Название | GEN CRASH |
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Автор произведения | Peter Schmidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847654711 |
Ich habe keine Skrupel, einen Doppelagenten ans Messer zu liefern, das gehört zum Geschäft, aber in der Praxis ziehe ich es vor, die Sache aus sicherer Entfernung zu beobachten und mir meine Gedanken zu machen. Die Analyse liegt mir mehr als blutige Zweikämpfe.
Das Wohnzimmer war dunkel, so dunkel wie meine Einblicke in Sehlens Pläne; nur über der Wendeltreppe schimmerte noch Licht. Ich versuchte auf den Treppenstufen kein Geräusch zu machen, aber das war so gut wie ausgeschlossen. Sie quietschten bei jedem Schritt und versetzten das eiserne Gestell mitsamt der Zimmerdecke in Schwingungen …
"Bist du es, Adrian?"
Ich mochte ihre Stimme nicht, sie klang immer ein wenig zu laut und schrill; sie war jedem Zweck immer auf vollkommenste Weise unangemessen.
"Wer sonst, Liebling? Der böse Wolf wird dich nicht holen, und Slava ist auf dem Wohltätigkeitsball."
"Das dumme Kind sollte sich lieber in der Schickeria umsehen, anstatt Pakete zu packen und Rotznasen zu putzen."
Ihre Stimme hatte jetzt jenes klagende Timbre in den Obertönen, das die Schakale am Wüstenrand anstimmen, um es bis zum markerschütternden Geheul zu steigern, bevor sie beim Mondschein auf Aassuche gehen. (Ich weiß, ich bin ihr gegenüber nicht gerecht; wir haben uns in den zweiundzwanzig Jahren unserer Ehe nie wirklich gestritten, und sie hat mich nie ernstlich verletzt. Es sind die Kleinigkeiten, die einen zermürben: der kaum merkliche Missklang, die falsche Oktave.)
"Auch Mildtätigkeit kann Vergnügen bereiten, Liebes. Außerdem hat sie schon einen Boxkurs belegt." Ich steckte meinen Kopf durch die Öffnung der Wendeltreppe und sah Margrit unter der Dachschräge am Tisch sitzen. Sie saß in jener charakteristischen Weise da, bei der die Beine gestreckt sind und der Körper vorgebeugt ist, aber dabei kerzengerade angewinkelt, als sei er ein halbgeöffnetes Taschenmesser.
"Es geht nicht um ihr Vergnügen, Adrian. Es geht um ihre Zukunft."
"Ihr Vergnügen und die Zukunft."
"Noch ist die Zukunft hauptsächlich in unseren Köpfen, sie will geplant werden."
Ihr Bleistift bohrte sich wie eine Waffe in das Zahlenfeld, das unsere Haushaltsabrechnungen waren – undurchschaubare Listen, so lang und hieroglyphisch wie Gas- oder Stromabrechnungen.
Die aufgearbeiteten Blätter lagen links von ihr, der Stein des Anstoßes rechts. Er bestand aus einem Stapel engbekritzelter Seiten. Mindestens drei davon galten dem Kostenfaktor "Herbert". Sein Name geisterte durch den Raum wie eine Aura, die plötzlich von der Schwerkraft erfasst worden war und sich träge auf das Mobiliar herabsenkte. Es würde ein langer Abend werden.
"Weißt du, dass wir fast bankrott sind, Adrian?"
"Nein."
"Dann solltest du mal einen Blick auf unsere Kontoauszüge werfen."
"Hab ich bei der Abfahrt nach Holland getan."
"Und? Wie war dein Eindruck?"
"Wir liegen ganz gut im Rennen. Keine Schulden, solider Kontostand. Wir könnten einen Zweitwagen anschaffen, wenn wir wollten."
"Doch nicht etwa für Herbert?" Jetzt klang ihre Stimme wieder so, als habe ihr jemand einen unsittlichen Antrag gemacht. Ich sah ihre strengen Augen und die tiefen Falten, die einmal Krähenfüße gewesen waren, und dachte daran, dass Slava weder auf Margrit noch auf mich herauskam. Vielleicht war sie gar nicht unser Kind. Die einzige Schönheit in der Familie.
"Das würde ihn etwas vom Hitchhiking abhalten."
"Ihr und euer Hitchhiking."
"Sei bitte nicht ungerecht", sagte ich beschwörend. "Wir haben oft genug darüber gesprochen, dass ich seine Ausflüge verurteile."
"Sie sind unnütz und teuer."
"Man kann ihn nicht einsperren."
"Aber er ist eingesperrt."
"Weil er selbst darum gebeten hat. Das ändert sich alle drei Tage."
"Du stehst nur auf seiner Seite, weil es dein Zwillingsbruder ist. Du bist zu nachsichtig mit ihm, Adrian. Er starrt den ganzen Tag lang die Decke an. Nicht mal sein Psychiater behauptet, dass Depressionen unheilbar sind."
"Er ist seit seinem zwanzigsten Lebensjahr depressiv. Wenn es zu ändern wäre, hätte man ihn längst geheilt."
"Ich glaube, er ist nur autistisch."
Sie wollte sagen: willentlich autistisch, falls es das gab. Aus Bequemlichkeit und weil es billig und unproblematisch war für jemanden, der wie er die Menschen verachtete, weil sie ihre Schönfärbereien sich und anderen gegenüber als Wahrheit ausgaben.
"Darüber möchte ich mir kein Urteil anmaßen", sagte ich bedächtig. Ich wusste, dass sie Bedächtigkeit verabscheute.
"Meiner Überzeugung nach lässt er sich einfach bloß hängen, Adrian. Er lebt hier auf unsere Kosten, wird von hinten bis vorn bedient und macht Ausflüge, wenn ihm wieder mal die Sicherungen durchbrennen."
"Anhalterei kostet nicht viel."
"Aber sein Rücktransport. Vor drei Wochen hat Slava vierundachtzig Piepen fürs Taxi bezahlt. Es ist das Zigeunerblut in euren Adern", meinte sie nachdenklich und warf mir einen abschätzigen Blick zu. "Deine Familie muss sich irgendwann einen genetischen Defekt eingefangen haben."
"Lass uns noch ein Gläschen Wein trinken, Margrit, das wird unsere Laune heben."
"Nehmen wir nur deine Arbeit."
Wir waren beim Thema angelangt. Sie schaffte es immer wieder mit schlafwandlerischer Sicherheit, das Gespräch auf den Sinn von Geheimdienstarbeit zu bringen. Ich bewegte mich unauffällig die Wendeltreppe hinunter (soweit eine derartige Treppe das überhaupt zulässt).
"Ach, übrigens, hatte ich schon erwähnt, dass Sehlen uns besuchen wird?", fragte ich, als ich unten im Salon stand.
Sie kam an die oberste Stufe und sah neugierig zu mir hinunter.
"Was denn, das Ungeheuer?"
"Er ist gar nicht so schlimm, wie man behauptet. Er wird mir immer sympathischer."
"Du hast dich noch mit jedem arrangieren können, Adrian."
"Ich versuche nur, objektiv zu sein."
"Und wann?"
Damit wollte sie in ihrem unaustreibbaren Hang zur Kurzform sagen, wann ich das jemals ernsthaft versucht hätte. Es war eindeutig als Provokation gemeint. Sie versuchte eine Verbindung herzustellen zwischen meinem Faible für das, was man "Fakten" oder "Tatsachen" nannte, und dem, was sie selbst so gern als meinen "mangelnden Ehrgeiz" bezeichnete, mein angebliches Verlangen, mich mit einer untergeordneten Stellung zu begnügen.
Aber um des lieben Friedens willen beschloss ich, es auf etwas andere Weise zu verstehen:
"Am Wochenende, Schatz. Sehlen bleibt bis Sonntagabend, und wir sehen gemeinsam das Material aus meiner Sammlung durch."
"Ihr und eure Kriegsspiele …"
Als ich Herberts Tür passierte, hob ich meine Hand, um die Klinke zu drücken – aber vermutlich saß er wieder in zwei oder drei Metern Entfernung davor und starrte die Türfüllung an. Nicht, weil er ein Geräusch gehört hatte und Besuch erwartete, sondern weil es seine "Passion" war. Wenn ich öffnete, würde er mir zwangsläufig in die Pupillen sehen.
Der Anblick seiner melancholischen Augen versetzte mir immer einen Stich. Bis auf seinen Trübsinn glichen wir uns wie ein Ei dem anderen. Wahrscheinlich war es genau diese Ähnlichkeit – das Gefühl, in den Spiegel zu blicken –, das mir dabei zu schaffen machte.
4
Ich empfand es als Erleichterung, nicht mit Herbert reden zu müssen. Der Gedanke, ihm gegenüber Verpflichtungen zu haben, ihn als "Gestrandeten