Der Agentenjäger. Peter Schmidt

Читать онлайн.
Название Der Agentenjäger
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847654704



Скачать книгу

Wirklich bemerkenswert», sagte Faber und versuchte seiner Stimme einen überzeugten Klang zu geben. Er nahm, dankbar für die Ablenkung, den Zettel in Empfang, den ihm der Hotelboy auf einem silbernen Tablett reichte:

       Erwarte Sie an der Rezeption. Fräulein Menge Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Guatemala

      stand dort in zierlicher Frauenhandschrift mit leicht verwischter blauer Tinte geschrieben.

      «Richten Sie der Dame aus, ich sei momentan verhindert.» Faber gab dem Boy einen halben Quetzal. Zu viel, wie er sofort argwöhnte, denn der Quetzal stand mit dem Dollar eins zu eins. «Wenn es wirklich dringend ist, soll sie gegen Abend wiederkommen. Kurz vor dem Abendessen.» Damit wandte er sich wieder dem comisario zu, der, die Arme über das Geländer der Dachterrasse gestützt, den Kampf zweier roter Hähne im Straßenstaub beobachtete.

      «Und die Schnittwunde an seinem Hals?»

      «Keine Schnittwunde. Das war unsere erste Vermutung, aber schon nicht mehr die zweite … nur von einem dünnen Strick oder Draht! Man muss ihn ein wenig damit stranguliert haben. Es reichte nicht aus, um ihn zu töten.»

      «Soll das heißen, Sie tappen noch immer im Dunkeln?»

      «Es ist schon sehr mysteriös», bestätigte der comisario. Er schien das Wort «mysteriös» zu lieben, weil es seine tägliche Arbeit charakterisierte. Es gehörte zum Beruf.

      «Und die Beerdigung?»

      «Verschoben, bis eine neue Obduktion der Leiche eindeutige Ergebnisse gebracht hat. Wir haben ihn ein wenig auf Eis gelegt, Señor Faber.»

      «Mit anderen Worten – ich muss bleiben, bis es Ihnen einfällt, seine Leiche freizugeben?»

      «Sie haben Gelegenheit, noch einige Tage unser schönes Land zu genießen. Es gehört zu den interessantesten in ganz Mittelamerika. Ihre Botschaft wird sicher für die Spesen aufkommen.» Er betonte das Wort Botschaft. «Ja, wenn es sich um einen Einheimischen handelte ... Bei Ausländern nehmen wir die Dinge sehr genau. Man kommt zu leicht in Verruf.»

      Der kleinere der beiden Hähne hatte aufgegeben, er blutete aus einer tiefen Wunde am Hals, und seine rechte Flugfeder schleifte abgeknickt durch den Straßenstaub, als er das Weite suchte. Faber setzte sich missmutig in den Schatten des Sonnenschirms. Er sog an seinem hellen Zigarillo und trank einen kleinen Schluck Martini, bis die Eiswürfel gegen seine Zähne stießen, dann stellte er das leere Glas abrupt auf die Tischplatte zurück.

      «Was macht Sie eigentlich so sicher, dass es die Guerillas waren? Wenn ich richtig informiert bin, gibt es in Ihrem Land über dreißig ultrarechte Todesschwadronen?»

      «Zweiunddreißig – nach einer Zählung unserer Tageszeitung Unomasuno», bestätigte Urbico. «Von der ESA, der antikommunistischen Geheimarmee einmal abgesehen. Aber das sind alte Zahlen, wahrscheinlich hat sich ihre Zahl längst verdoppelt.»

      «Was macht Sie so sicher?» wiederholte er.

      «Nun, sehr einfach: Sie pflegen ihr Zeichen zu hinterlassen. Den Farbabdruck einer weißen Hand, eine rote Rose … Und außerdem lieben sie es, ihren Opfern die Genitalien abzuschneiden. Oder wenigstens die Zunge oder die linke Hand. Nichts von alledem bei Ihrem Freund Reuben.»

      «Wie kommen Sie darauf, dass Reuben mein Freund war?»

      «Ein Kollege, nehme ich an?»

      «Sie glauben noch immer diesen dummen Fauxpas des Konsulats? Dass er für einen westdeutschen Geheimdienst gearbeitet hat? Wie gesagt, eine Namensverwechslung.»

      «Ja, natürlich.»

      «Man nannte Ihnen einen Dienst, der eigentlich für die innere Sicherheit unseres Landes zuständig ist, für die Treue der Verfassung gegenüber. Schon daran erkennen Sie, dass Reuben gar nicht für die Auslandsaufklärung zuständig sein konnte. Bei uns werden diese Bestimmungen sehr streng gehandhabt. Selbständige Gruppen, wie Ihre Todesschwadronen, die den Regierenden zuarbeiten, wären in unserem Lande völlig undenkbar … Ganz abgesehen von der Brutalität, mit der sie zu Werke gehen.»

      «Nun, Sie haben auch keine Indios! Unsere Generäle glauben – und wohl zu Recht –‚ dass diese Menschen besonders anfällig sind für exotische Ideologien. Aus Tradition streben sie nicht nach Grundbesitz und geben sich gern mit Gemeineigentum zufrieden. Es macht ihnen keinerlei Schwierigkeiten.

      Daher auch die Namen unserer Schwadronen, wie Adler der Gerechtigkeit, Purpur-Rose, Weiße Hand und so weiter. Eine Art Gegengewicht. Die andere Seite hat ihre Namen, und Namen beschwören in den Augen der Indios uralte mythische Kräfte. Alle diese Organisationen sind durchaus von der Rechtmäßigkeit ihrer nationalen Aufgabe überzeugt.»

      Er setzte sich zu Faber an den Tisch, schob seinen Strohhut in den Nacken und stocherte mit dem Zahnstocher in einer Kirsche, die auf dem längst zerflossenen Vanilleeis schwamm.

      «Wie ich hörte», fuhr er fort, «ist Ihre Angst vor den Kommunisten drüben im alten Europa kaum geringer? Nur dass Sie weniger öffentlichen Aufhebens davon machen? Alles spielt sich mehr im Verborgenen ab?»

      2

      Ehe Faber die Halle des Hotelrestaurants betrat, blieb er stehen und musterte durch eine Wand aus Hartblattgewächsen kurz die Gäste an den Tischen.

      Er erinnerte sich, dass es in der Botschaft einige ältere Fräulein gab, die, hinter ihren Schreibmaschinen sitzend, die goldgeränderten Brillen hochgeschoben oder sich überrascht an den Hals gegriffen hatten, als er hereinkam; es brauchte nicht viel Phantasie, um zu verstehen, was diese vertrockneten Jungfern an ihm fanden.

      Es war seine hochgewachsene Gestalt, die sich für ihre gelangweilten Blicke wohltuend von den kleinwüchsigen Indios abhob. Und sein hellblondes Haar. Vielleicht weckte es in ihnen unbestimmte Sehnsüchte nach dem kühlen Norden.

      Erleichtert bemerkte er, dass keine von ihnen in der Halle saß. «Fräulein Menge» klang etwas zu blutleer und erinnerte ihn eher an Fencheltee und Nierenwärmer aus Katzen- oder Kaninchenfell, als dass er Neugier verspürt hätte, ihre Bekanntschaft zu machen. Zu dieser frühen Stunde – man pflegte hier erst am späten Abend zu essen – gab es überhaupt nur ein weibliches Wesen im Restaurant.

      Es saß unter der Nachbildung eines Wandgemäldes aus der Mayazeit, das, in roten und tiefgrünen Farben schwelgend, zwei Priester mit hohem Kopfschmuck zeigte. Sie beugten sich über eine menschliche Gestalt – ein weibliches Wesen, den schlanken Gliedmaßen nach zu urteilen –‚ das als Opfergabe diente.

      Einer der beiden hielt die Blutschale, der andere das Messer. Faber umrundete den Raumteiler aus hartblättrigen Pflanzen und setzte sich an einen Tisch, von dem er den Eingang überblicken konnte.

      Marten hatte ihm gesagt, dass man den Kontakt zur Botschaft besser einschränkte: dort zwei- oder dreimal in der Woche ein und aus zu gehen, würde nur den alten Verdacht nähren, Reubens Auftrag habe mit den politischen Verhältnissen zu tun gehabt. Es hätte leicht den Geheimdienst des Landes auf den Plan rufen können.

      Wenn man jetzt von sich aus mit ihm Kontakt aufnahm, gab es sicher neue Informationen über Reubens Ermordung …

      Faber betrachtete das Mädchen am Nachbartisch.

      Es hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Lea, und diese Beobachtung versetzte ihm einen Stich. Die gleichen ebenmäßigen Züge, die gleiche glatte Haut. Und es besaß nicht jenen manchmal ein wenig verbissen wirkenden Zug um den schmallippigen Mund, den sich Lea in ihren langen Jahren als freie Journalistin erworben hatte.

      Diese Lippen dort drüben waren von der einladenden, schon beinahe herausfordernden Röte, wie sie eher auf kitschigen Öldrucken bei dunkelhäutigen Zigeunerinnen zu finden ist. Der himmlische Maler da oben mußte trotzdem gewollt haben, dass sie es nicht zu leicht mit den Männern haben würde, denn ihre Augen standen ein wenig schief, wenn auch nur ganz unmerklich.

      Oder tat er ihr Unrecht? Legte sie es gar nicht darauf an, gleich