Nachbarschaft mit kleinen Fehlern. Elisa Scheer

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Название Nachbarschaft mit kleinen Fehlern
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753134857



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der die Leute bei W&P sabbern lassen würde! Nicht mal die böse Katrin Horst konnte da meckern, die Kasparek und die Bensdorf erst recht nicht, die hatten genauso Sinn für Qualität. Bei denen zu arbeiten hätte ihr auch Spaß gemacht, aber LIT-Ag hatte dann doch das bessere Angebot gemacht.

      Und sie hatten zum Teil schon interessante und bekannte Autoren im Programm, daneben aber immer ein offenes Ohr für neue Leute.

      Jemandem zu sagen, dass sein Erstling leider nichts taugte, war natürlich bitter, aber man konnte mit dem enttäuschten Möchtegernautor auch an einem Text arbeiten, der wenigstens im Ansatz etwas taugte. Und gute Neuentdeckungen waren wirklich ein Fest!

      Luise van Roos konnte es, eindeutig. Und ins Programm von W&P passte der Roman allemal, die hatten viel Sinn für Edelkrimis. Sie schrieb einen verlockenden Begleittext (ohne Spoiler, natürlich), las ihn befriedigt durch und zeigte ihn Sabine, die anerkennend nickte. „Ist die Story wirklich so gut?“

      „Klasse. Komplex, aber nicht sinnlos verwickelt. Sehr gut geschrieben, interessante Charaktere und originelle Geheimnisse.“

      „Ja, das hast du so ungefähr geschrieben. Und jetzt?“

      „Ich möchte der van Roos vorschlagen, das Manuskript W&P zu geben, bei denen passt es gut ins Programm. Jetzt rufe ich sie mal an.“

      „Mach das!“

      Luise von Roos war begeistert und mit allem einverstanden; der Chef der Agentur, Niko Winter, lobte Amelie, bis sie lachte. „Na, W&P könnten immer noch ablehnen, oder?“

      „Ist Ihnen das schon mal passiert?“

      „In den drei Monaten, in denen ich hier arbeite? Nein, aber das kann ja alles noch kommen, oder?“

      „Glaube ich nicht. Sie haben ein Händchen, das ist es!“

      Amelie freute sich. Wenn das Manuskript angenommen würde, bekam LIT Ag zwölf Prozent der Verlagsreingewinns aus dem ersten Jahr nach der Veröffentlichung. Und davon gingen elf Prozent an die Agenturleitung und eins an die verantwortliche Agentin. Das konnten neben dem Gehalt ab und an ein paar tausend Euro sein. Okay, oder knapp hundert, wenn der Schmöker sich dann doch nicht verkaufte…

      Dann schrieb sie eben selbst auf den wichtigen Seiten hymnische Rezensionen! Schließlich war die Geschichte gut!

      So, und was hatte sie jetzt hier?

      Eine Liebesgeschichte – er reich und verkorkst, sie arm und harmlos. Ach herrje! Gab es das nicht schon einmal – oder eher tausendmal?

      Na, mal sehen, wann der Rohrstock zum Einsatz kam! Sie las weiter und machte sich Notizen. Die Frau konnte schon schreiben, aber die Story war gelinde gesagt ausgelutscht. Und wenn man schon London als Schauplatz wählte, sollte man sich dort ein wenig besser auskennen oder doch wenigstens ab und zu mal im Netz einen Stadtplan zu Rate ziehen!

      Origineller wurde die Sache auch nicht, als sie weiterlas. Also, entweder entwickelte diese Frau noch eine persönliche Note oder sie konnte den Kram im Self Publishing rausbringen, gelesen wurde das Zeug ja schon.

      Oder… welche Verlage waren denn für solchen seichten Kram bekannt? Da musste sie mal überlegen…

      Sie las weiter, holte sich mittags einen Salat und eine Gesämestange im Supermarkt gegenüber, las wieder weiter und fand die etwas unelegant hineingequetschte Krimihandlung nicht wirklich überzeugend: Wieso verdächtigte diese unbedarfte Person nun plötzlich ihren reichen und fürsorglichen – und gar nicht so seltsamen – Liebhaber? Gut, er war ein bisschen älter als sie, aber das ließ sich ja mit einem Vaterkomplex erklären. Das musste diese Corinna Schönburg (wetten, so hieß die nicht wirklich?) aber noch deutlich überzeugender und raffinierter aufbauen!

      Nun ja, je weiter sie las, desto eher änderte sich ihre Meinung von Totaler Schwachsinn! zu Kann man was draus machen, wird aber noch viel Arbeit. Und dann vielleicht den Chic-Verlag fragen? Den mit den kitschigen Titelbildern?

      Das hielt Sabine auch für eine gute Idee, sofern sich der Roman im Endeffekt als nicht zu bescheuert erweisen sollte.

      Marco war seinen Lyriker erst am frühen Nachmittag losgeworden und jammerte nun, der Kerl sei vollkommen beratungsresistent, er stelle sich offenbar vor, ein Verlag werde seine Gedichte in Seide gebunden herausbringen und ein Vermögen damit machen.

      „Der soll erst einmal bei Poetry Slams mitmachen, Kleinigkeiten veröffentlichen, sich vielleicht eine Homepage zulegen. Möchtegern-Promis lesen seine Gedichte auf Youtube, all sowas.“

      „Was passt ihm denn daran nicht?“

      Marco schnaufte. „Seelenlose Technik. Goethe hätte nie…!“

      „Quatsch, Goethe war zu seiner Zeit der totale Trendsetter. Allein schon, dass alle seine Fans sich genauso angezogen haben wie er!“, rief Amelie.

      Sabine lachte. „Blauer Frack und gelbe Beinkleider. Die Werthertracht!“

      „Was hat dein Dichter eigentlich studiert?“, wollte Amelie wissen. „Germanistik kann´s ja eigentlich nicht gewesen sein, oder?“

      „Weiß ich gar nicht, Philosophie vielleicht? Jedenfalls schreibt er auf Papier. Mit der Hand.“

      „Mit Gänsekiel?“, konnte Amelie sich nicht verkneifen. Sabine ging hohnlachend ab, Marco schniefte wehleidig.

      Komisch, Marco hatte öfter solche Gestalten – wieso eigentlich? Mit denen konnte man doch, wenn man ehrlich war, auch nichts verdienen?

      Sie konnte da im Gegenzug nicht klagen, sie war erst seit drei Monaten da und hatte schon einen vielversprechenden Roman an Land gezogen, bei einem anderen die Filmrechte verkauft – und jetzt war die Roos doch auch eine interessante Option? Damit konnte sie schon mit ein paar hundert Euro pro Monat für die nächsten Jahre rechnen…

      Das sollte sie mal Papa erzählen, der immer so tat, als sei sie eine gescheiterte Existenz: „Germanistik? Was kann man denn damit werden? Mach doch Jura – geklagt wird immer!“

      Jura hatte sie nur leider überhaupt nicht interessiert, obwohl mittlerweile das, was sie hier brauchen konnte, doch recht spannend war, aber da ging es eben um Urheber- und Vermarktungsrecht. Das war ein überschaubares Gebiet – und wichtiger war Niko wohl doch, dass sie ein sehr gutes Gespür dafür hatte, wie man einen Text optimierte.

      Ja, sie konnte zufrieden sein: Toller Job! Und eine sehr ordentliche Wohnung. Fertig einrichten musste sie sie noch, aber das war ja eigentlich auch nur ein Spaß…

      Morgen vielleicht doch ein Sofa? Und weitere Kissen und Bezüge?

      Mal sehen…

      Auf dem Heimweg aber schlugen ihre Füße sozusagen fremdgesteuert einen kleinen Umweg ein und führten sie ins Bombay. Sollten die sich nicht korrekterweise endlich mal Mumbai nennen, dachte sie wie immer in den letzten Jahren, wenn sie hier vorbei kam. Immer diese Kolonialherrensprache?

      Aber das Bombay hatte eine irrsinnige Auswahl, wenn auch alles stark nach Sandelholz zu riechen pflegte… wenn schon, ihr gefiel der Duft eigentlich ganz gut.

      So, noch zwei Kissenbezüge, einer zartgelb, einer schwarzweiß, so hatte sie es sich notiert. Sie wühlte das große Regal durch, wie immer ohne von Verkäuferinnen behelligt oder gar beraten zu werden. Zartgelb mit einer eher schmalen Kante im Bollywoodstil in kräftigerem Gelb mit etwas schwarz und grau – sehr hübsch. Und da, verschieden breite Streifen in Schwarz auf Weiß, die eine Art Farbverlauf andeuteten… auch sehr nett.

      Oh, und schwarzweißes Karo? Gingham? Egal, das konnte sie auch brauchen, sie würde an der van Roos sicher auch gut verdienen. Als allererstes würde sie es sich ja selbst kaufen und gleich rezensieren – fünf Sterne!

      Dazu noch Daunenkissen in der passenden Größe… sehr gut.

      ZU Hause drapierte sie die Kissen auf dem Klappsessel, der darunter kaum noch zu erkennen war. Ein dunkelgraues Sofa musste her, eindeutig!