erleben. „Es wäre mir nicht unangenehm, Herr Leutnant Arguille.“

      „Dann, äh, dann darf ich Sie gegen Acht Uhr abholen, gnädiges Fräulein?“

      Sie senkte das Fernglas, drehte sich zu ihm um und reichte es ihm. „Sie dürfen, Herr Leutnant.“

      Er sah süß aus, wie er abermals die Grübchen bekam. Timothy Arguille räusperte sich erneut und grüßte Friederike verlegen, bevor er sich wieder seinen Dienstgeschäften zuwandte. Friederike sah ihm einen Moment nach und lächelte. Er war wirklich ein netter Kerl. Sie dachte an ihre Mutter Karolina. Auch wenn sie ihrer Mutter nichts Schlechtes wünschen wollte, so hoffte sie doch, dass ihre Unpässlichkeit auch an diesem Abend anhalten würde. Es wäre bedauerlich, wenn die Übervorsicht ihrer Mutter ihr diese kleine Abwechslung verdarb. Warum sollte sie nicht ein wenig flirten? Es würde ihr gut tun und Leutnant Arguille sicherlich auch. Arguille, was war das eigentlich für ein Name? Es klang schottisch, aber er sprach ein akzentfreies Deutsch. Friederike lächelte. Sie hatte sich im vergangenen Jahr ausgiebig auf die neue Heimat vorbereitet und sprach nun neben dem Französisch, welches sie ohnehin beherrschte, auch ein ausgezeichnetes Englisch.

      Spielerisch strich sie über die Reling des Schiffes. Ja, sie freute sich auf den Abend. Ihr Blick fiel auf die Brücke und ihre Augen begegneten denen von Arguille, der dort neben dem Steuermann stand. Dahinter erkannte sie Captain Helms und für einen Moment hatte Friederike das Gefühl, dessen freundlichen Augen zeigten einen besorgten Schimmer.

      Sie ahnte, was in dem erfahrenen Seemann vorging, doch seine Sorgen waren unbegründet. Sie würde die Gesellschaft Arguilles genießen, doch sie würde ihm nichts zugestehen, was einem anderen versprochen war. Ihre Gedanken glitten zu Friedrich Baumgart. Sie hatten sich nun schon lange nicht mehr gesehen und nichts voneinander gehört. Sie wusste nicht einmal, ob er tatsächlich in Amerika angekommen war. Sie machte sich Sorgen um ihn. Große Sorgen. Doch während sie so über das Meer blickte, da fragte sie sich, ob diese Sorgen auch mit ihren Sehnsüchten einhergingen.

      Sie hatte so vieles mit Friedrich gemeinsam. Aber waren dies wirklich Gemeinsamkeiten oder war es nur eine Schwärmerei, die sie aneinander band? Alles war so klar für sie gewesen, als sie sich in der Frankfurter Paulskirche begegneten und als sie gemeinsam für die Demokratie einstanden. Doch das war in der Heimat gewesen. Der Heimat, in der die demokratische Bewegung gescheitert war und die nun hinter dem Heck der Celeste immer weiter in die Vergangenheit glitt.

      Die Zukunft lag vor ihr. Die große Demokratie in Amerika. Ein Präsident, der vom Volk gewählt worden war. Vor ihr lag eine neue Heimat und Friederike fragte sich, welche Gemeinsamkeit sie noch mit Friedrich verband.

      Kapitel 6 1854 – Differenzen und die Gradwanderung des Missourikompromisses

      Amerika war ein ungeheuer großes Land, doch nur die Ostküste und die Westküste waren wirklich besiedelt. Die wesentlichen Handelsverbindungen führten an den Küsten entlang. Schiffe waren die Lasttiere, welche Fracht und Menschen von Küste zu Küste brachten. Der Westen bot zwar ungeheuere Weiten und Möglichkeiten, aber er war nicht erschlossen. Doch der Gedanke keimte zunehmend, seine Besiedlung zu forcieren und eine Verkehrsverbindung über Land zu schaffen. Das erforderliche Mittel, die Eisenbahn, gab es längst.

      Im Kansas-Nebraska-Akt schlug die Geburtsstunde einer rein unionistisch ausgerichteten republikanischen Partei. Ursache war der Wunsch, jene transkontinentale Eisenbahn zu bauen, welche Ost- und Westküste miteinander verbinden sollte und so die Erschließung des Westens ermöglichen würde. Zwar gehörte das nicht erschlossene Land den Ureinwohnern Nordamerikas, den Indianern, aber im Gegensatz zu den alten indianischen Zivilisationen, aus der Zeit der Kolonien, gab es keine vereinigten Stämme und keine indianische „Zentralregierung“, mit der man Verträge abschließen konnte. Solange die einzelnen indianischen Stämme das Land nicht an die Regierung der Union abtraten, solange konnte dieses Land nicht als Territorium ausgewiesen werden. Das sogenannte Territorium war jedoch die Voraussetzung dafür, dass dieses Land vermessen und besiedelt werden konnte.

      Theoretisch hätten alle Amerikaner von der Aussicht begeistert sein müssen, den Westen zu besiedeln. Aber da war das Problem des 36. Längengrades. Es gab unübersehbare Differenzen zwischen jenen Staaten, welche Sklaven hielten, und denen, die dies ablehnten. Um dies nicht eskalieren zu lassen, hatte man sich im sogenannten Missouri-Kompromiss darauf geeinigt, dass nördlich des 36. Längengrades keine Sklaven gehalten werden durften.

      Die Besiedlung des Westens würde überwiegend nördlich dieser „Grenze“