Bill & Bill. Xaver Engelhard

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Название Bill & Bill
Автор произведения Xaver Engelhard
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752900934



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      Bill und Bill

      Verloren an die Welt

      Xaver Engelhard

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      Texte: © Copyright by Xaver Engelhard

      Umschlag: © Copyright by Georg Engelhard Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

      E-Book-Programmierung. Dr. Bernd Floßmann. IhrTraumVomBuch.de

      Gesetzt aus der Malaga

      Bill Evian - oder Boy, wie er später wegen seiner ewigen Jugend und der zunehmend groteskeren Bemühungen um diese genannt werden sollte - wurde in New York als uneheliches Kind einer Schneiderin geboren. Er schämte sich auch während seiner größten Erfolge dieses bescheidenen Ursprungs nicht, der seiner ohnehin abenteuerlichen Geschichte einen geradezu märchenhaften Zug verlieh, und erzählte gerne davon, ein Martini-Glas in der einen Hand, einen Cocktailspieß in der anderen.

      Er wuchs in der Lower East Side von Manhattan in einem kleinen Appartement voll Bergen fremder Wäsche, Bügelbrettern und Schneiderpuppen auf, hörte Geschichten über seinen Vater, den der Dienst für das amerikanische Volk und immer tollkühnere Heldentaten auf zunehmend exotischeren Schlachtfeldern daran hinderten, zu ihm und seiner Mutter zurückzukehren, und wurde auf Botengänge ausgeschickt in die vornehmsten Wohnhäuser der Upper East Side, wo er geänderte Anzüge und Kleider ablieferte. Die Einblicke in eine fremde Welt, die sich ihm dabei ergaben, lösten in ihm eine Art Heimweh aus, wie er allerdings erst im Rückblick erkannte, als ihm dieses Gefühl auch in seiner eigentlichen Form vertraut geworden war.

      Der kleine Junge, der einem Herrn, der zur gestreiften Unterhose ein Smokinghemd mit Fliege und Socken an dünnen Strapsen trug, im letzten Augenblick den an Bund und Rücken ausgelassenen Anzug geliefert hatte und jetzt in der Küche, die so groß wie das ganze Appartement seiner Mutter war, auf das Ergebnis der Anprobe und die Bezahlung wartete, verfolgte die hektischen Vorbereitungen, die für eine festliche Abendgesellschaft getroffen wurden, mit Staunen, aber auch Wissbegierde. Er versuchte, dem hin und her eilenden, zum Teil extra für diesen Anlass angeheuerten Personal aus dem Weg zu gehen und möglichst viele der appetitlichen Häppchen von den silbernen Tabletts zu stibitzen, mit denen Anrichten und Tische bedeckt waren, gleichzeitig hatte er ein Auge für die Kristallskulpturen, Porzellanvasen und Ölbilder von Pferden und nackten Frauen, mit denen Vorraum und Flur der herrschaftlichen Wohnung geschmückt waren, und ein Ohr für die Beschwerden der Bediensteten und die ungehaltenen Kommandos der Gastgeberin, denn er war bemüht, so viel wie möglich zu lernen. Er wusste, was er seinem Vater, der angeblich aus ähnlichen Kreisen stammte, schuldig war, und wollte ihn bei seiner Rückkehr nicht enttäuschen. Als er seiner Mutter später von seinen Beobachtungen berichtete, bestätigte sie, was er instinktiv geahnt hatte, nämlich, dass sein Vater ebenfalls plissierte Hemden besaß und zu bestimmten Anlässen sogar Sockenhalter trug, letzteres eine Eigenheit, die einem auf Bills Schule nur Hohn, Spott und erbarmungslose Prügel eingebracht hätte. Jetzt, da er wusste, dass sich sein Vater ihrer gelegentlich bediente, wenn er nicht gerade in Uniform Nazis, Japsen oder Kommis jagte, wollte Bill aber jedem, der es wagte, sich über solch ein elegantes Accessoire lustig zu machen, die Nase polieren.

      Kaum hatte er von der Verwandtschaft seines Vaters mit jenem vornehmen Herrn im Smoking erfahren, drückte ihn sein Gewissen wegen einiger silberner Dessertlöffel, die er im Vorbeigehen aus einem Körbchen gefischt hatte. Zu gerne hätte er sie zurückgebracht und sich als der Sohn seines Vaters zu erkennen gegeben. Er war sich sicher, die bis dahin so herablassende Dame des Hauses und ihr viel beschäftigter Mann hätten ihm nach dieser doppelten Offenbarung lachend verziehen, denn er war ja jetzt einer der ihren. Ein dummer Irrtum, hätte er erklärt. Er sei sich seiner tatsächlichen Herkunft noch nicht bewusst gewesen, werde sich aber selbstverständlich von nun an ihr entsprechend und standesgemäß benehmen. Er hätte einen der Löffel als Andenken behalten dürfen und diesen als Talisman in jeder neuen Wohnung, in jedem neuen Haus mit einem verträumten Lächeln und einem dünnen Faden an der Wand befestigt. Und sie hätten ihm eine Schachtel voll übrig gebliebener Carré Four mitgegeben für seine Mutter als Dank dafür, dass sie so liebevoll auf ihn aufpasste. Aber er traute sich nicht, und als er seiner Mutter gestand, was er inzwischen für einen komisches Missverständnis hielt, bekam er von ihr eine Ohrfeige zur Strafe, mit der sie ein weiteres Mal demonstrierte, dass sie leider überhaupt nichts verstand und mit dem geheimen Ehrenkodex seiner eigentlichen Welt nicht wirklich vertraut war.

      Sein Vater war ein Kriegsheld: als einer der ersten an Land gegangen, hinter den feindlichen Linien abgesprungen, in einem Rettungsboot auf ein einsames Atoll gespült. Obwohl Sprössling eines der vornehmsten Häuser Bostons hatte er, gerade was die Frauen anging, immer demokratische Gesinnung bewiesen und auch nicht davor zurückgeschreckt, seiner Geliebten mit Fäusten Respekt zu verschaffen, sollte jemand die Nase rümpfen, weil es sich bei ihr um eine einfache Arbeiterin handelte. Nur seinen Eltern gegenüber war er machtlos, die seine Liebe zu Nancy eine Mésalliance nannten und nichts von seiner Verlobten wissen wollten. Trotzdem hatte er an dem Plan festgehalten, sie zu heiraten, sobald der ewige Krieg vorbei war und sein Herz nicht mehr von Sorge um Amerika bedrückt wurde, und war, ohne von dem Kind zu ahnen, das ihn bei seiner Rückkehr erwarten würde, wieder in den Kampf gezogen. Japan hatte sich ihm inzwischen ergeben wie zuvor schon das Nazi-Reich, und die Russen zitterten längst beim bloßen Gedanken an ihn, aber zu Hause mussten sie weiter auf ihn warten, und irgendwann galt er als vermisst. Tief in ihrem Herzen wusste Nancy, dass dies nur eine Finte war zu seinem und ihrem Schutz und dass er, sobald seine patriotische Pflicht endgültig erledigt wäre, wunderbarerweise heimkehren würde, und sie war fest entschlossen, das Ihre zu tun und tapfer auszuharren. Wenn es sein musste, für immer! Sie seufzte, wenn sie dies alles erzählte, blickte trauerumflort von der Nähmaschine auf und betrachtete ihren Sohn wie jemanden, der schon mehr erfahren hat, als gut für ihn war. Und auch diesem kamen bei solchen Gelegenheiten die Tränen.

      Sie war eine hübsche Frau, das wusste Bill schon früh zu beurteilen. Sie hatte schwarzes Haar und dunkle, seelenvolle Augen. Sie hatte sich mit dem eigenen Schicksal abgefunden, was aber nicht hieß, dass sie auch der Zukunft ihres Sohns resigniert entgegensah. Im Gegenteil! Oft war daher eine seltsame Befangenheit in ihrem Verhalten ihm gegenüber zu spüren, als wäre er gar nicht ihr leibliches Kind, sondern ihr wie einer Amme nur vorübergehend zur Aufzucht überlassen, bis er sein Potenzial endlich ausschöpfen und fern von ihr sein wirkliches Leben beginnen würde. Seine Garderobe genügte dabei von Anfang an höchsten Ansprüchen und bestand zumeist aus Teilen, die den Kindern ihrer vermögenden Kundschaft zu klein geworden waren. Manches fertigte sie auch eigens für ihn. Nie würde er zum Beispiel den dunkelblauen Samtanzug vergessen, den sie anlässlich eines Kostümballs für ihn genäht hatte, den er hinterher aber auch bei ihren sonntäglichen Ausflügen in den Central Park tragen durfte, wo sie beide dann vollends wirkten wie der Sohn aus gutem Haus in Begleitung seiner Gouvernante.

      Jeden Samstag gingen sie zusammen ins Kino und schauten sich meist ein Melodram an, manchmal aber auch einen Gangsterfilm, denn Nancy meinte, so etwas verschaffe Einblick in den Lauf der Welt und beuge leichtfertiger Naivität vor. Bill selbst bevorzugte Western und genoss sie heimlich in Begleitung von Freunden und hatte ein schlechtes Gewissen deshalb, denn er wusste, sie waren eigentlich unter seinem Niveau. Er kopierte einige Gesten der Cowboys, spuckte mit fies herabgezogenem Mundwinkel bedrohliche Phrasen aus und zog den Hut, den er beim sonntäglichen Spaziergang tragen durfte, tief ins Gesicht, aber anstatt wie sonst über seine Scherze zu lachen, schimpfte ihn seine Mutter mit einer Wut, die er an ihr nicht kannte.

      „Das gehört sich nicht“, behauptete sie. „Das ist alles Gesindel.“ Und sie meinte nicht