Название | Der Springer |
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Автор произведения | Helmut H. Schulz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738009279 |
Das ist es. Und mit diesem Gefühl wird Gnievotta jetzt jeden Tag aufstehen, sich in den neuen Zustand einleben und schließlich dahin kommen, vorsichtiger mit sich umzugehen. Vor sich selber wird er den alten, überwundenen Zustand als seine späten Flegeljahre bezeichnen, als den Abschluss einer bestimmten Zeit seines Lebens. Er muss Distanz dazu halten; Träume sind Sache der Jugend.
Da man die Gnievottas überall trifft, ist auch das möglich: In Schikoras Sitzungszimmer hockt Gnievotta eingezwängt zwischen anderen. Schikora ist nun mal kein Redner. Er verhaspelt sich. Gnievotta nimmt einen Witz auf. Er lacht. Sein Lachen steckt an. Schikora muss sagen: «Genossen, wir sind hier nicht im Zirkus.» Nun lacht die ganze Bande, denn Schikora weiß nicht, dass die Leute den Betrieb Zirkus Schikora nennen, ein Vergleich, der aus manchen Gründen naheliegt. Schikora ist ohne Humor. Er hat den Tag schon erlebt, den Gnievotta noch vor sich hat ...
Gnievotta, Kosch und Laski aßen Büchsenfleisch, Eier und Brot. Dazu trank Kosch seine Morgenration Korn und heißen Kaffee. Laski und Gnievotta tranken nur Kaffee. Es war ein starkes Frühstück, Fleisch, Eier.
Seit dem Unwetter Mitte September war es Herbst geworden. Die Kette kühler und regnerischer Tage war nicht wieder abgerissen. In den Wohnwagen lieferten die elektrischen Anlagen Wärme. Kosch hätte zur Schicht müssen, wäre der Anruf kurz vor sechs nicht gekommen, der sie alle drei nach Magdeburg rief. Die in der Zentrale wussten gut, wann sie die Leute antrafen und wann nicht. Zwischen Essen und Trinken erzählte Kosch gerade seine Morgengeschichte von einem Bergmann, der zum Arzt ging. Mancherlei stellte der Doktor fest, herausgesprungene Bandscheiben, bisschen Staublunge und dergleichen Kleinigkeiten. Der Mann sagte, er fühle sich gesund, aber er brauche Tabletten für seine Frau, die in letzter Zeit an Schlaflosigkeit leide. Ob das ginge?
Kosch suchte in den Taschen nach Zigarillos, aber er fand keine. Aus der Schublade seines Schreibtisches kramte Gnievotta eine Schachtel heraus und gab sie ihm.
«Das ist sehr aufmerksam von dir», sagte Kosch. Freundlich richtete er seine Geieraugen auf Gnievotta.
Ohne den Anruf hätte Kosch des Regens wegen die Gummijacke genommen und den Helm, mit einem kurzen Gruß wäre er zur Schicht gegangen. Er ging auch wirklich zum Schrank und nahm sein Zeug heraus.
Gnievotta suchte einen Mann, der zum Bohrfeld fuhr; und erteilte ihm ein paar Aufträge, vermutlich würden sie erst spät zurückkehren. Sie mussten sofort losfahren, wollten sie noch rechtzeitig in der Zentrale sein. Den Geschäftswagen schloss er nicht ab, er hätte ihn auch verschließen können. Hier nahm niemand mehr einen Anruf entgegen. Während sie fuhren, Laski am Steuer, berichtete Kosch weiter von dem Bergmann, der einen Bengel im Bootsschuppen aufgegabelt habe, als der an Benzinmotoren bastelte, offensichtlich ohne was davon zu verstehen. Nicht mal einen Vergaser habe der Junge richtig einstellen können. Aus Barmherzigkeit habe der Bergmann den Jungen in die Kohle geholt, um einen Menschen aus ihm zu machen, was auch teilweise gelungen sei.
Na, na, sagte Laski über die Schulter hinweg zu Kosch, der Bengel habe weder spielen noch trinken können, von Arbeit zu schweigen. Die erste Schweißnaht von dem Bengel habe Laski einem Nervenzusammenbruch nahe gebracht. Kaum mehr als einen großen Säugling habe Kosch angeschleppt. Ob Kasch sich noch daran erinnere, wie der Junge auf dem Förderzeug stand? Nicht mal dort wäre er zu gebrauchen gewesen.
«Nicht mal das, no», bestätigte Kasch. Überhaupt sei doch nicht so viel mit dem Jungen los gewesen, eine Lusche, kein schönes Spiel mit Luschen.
Das war eine von Koschs Morgengeschichten. und Gnievotta fragte, ob Kosch nicht mal was anderes drauf habe.
Woher er wisse, dass von ihm die Rede sei, fragte Laski, von Gnievotta, dem bedeutenden Ingenieur? Nicht alles auf sich beziehen dürfe Gnievotta, das erwecke nur einen schlechten Eindruck. Von einem Mann werde Selbstachtung erwartet, eine Eigenschaft, die Gnievotta wohl nicht besitze, seinen Bemerkungen zufolge. «Aber auch Zurückhaltung wird verlangt», sagte Kosch ernsthaft zu Laski.
Gewiss, auch Zurückhaltung, aber erst in zweiter Linie, sagte Laski, man könne hier nicht alles erörtern, was einen Mann auszeichnen müsse, der einem Trupp von dreißig Mann vorstehe, nur soviel solle noch gesagt werden, der betreffende Bengel, also nicht Gnievotta, sei nur unter großen Mühen erzogen worden.
«Sehr großen Mühen», sagte Kosch.
«Ach, leckt mich doch», sagte Gnievotta.
Schikora und Glücksmann erwarteten sie. Das Zimmer Schikoras lag in einer niedrigen, winterfesten Baracke. Die ganze Zentrale bestand aus solchen eilig errichteten Bauten. Die Baracken glichen einander, ein Mittelgang führte durch sie hindurch, links und rechts gingen die Zimmer ab.
Schikora fragte, ob sie den Anruf noch rechtzeitig bekommen hätten, was überflüssig war, denn sonst würden sie nicht hier sein, und Glücksmann setzte hinzu, er habe das Gespräch abends angemeldet, sei aber erst gegen Morgen verbunden worden.
«Setzt euch doch», sagte Schikora, «wir haben mit euch zu reden.»
Glücksmann erklärte, wegen bestimmter Strukturveränderungen in der VVB läge ihr nächstes Bohrfeld weit im Norden, auf Usedom. Zu überstürzen brauche man nichts. Mit dem Abbau der Anlage könne nach Erreichen der geplanten Bohrtiefe begonnen werden. Vor November oder gar Dezember seien die Vorarbeiten der Geologen mit Sicherheit nicht abgeschlossen. Nowacki, der Chefgeologe, habe in der vergangenen Woche allen Betriebsleitern eindringlich die Schwierigkeiten dargelegt, mit denen die Geologen zu kämpfen hätten. Diese Probleme würden ihre Arbeit jedoch im Augenblick nicht berühren. Nowacki ließe sich im Übrigen nicht drängen.
«Wenn die Könige bauen, kriegen die Kärrner Arbeit», sagte Kosch.
Mit Glücksmann verband sie wenig, der war ein Büromensch, kein Bergmann. Nicht seine fehlende Praxis oder umgekehrt ihr Mangel an Verständnis für ökonomische Fragen trennte sie, sondern Glücksmanns Hang zu langen doppeldeutigen Reden, seine Geheimniskrämerei. Anders Schikora. Der kam aus der Braunkohle, ein misstrauischer, wenig umgänglicher Mann, zu Wutausbrüchen neigend, die er durch übertriebene Freundlichkeit an den Betroffenen wiedergutzumachen suchte.
Das Hin und Her führe zu nichts, sagte Kosch, Zeit müsse man sich bei der Bodenerkundung schon lassen.
«Ja», sagte Schikora bissig, «Zeit, ein oder zwei Jahre pro Bohrung, wie's beliebt. Am besten holt ihr bloß noch euer Gehalt ab.»
«Davon ist keine Rede», sagte Kosch ruhig.
Sie könnten den Haufen Schrott liegenlassen, wo er läge, warf Laski ein, dort liege er gut.
«Zur Ausrüstung kommen wir noch», sagte Schikora. Auf seinen Wink fuhr Glücksmann fort, ihnen die neue Sache vorzutragen. Gnievotta schrieb mit und fing einen lauernden Blick Schikoras auf. Die Zeiten lagen kürzer als gewohnt. Nervös schob Schikora die Gegenstände auf seinem Schreibtisch hin und her, eine kleine Grubenlampe, Mineralbrocken, Schreibzeug.
Gnievotta fragte nach dem Stand der Vorarbeiten.
Die geophysikalischen Karten seien noch nicht da, sagte Schikora verdrossen, sie kämen aber rechtzeitig, wie er hoffe.
«Schlamperei», sagte Laski,
Schikora lief rot an, beherrschte sich aber und lenkte ein. Die Montagezeiten seien so berechnet, bemerkte er, dass sie mit der Geologenarbeit parallel liefen.
Gnievotta erklärte, auch sie brauchten Vorbereitungszeiten, wie Schikora ja gut wisse. Die Sache scheine am grünen Tisch gemacht, was ihm bei dem gründlichen Nowacki doch mehr als wundere.
«Der lässt sich nicht drängen», sagte Schikora.
Die drei saßen vor Schikoras Schreibtisch, in ihren Jacken und Cordhosen. In der Zimmerwärme blätterte der Dreck