Der Agentenjäger. Peter Schmidt

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Название Der Agentenjäger
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847654704



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werden Sie jetzt tun?», fragte sie an Fabers Zimmertür.

      «Mich betrinken. Ich werde mir eine Flasche aufs Zimmer bestellen und mich besaufen.»

      «Und massenweise Zigarillos rauchen?»

      «Sicher. Der Qualm würde Sie nur stören.»

      «Könnte ich Ihnen denn nicht … dabei helfen?»

      «Beim Trinken? Sind Sie dem Alkohol verfallen?»

      «Nein, Sie etwa?»

      «Wie man‘s nimmt. Die Jungs in den Diensten halten es alle mit dem Alkohol, heimlich oder ganz offen. Er ist wie ein verständnisvoller älterer Bruder für sie. Die Nerven, das unruhige Leben. Ohne Flasche sinkt ihre Leistung um ~o Prozent, deshalb achten sie immer auf Vorrat, auf ausreichenden Vorrat. Ausnahmslos alle, Tiedge, Reuben ... und auch ich», setzte er mit Nachdruck hinzu.

      «Tiedge …» Sie dachte nach. «War das nicht dieser Überläufer?

      Dieser große, kranke Agent mit den hohen Schulden, der nach Ost-

      Berlin ging, als er keinen Ausweg mehr sah? Einer der größten

      Spionageskandale seit dem Krieg? Und in Ihrer Abteilung?»

      «Kein Agent – Agentenjäger

      «Richtig. Das ist wohl ein ziemlich wichtiger Unterschied, nicht wahr?»

      Während der Blick ihrer etwas schräg stehenden Augen fragend auf seinem Gesicht ruhte, wurde ihm bewusst, dass er sich mit Tiedge und Reuben in eine Reihe gestellt hatte. Er hätte ebenso gut andere Namen nennen können. Es war ganz unbewusst passiert.

      Sie hatten wie er in der Abteilung IV für Spionageabwehr gearbeitet, und es machte ihn wütend, dass er diesen Umstand ohne zwingenden Grund preisgegeben hatte. Er schob ärgerlich über sich selbst die Tür auf, trat ein und drückte sie bis auf einen Spaltbreit zu.

      «Machen Sie, dass Sie wegkommen!»

      Corinna sah, überrascht von seinem barschen Ton, auf ihre Füße hinunter, die in Stöckelschuhen aus dünnen Wildlederriemen steckten. Sie schien ihren Fuß in den Türspalt schieben zu wollen; aber dann ließ sie es bleiben. Faber streckte das Schild DON‘T DISTURB hinaus und hängte es von außen an den Messingknauf. Er schloss die Tür.

      Am nächsten Morgen gab er sich zwar wie jemand, dem es nicht einmal eine Kopfbewegung wert war, um sie zwischen den wartenden Fahrgästen an der Busstation zu entdecken …

      Aber sein Blick wanderte von Zeit zu Zeit argwöhnisch – und aus alter Gewohnheit so gründlich, als versuche er sich jedes Gesicht für immer einzuprägen – über Körbe und Kisten und die Menge behuteter Köpfe. Zu seinen Füßen schlugen an den Beinen zusammengebundene Hühner mit den Flügeln, und ein Mulatte von der Nordostküste sang, am Bus neben dem Gepäck lehnend, auf karibisch-englisch ein sarkastisch klingendes Lied.

      Sein Text schien sich über das unterwürfige, halblaute Sprechen der anderen Passagiere lustig zu machen.

      Faber stellte erleichtert fest, dass Corinna nicht gekommen war. Die meisten Indios trugen Hüte und dunkle Jacken westlichen Schnitts, und wie von ihren Jacken oder Ponchos trennten sie sich auch von ihren Hüten nur ausnahmsweise, obwohl kein Lüftchen wehte und die Sonne auf Fabers Wagenseite durch die Scheiben brannte, als lege sie es darauf an, alles um sie herum in Flammen aufgehen zu lassen.

      Man konnte glauben, es explodiere gleich eine Bombe der einen oder anderen Seite, oder bei Maschinengewehrsalven von den Dächern der umliegenden Hotels würde ihnen keine Zeit mehr bleiben, ihre armselige Habe zusammenzuraffen.

      Der Fahrer band einen Ziegenbock auf den Holzrippen des Wagendachs fest, und jugendliche, barfüßige Straßenverkäufer boten in zerschlissenen Körben Früchte und Nüsse an. Dann wurde der Motor angeworfen. Er versetzte das altersschwache Gefährt sofort in allgegenwärtiges Zittern. Faber musterte besorgt die rostigen Schrauben und Nieten der Wandverstrebungen. Seine Scheibe hing schräg in der Halterung. Wo sich ihre Rundung in den Rahmen hätte einpassen sollen, fehlte ein faustgroßes Stück Glas, das ein Steinwurf oder Schuss herausgerissen haben mußte. In der feuchten Hitze tummelten sich die Fliegen. Das Fahrzeug hupte gellend, ihr Abfahrtssignal, und aus dem Schatten der cantina lösten sich die letzten Passagiere.

      Dann sah er Corinna mit einer ledernen Umhängetasche über den Platz eilen …

      Sie winkte aufgeregt dem Fahrer.

      «Rapido, no pare», rief Faber ihm zu.

      Einige Passagiere, alte Männer, lachten wegen seiner Dreistigkeit. Frauen waren es nicht wert, dass man für sie Bremsbelag vergeudete; schon gar nicht, wenn sie so offensichtlich der Rasse der Gringos angehörten.

      Einen Augenblick lang schien es tatsächlich, als rumpele das Gefährt über den mit Asphalt gefüllten Löchern des Sandplatzes weiter, dann kam es abrupt zum Stehen. Der Ziegenbock über ihnen auf dem Dach gab ein lautes Meckern von sich, und die Hühner zu seinen Füßen schlugen wild mit den Flügeln.

      Faber spuckte ein Stück flaumiger Feder aus, das ihm zwischen die Lippen geraten war.

      Als er aufblickte, plumpste Corinna neben ihm auf den Sitz.

      «Das haben Sie sich so gedacht», fauchte sie.

      «Gedacht, was?»

      «Ich konnte hören, was Sie dem Fahrer zuriefen»

      «Ich wollte, dass er anhielt. Vielleicht ist mein Spanisch zu schlecht.»

      «Ihr Spanisch ist ausgezeichnet. Sie haben no pare, nicht anhalten, gerufen.»

      «So? Na, das wundert mich nicht. Wahrscheinlich ist der Motor beim Bremsmanöver in die Brüche gegangen.»

      Tatsächlich war der Fahrer ausgestiegen und horchte besorgt auf den metallischen Klang unter der Motorhaube. Es hörte sich an, als schüttele man leere Konservendosen in einem Waschzuber. Je länger sie im Leerlauf standen, desto rasselnder wurde das Geräusch, untermalt vom dumpfen Geklapper der Ventile. Doch nachdem er irgend etwas im Motorraum laut fluchend mit einem Stück Draht befestigt hatte, setzten sie die Fahrt ohne größere Unterbrechungen fort.

      Als sie hoch genug aus dem Tal mit seinen grünen Hängen aufgestiegen waren, sahen sie milchigblau und weit entfernt im Dunst die Kegel zweier Vulkane aufragen. Ihr Anblick strahlte etwas Entrücktes und Erhabenes aus – als blickten ihre Gipfel mit milder Nachsicht aus einer fernen Zeit auf sie herab, die so unendlich viel bedeutender als die Gegenwart war, dass darüber alles andere verblasste.

      Dann wurden sie unvermittelt in die Wirklichkeit zurückgeholt:

      Auf dem schwarzen Stoppelfeld vor ihnen stand eine ausgebrannte Maschine der AVIATECA, der staatlichen Luftfahrtlinie; Sitzgestelle, aus denen noch die Federspiralen ragten, und leere Gepäckcontainer waren weit über den Boden verstreut. Die beiden Alten vorn beim Fahrer, Indiofrauen von derbem Bauernschlag, verhüllten ihre Gesichter mit weißen Taschentüchern, als böte das Schutz vor kommendem Unheil.

      Augenblicke später fuhren sie durch dichten Mischwald, und es wurde angenehm kühl im Bus. In den Tierras templadas, dem zentralen Hochland, lagen die Temperaturen das ganze Jahr über bei 20 Grad.

      Ein paar Minuten lang genoss Faber die Fahrt. Die Straßen waren mustergültig für mittelamerikanische Verhältnisse. Lea im fernen Ost-Berlin schien ihm so wenig wirklich wie jemand, der nur noch in der Einbildung existierte.

      Er hatte Ross dazu bringen können, ihm diesen Auftrag zu überlassen, weil sie beide, Reuben und er, viele Jahre lang Kollegen in derselben Abteilung gewesen waren, «alte Kameraden» – was immer das bedeuten mochte. Von echter Freundschaft war zwischen ihnen nie die Rede gewesen. Obwohl Faber manchmal das Gefühl gehabt hatte, und Reuben wohl nicht minder, sie ständen dicht davor. Den wirklichen Grund, warum er hinter dem Auslandsauftrag her war, hätte er Ross nicht gut nennen können.

      Eine Verschnaufpause – Abstand zu gewinnen von dem, was ihm zu schaffen machte, war kein