WEHE… WENN. Andrea Lieder-Hein

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Название WEHE… WENN
Автор произведения Andrea Lieder-Hein
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847695059



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nur...

      Er griff zum Hörer, um Kaatje von ihrer unerwarteten Erbschaft zu berichten, aber niemand nahm ab. Kaatje war noch in München.

      Kaatje bei facebook

      Als Kaatje die Augen öffnete, blickte sie auf einen knallblauen Himmel. Die Sonne schien, das Frühstück lockte. Ihr letztes in München.

      Sie stieg vorsichtig aus dem Bett und ging zum Fenster. Die Isar floss wie schweres Blei dahin, grau und müde. Kaatje drehte sich um und schaute auf ihr Smartphone. Sollte sie eben doch mal....? Nein, noch nicht, nicht ungeduscht und nicht mit leerem Magen.

      Duschen war eines der besten Dinge, die es in Kaatjes jetzigem Leben gab. Minutenlang unter dem heißen Strahl stehen, den Kopf völlig leer geduscht von all’ den hässlichen Gedanken, einfach nur Mensch sein, das waren Erlösung und Glück zugleich. Die harten Strahlen trommelten Kaatje durch die langen Haare hindurch direkt auf ihre Kopfhaut bis tief in die verwundete Seele hinein. Leergeduscht, alle Sorgen weggewaschen durch den Abfluss eines Hotels in München. Für immer weg. Für diesen Tag jedenfalls.

      Geschminkt und angezogen stieg Kaatjes Laune bis ins Unermessliche. Fröhlich griff sie zu ihrem Handy, mit leerem Magen, aber was soll’s!?

      Bei FB stieß sie dann auf die verdrängte Freundschaftsanfrage von Emma. EMMA, DU ALTE HEXE. Du Biest, DU TEUFEL!!! Ich hasse dich, du mieses Schwein! DU hast mein Leben zerstört....

      Kaatjes Laune sank schneller als sie vorher angestiegen war. Mit weichen Knien wankte sie zum Bett und setzte sich hin.

      Sollte sie dieser Frau antworten? Sie wollte sie NIE wieder sehen, NIE wieder mit ihr Kontakt aufnehmen... wenn da nicht Meeno gewesen wäre. Ihren Meeno würde sie gerne wiedersehen. Ihre Finger zitterten und kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Dann plötzlich, ohne es recht zu wollen, hatte sie den Button berührt. Freundschaft akzeptiert.

      Kaatje war wie von Sinnen, taumelte ins Bad und erbrach grüne Flüssigkeit, bis sie krampfend und schluchzend zum Bett wankte, tränenüberströmt und ängstlich wie ein Kind.

      Kaatjes Tagebuch

      Als Kaatje wieder in Bremen angekommen war, fühlte sie sich halbwegs stabil. Die beiden Hunde begrüßten sie stürmisch, ihr Bruder Thure hatte Kaffee gekocht und –Oh Wunder- Kuchen gebacken. Es war alles wie immer, es war ihr Zuhause, alles wie gewohnt.

      Sie hatte neun Stunden gebraucht für die Fahrt, Pausen gemacht und sie war vorsichtig gefahren. Es war schön, dass Thure auf sie gewartet hatte. Kuchen um acht Uhr abends war zwar ungewöhnlich, aber sie hatte es genossen, nicht alleine zu sein. Nun aber war sie es, abgesehen von Amos und Pan.

      Mit einem Glas Rotwein in der Hand schritt sie mutig zum Schreibtisch und holte ihr Tagebuch heraus, ihr altes Tagebuch aus Schulzeiten. Es sah aus wie ein Poesie-Album. Mit Pferdebildern und Hunden und Katzen verziert lag es nun vor ihr. Sie hatte es damals geschenkt bekommen, als sie in die 7. Klasse des Gymnasiums kam. Als Poesiealbum für ihre Mitschüler. Aber sie hatte es als Tagebuch benutzt und es waren am Ende noch ein paar Seiten leer. Da könnte sie vielleicht noch etwas ergänzen. So etwas wie ENDLICH HABE ICH IHN WIEDER!!! Meinen Meeno...

       Wir sind 32 Schüler und manche Mädchen tragen Röcke. Wie affig. Ich sitze neben Bine, Sabine Müller, sie ist nett, aber ein bisschen schüchtern.

      Kaatje musste schmunzeln. Bine, sie war nur drei Monate auf dem Gymnasium. Dann hatten ihre Eltern sie wieder abgemeldet. Sie schaffte den Stoff nicht, meldete sich nie und war immer nur traurig. Was aus ihr wohl geworden war?

      Kaatje blätterte weiter.

       Mama ist gestorben. Warum, weiß ich nicht. Ihr Herz ist einfach stehen geblieben, sagt Papa. Nun bin ich mit Papa und Thure alleine. Ohne Mama.

      Ja, das war furchtbar. Kaatjes Vater war Gynäkologe in Bremen und fast nie zu Hause. Immer nur Praxis oder Klinik. Dort hatte er Belegbetten für Geburten. Kaatjes Mutter war Hebamme und half ihrem Mann immer in der Praxis, wenn sie nicht gerade Patienten betreute. Sie war sehr beliebt bei allen Patienten. Ihr Tod war ein echter Verlust für ihren Vater und die schwangeren Frauen. Kaatje versuchte sich zu erinnern. Ihre Mutter war lieb, immer für sie da, aber nicht greifbar. Sie hatte keine Spuren hinterlassen, weder gute noch schlechte. Verschwunden wie im Nebel. Einfach so.

      Nach der Beerdigung war ihr Vater sehr betrübt. Er wusste nicht, wie er mit Kaatje und dem kleinen Thure umgehen sollte, weil er doch immer arbeiten musste. Am folgenden Tag erzählte er ihr dann, dass er beabsichtigte, sie in ein Internat in Oldenburg zu geben. Das sei besser so. Oldenburg war nicht so weit von Bremen entfernt, und an Wochenenden wollte er sie besuchen oder sie ihn. Aber trotzdem, Kaatje war entsetzt. Es war Sommer, sie gerade in die 9. versetzt, gerade 15 geworden, und dann von zuhause weg. Furchtbar.

      Und Thure? Der kam zu Oma. Er war ja erst fünf.

       Mama ist tot. Einfach so. Und Papa will mich loswerden. Er schickt mich nach Oldenburg auf ein Internat. Da muss ich dann noch FÜNF Jahre leben, nur mit Fremden. Mit Erziehern und fremden Kindern. Wie soll ich das aushalten? Ich wäre auch lieber zu Oma gezogen, wie Thure. Der hat es gut. Oder zu Oma und Opa nach Luzern. Alles besser als in ein Internat. Mit Erziehern. Wie sich das schon anhört. ErziehungsAnstalt!!!

       Die Beerdigung war soooo traurig. Hunderte Leute waren da, alle weinten und Papa ging gestützt von Oma hinter dem Sarg her. Und ich dahinter, mit Opa. Es waren alles Patienten von Papa und Mama, fast alles Frauen. Und Nachbarn. Und Freunde. Und ich. Aber mich bemerkte kaum einer, außer Opa.

      Kaatje wischte sich eine Träne aus den Augen. Ihr Opa starb zwei Jahre später, bei einem Verkehrsunfall. Ab da lebte Thure mit seiner Oma alleine.

      Die Eltern ihres Vaters lebten in der Schweiz, in Luzern, aber ihr Vater redete nicht mit ihnen. Warum, wusste Kaatje bis heute nicht. Es ging um Geld, aber mehr war nicht in Erfahrung zu bringen.

      Kaatje blätterte weiter. DA, da war endlich das, was sie suchte.

       Sommerferien rum, heute erster Tag in der neuen Schule. Im Internat in Oldenburg. NIGOL nannten es alle, Niedersächsisches InternatsGymnasium Oldenburg. Na toll.

       Komme gerade aus der Schule. Muss gleich in die Mensa. Essen. Teile mir mein Zimmer mit Gesa, sie sitzt auch neben mir. In der 12. und 13. habe ich dann ein Zimmer für mich alleine. Aber Gesa, das ist OK.

       Du glaubst es nicht, Tagebuch, in meiner Parallelklasse, in der 9F, ist ein sooo süßer Junge, Meeno heißt er. Ich habe ihn immer angucken müssen, UND er hat ZURÜCKGELÄCHELT. Ich bin soooo glücklich. Ich bin so verliebt. Meeno, Meeno, Meeno, ...

      Da war es. Ja, so hatte sie Meeno kennen gelernt. In der 9ten Klasse, als Schüler der 9F. Sie war vorher so verzweifelt gewesen und dann war alles wie weggeblasen, der Kummer, der Schmerz, der Tod ihrer Mutter... nur durch Meeno. Ja, sie hatte es richtig gemacht. Freundschaft akzeptiert. Sie würde Meeno wiedersehen, und hoffentlich noch mehr als das. Sie würde wieder seine warme Haut spüren, in seinen Haaren wuseln, seine Lippen suchen. MEENO......

      Dr. Jonas Krohn

      Geduscht und froh gelaunt humpelte Jonas Krohn mit seinem Gips in seinem Haus die Treppe runter und freute sich auf ein wunderbares Frühstück. Rührei mit Speck, dazu frische Brötchen, Cappuccino und einen starken Espresso extra. Etwas Obst und Sonja, wenn sie schon geduscht hatte. Sonja hatte er gestern aufgegabelt, irgendwo zwischen Gin und Sekt. Das Leben konnte so schön sein. Gutgehende Kanzlei, beliebt, bekannt, reich, und die Frauen zu