Otto Pfändler 1889-1966. Martin Renold

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Название Otto Pfändler 1889-1966
Автор произведения Martin Renold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738099089



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in großen Buchstaben „Nächsten Samstagabend Tanz“ geschrieben steht.

      „Und dann, ist nichts daraus geworden? Erzähl doch weiter!“, fordert Berti seinen jungen Kollegen auf.

      „Nein“, antwortet Otto. „Wir sind noch ein paar Mal miteinander ausgegangen. Aber ich konnte nicht viel mit ihr reden. Eigentlich war es mir recht. Sie war dumm, und ich mochte ihre komische Sprache ohnehin nicht. Ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass ich nicht mehr tanzen möchte und ohnehin bald ich die Schweiz zurückkehren würde. Da hat sie auch kein Interesse mehr an mir gehabt.“

      „Und dann hast du eine andere kennen gelernt?“

      „Du fragst etwas viel“, gibt Otto zurück.

      Unterdessen sind sie bis in die Mitte des Dorfes gelangt, das wahrscheinlich keine hundert Einwohner zählt. Sie biegen nach links ab und gehen bei der Möbelschreinerei Renold vorbei, deren Werkstatt an ein kleines, hübsches Haus angebaut ist, in dem die Witwe Renold einen kleinen Kolonialwarenladen, wie das damals noch hieß, führt. Es ist der einzige Lebensmittelladen in Brunegg.

      Weiter oben biegt die Straße nach rechts ab und führt nun bald zum Dorf hinaus auf das Ackerfeld, über das der Weg nun geradeaus auf die Kirche in Birr zu führt.

      In der Gaststube im „Bären“, als sie um fünf Uhr ankommen, ist es noch ruhig, nur im Saal werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Die Ländlerkapelle aus Schinznach Bad ist soeben auf einem Fuhrwerk angekommen. Die Musikanten sind abgestiegen und tragen ihre Instrumente, eine Geige, eine Bassgeige und eine Handharmonika herein, und der Klavierspieler geht gleich im Saal aufs Klavier zu, öffnet den Deckel, setzt sich hin und beginnt, die Tasten anzuschlagen, um zu prüfen, ob das Instrument richtig gestimmt ist.

      Otto und Berti haben sich bereits in der Wirtsstube niedergelassen. Berti hat sich ein Bier bestellt, Otto einen süßen Most – wenn der Tanz losginge, wäre es noch früh genug für ein Bier. Er hat nicht die Absicht, sich zu betrinken. Beide lassen sich auch ein Brot mit etwas aufgeschnittener Wurst kommen. Sie haben auf dem langen Weg einen rechten Hunger gekriegt. Den ärgsten Durst haben sie unterwegs an einem Brunnen gestillt.

      Berti schwärmt von den schönen Frauen, die es in diesem Dorf gebe.

      „Warum bist du denn noch ledig, wenn dir so viele gefallen?“, will Otto wissen. Da auch Berti neugierig gewesen ist, wagt er, diese Frage an den Kollegen zu stellen.

      „Ach, wenn ich denen sage, dass ich bei Disch arbeite, wollen die alle nur immer, dass ich ihnen gratis Konfekt bringe.“

      Otto glaubt nicht, dass dies der wahre Grund ist. Doch er sagt es nicht. Berti schweigt auch.

      Als die beiden ihr Abendbrot gegessen haben und es dann im Saal drüben losgeht, wechseln sie hinüber. Es sind noch nicht viele Gäste da, und die Musikanten nehmen sich bald schon eine Pause. Doch allmählich füllt sich der Saal. Berti lädt eine Frau, die er offensichtlich kennt, mit ihren zwei Freundinnen an den Tisch ein und stellt ihnen seinen Kollegen und, wie er sagt, Freund vor.

      Otte begrüßt alle drei freundlich, und weil die Musikanten gerade wieder angefangen hatten zu spielen, fordert Otto seine Nachbarin zur Rechten zum Tanz auf.

      Otto ist recht groß gewachsen, während seine Tänzerin mehr als einen Kopf kleiner ist als er. Am besten konnte Otto schon immer tanzen mit einer, die ihm mindestens bis ans Kinn reicht. Nachdem er mit allen getanzt hat, muss er feststellen, dass keine seinen Erwartungen entspricht, weder an Größe noch an Schönheit. Während Berti fast immer mit der gleichen tanzt, wechselt Otto mit den zwei andern ab. Weil die Musik ziemlich laut spielt, ist es auch schwierig, sich mit den Tänzerinnen zu unterhalten.

      Einmal, als Berti nur zugeschaut hat, sagt er zu Otto, der an den Tisch kommt, nachdem er seine Tänzerin an ihren Platz geleitet hat: „Du bist wirklich ein Naturtalent.“

      Otto stutzt einen Moment. Naturtalent? So ein Wort hätte er von Berti nicht erwartet. Es ist sicher ein gescheites Wort. Otto hat es vorher noch nie gehört. Ja, die Natur liebt er. Er ist gern draußen auf dem Land. In Halle war er gern in der Stadt, aber fast noch lieber ging er mit zwei, drei Kollegen und mit deren Mädchen aufs Land hinaus, um über Felder und Wälder und Hügel zu wandern, so wie er daheim oft nach Magdenau oder auf die andere Seite bis Schwellbrunn oder Mogelsberg gewandert ist. Aber dazu brauchte es kein Talent, höchstens so wie es in der Bibel steht im Gleichnis von den Talenten. Geld war damit gemeint. Das brauchte es, wenn man unterwegs einkehren will. Naturgeld? Nein, es musste etwas mit ihm zu tun haben.

      Darum fragt er: „Was meinst du damit?“

      „Das sagt man so, wenn einer etwas kann, das er nicht gelernt hat“, erklärt Berti, und Otto ist zufrieden mit dieser Antwort.

      Otto ist nicht dumm. Gewiss nicht. Er hat in Flawil die Sekundarschule besucht, hat dort auch ein bisschen Französisch gelernt, und in Halle hat er in der Freizeit oft in den Zeitungen gelesen, die meistens in den Wirtschaften, in einen Stecken geklemmt, an einem Kleiderhaken hingen. Da hatte er auch viele neue Wörter kennen gelernt, die er vorher nicht kannte. Aus dem Zusammenhang heraus hat er dann schon gewusst, was so ein Wort bedeutet. Manchmal auch erst, wenn es ihm ein zweites oder ein drittes Mal begegnete.

      Auch über die Politik im Kaiserreich weiß Otto ein wenig Bescheid. Mit dem einen oder anderen Kollegen hat er in den zwei Jahren, in denen er in Deutschland war, oft diskutiert und ihnen erklärt, wie die Demokratie in der Schweiz funktioniert, und sie haben über ihren Kaiser Wilhelm II. gesprochen, der gesagt haben soll, man müsse den Dreck des Parlaments und des Parteiapparats wegräumen. Der Kaiser wolle mehr Kriegsschiffe. Und manche sagten, dass es dann bald einmal Krieg gebe.

      In Ottos erstem Deutschlandjahr gab es einen Kanzlerwechsel. Der neue Kanzler war wie sein Vorgänger Bülow ein Adliger. Er bemühte sich um einen Ausgleich zwischen den Sozialdemokraten und den Konservativen. Damit fand er aber auf beiden Seiten nicht nur Freunde, sondern auch Feinde.

      Davon erzählt er Berti, den er ja noch nicht so gut kennt, jedoch nichts. Er würde ihn später dann schon einmal fragen, auf welcher Seite er stehe, oder es mit der Zeit selber merken.

      Berti hat ein rundes Gesicht, aus dem zwei verschmitzt lachende Augen herausschauen. Er hat etwas Bäuerisches an sich, während man in Otto eher einen Städter vermuten würde. Er hat stahlblaue Augen und eine schmale, gerade, etwas zu lange Nase, die aber zu seinem länglichen Gesicht passt. Sein braunes Haar hat er mit einer Scheitel zur Seite gekämmt.

      Er zieht die Blicke der Frauen und jungen Mädchen auf sich. Er ist ein Fremder, sieht elegant und gewandt aus. Sie haben ihn hier noch nie gesehen. Sie tuscheln miteinander und fragen sich, woher er kommt.

      Nachdem sie sich um Mitternacht auf den Heimweg machten, Berti mit einem ziemlichen Schwips, Otto noch fast nüchtern, fragte Berti:

      „Hast du, hat di-ir ei-ne gefallen – ups?“

      Otto zuckte mit der Schulter. Doch es war zu dunkel, als dass Berti es hätte sehen können.

      „Ha-at dir?“, insistierte Berti. Dann übergab er sich am Wegrand.

      Otto musste seinen Kollegen führen, nachdem der sich den Mund ausgewischt und ihn am nächsten Brunnen, wo sie sich auf dem Hinweg den Durst gelöscht hatten, ausgespült hatte. Beide schwiegen, bis sie in den finsteren Wald kamen, wo sich Otto noch nicht so sicher fühlte. Zum Glück war Berti fast wieder nüchtern, so dass er, der beinahe jeden Stein und jeden Baum auch im Dunkeln kannte, die Führung übernehmen konnte.

      Otto verabschiedete sich in Othmarsingen von seinem Kumpel und stieg über die knarrenden Stufen in die Kammer, die er durch Vermittlung der Firma Disch bei einer alten Witwe für zehn Franken im Monat hatte mieten können. Da die Vermieterin wegen ihrer Schwerhörigkeit fast taub war, vernahm sie nichts von Ottos Heimkehr.

      Otto warf sich, zu müde, um die Kleider und Schuhe auszuziehen, aufs Bett und schlief bis weit in den Sonntagmorgen hinein.

      Am nächsten Samstag fragte Berti wieder, ob Otto mitgehen wolle, diesmal nach Brunegg in den „Sternen“. Zwei weitere Kollegen, Paul und Werner, beide um die