Otto Pfändler 1889-1966. Martin Renold

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Название Otto Pfändler 1889-1966
Автор произведения Martin Renold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738099089



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Mal brauchten Otto und Berti nicht so weit zu gehen. Otto nahm sich vor, auch nur so lange zu bleiben wie die beiden Älteren. Er wollte nicht wieder einen Betrunkenen am Arm heimführen. Irgendwie würde Berti schon noch ein paar andere Othmarsinger finden.

      Die vier nahmen gleich im Saal an einem Tisch Platz und ließen sich die Getränke bringen. Auch Otto bestellte ein Bier.

      Bald spielten die vier Musikanten, der Pianist, ein Geiger, ein Handörgeler und ein Klarinettist zum Tanz auf.

      Das Fest war schon richtig im Gang, als ein fast zwei Meter großer Mann, der um die dreißig zu sein schien, mit einer ebenfalls auffallend großen Frau in den Saal kam und sich nach einem Tisch umschaute. Da die Musik gerade aufgehört hatte zu spielen und sich die Tanzenden wieder an ihre Tische setzten, sah er, dass in einer Ecke noch zwei Plätze frei zu sein schienen.

      „Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“, fragte der Mann mit einer kräftigen, aber doch angenehmen Stimme. Nur allzu gerne hätte Otto Ja gesagt, weil ihm die junge Frau auf den ersten Blick gefallen hatte, doch die anderen drei kamen ihm zuvor, denn sie schienen die beiden zu kennen.

      „Nur zu, Schriiner von Brunegg mit deiner schönen Schwester“, forderte ihn Berti auf, und die andern nickten und rückten ein wenig zusammen.

      „Ich bin der Schriiner Walti“, sagte der Mann zu Otto gewandt. „Und das ist meine Schwester.

      „Darf ich Sie Fräulein Renold nennen?“, fragte Otto zögernd.

      „Ja, die bin ich“, antwortete sie. „Aber sie dürfen auch Valerie zu mir sagen.“

      „Und ich bin der Otto Pfändler, aber für Sie auch einfach der Otto.“

      „Er ist einer von uns, vom Disch in Othmarsingen“, erklärte Werner. „Er ist noch etwas schüchtern. Er ist aus Deutschland gekommen.“

      „Aber ich bin Schweizer, aus Flawil im Kanton St. Gallen.“

      „Das habe ich gar nicht gewusst“, sagte nun Werner. „Entschuldige, aber du redest wie ein Deutscher.“

      „Nein, das ist mein St. Galler Dialekt“, wehrte sich Otto. Im Stillen dachte er: „Es mag sein, dass unser Dialekt nicht so unverkennbar ist wie eurer, der nahe am Berner Dialekt ist.“

      Als die Musik wieder zu spielen begann, forderte der Schreiner Walti seine Schwester zum Tanz auf. Sie waren ein wunderschönes Paar, und wenn sie auch mitten unter den Tanzenden waren, ragten ihre markanten Köpfe über die Menge hinaus. Der Schreiner hatte zudem einen auffallend dichten, braunen Haarschopf.

      Otto war auch nicht klein, und deshalb getraute er sich in der Pause, den Schreiner zu fragen, ob er beim nächsten Tanz seine Schwester auf die Tanzfläche führen dürfe.

      „Da brauchst du nicht mich zu fragen, sondern meine Schwester“, antwortete Walti.

      Valerie nickte ihm lachend zu, worauf Otto ihr mit einer leichten Verbeugung die Hand reichte, die sie nahm und sich zum Tanz führen ließ.

      Valerie, die schönes braunes Haar hatte, war tat-sächlich noch ein wenig grösser als Otto. Doch sie harmonierten sofort gut zusammen.

      „Warum kennen Sie meinen Nachnamen, wenn Sie nicht von hier sind?“, fragte Valerie.

      „Ich bin am letzten Samstag bei der Schreinerei Ihres Bruders vorbeigekommen“, erklärte Otto, „da hab ich das Firmenschild gesehen. Deshalb hab ich Ihren Nachnamen gekannt.“

      „Sie dürfen mich schon Valerie nennen“, erlaubte sie ihm.

      Als sie zum Tisch zurückkehrten, dankte Otto seiner Tänzerin. Und sie sagte: „Ich danke Ihnen, Herr Pfändler.“

      „Sagen Sie doch Otto. Wollen wir uns nicht du sagen? Ich dachte sowieso, beim Vorstellen wäre es so gemeint gewesen?“

      „Eigentlich schon“, bestätigte Valerie, „aber als Frau traut man sich dann doch nicht gleich.“

      Als Otto sah, dass Valerie einverstanden war, rief er die Serviertochter herbei.

      „Das wollen wir doch mit einem Schluck Wein begießen. Rotem oder Weißem?“, fragte er.

      „Lieber Roten“, bat Valerie.

      „Dann bringen sie also eine Flasche Roten. Ich denke, sie haben einen Hauswein. Und nur drei Gläser, bitte“, da er beobachtete, dass seine drei Kollegen eben erst wieder Bier bestellt hatten und untereinander die Köpfe zusammensteckten.

      Als die Serviertochter die Flasche brachte und die Gläser abstellte, schob Otto eines Valerie und eines ihrem Bruder zu. Das andere zog er zu sich heran. Als eingeschenkt war, stießen die drei miteinander an.

      „Ich will ja nicht egoistisch sein“, dachte Otto, weil er den andern keinen Wein angeboten hatte, „ich glaube zwar nicht, dass die andern drei mit Valerie und ihrem Bruder per du sind. Das sollen sie auch nicht werden. Vielleicht bin ich auch schon ein wenig eifersüchtig.“

      Otto hatte gesehen, dass ihn Valerie vorher eine Weile mit ihren dunkelbraunen, mandelförmigen Augen aufmerksam betrachtet hatte, und als sie bemerkte, dass sie dabei ertappt worden war, sofort wegsah.

      Walti schien gar nicht so viel Lust zum Tanzen zu haben und nickte immer, wenn Otto ihn anschaute und seine Einwilligung einholen wollte.

      Einmal sagte sie, während er sie ein wenig näher zu sich heranzog: „Ich habe noch keinen Menschen gesehen, der so blaue Augen hat wie du.“

      Otto fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Das hatte bisher in seiner Heimat noch niemand zu ihm gesagt. Nur in Deutschland schienen die Frauen häufiger auf seine Augen zu schauen. Er nahm es von Valerie als Kompliment entgegen und sagte nur: „Danke.“

      Als es gegen Mitternacht ging und Walti noch einmal mit seiner Schwester getanzt hatte, sagte er, als sie an den Tisch zurückkehrten zu Otto gewandt: „Entschuldige, wir müssen nun gehen. Es ist Zeit. Weißt du, ich bin für meine Schwester verantwortlich. Unser Vater ist schon vor sechs Jahren gestorben.“

      „Das tut mir leid“, sagte Otto.

      „Ja, aber“, wandte sie sich lachend an ihren Bruder, „du benimmst dich immer noch wie ein Vater und meinst, mich wie als deine Tochter beschützen zu müssen, und vergisst, dass ich erwachsen geworden bin. Meine Schwestern übrigens auch. Wenigstens das Anni.“

      „Die Miggi wohl nicht, die ist doch noch ein Kind“, rechtfertigte sich Walti.

      „Vielleicht sehen wir uns wieder einmal“, sagte Valerie an Otto gerichtet.

      „Es würde mich freuen“, antwortete er und reichte zuerst Valerie und dann Walti die Hand.

      Otto war ein guter und fleißiger Arbeiter und schon bald bei seinem Patron und den Kollegen beliebt. Berti und Otto hatten in kurzer Zeit Freundschaft geschlossen.

      Eines Abends, als er nach Feierabend mit Berti im „Pflug“ bei einem Bier zusammen saß, fragte Otto: „Gibt es hier auch eine sozialdemokratische Partei?“

      „Bist du ein Sozi?“, fragte Berti zurück. „Willst du der Partei beitreten?“

      „Ja“, erwiderte Otto. „Weißt du, ich hab in Deutschland in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mitgemacht. Das ist eine gute Sache. Wir Arbeiter müssen zusammenhalten und für gerechte Löhne kämpfen.“

      „Bei uns gibt es das nicht“, sagte Berti. „bei uns im Dorf, wo fast jeder jeden kennt, würdest du schief angesehen. Und der Patron sähe das auch nicht gern. Ich bin zufrieden, wie es ist. Wir müssen ja nicht hungern. Und wenn wir zum Tanz oder zu einem Dorffest ausgehen, reicht das Geld auch noch. Was willst du mehr? In Zürich oder in Basel gibt es sicher eine solche Partei. Aber hier kämst du schlecht an.“

      „Dann gibt es auch keine Gewerkschaft?“, fragte Otto weiter. Berti schüttelte nur den Kopf.

      „Würdest du mitmachen, wenn ich eine Partei gründen würde?“, wollte Otto wissen.

      Berti