Treibsand. M. Perthes Friedrich

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Название Treibsand
Автор произведения M. Perthes Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847671282



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leichte Spuren in ihrem Nacken hinterlassen. „Selbst schuld, wenn du mich so geil machst.“

      Die Personen am Tisch neben ihnen, ein Pärchen, etwa im gleichen Alter, sahen zu ihnen rüber. In den Augen der jungen Frau war klar die Sehnsucht nach einer ähnlichen Leidenschaft zu erkennen. Der Typ, ein leicht stämmiger Bursche mit Borstenhaarschnitt und bräunlichem, kurzgeschorenen Vollbart, verdrehte nur die Augen und nahm einen Schluck von seinem Hefeweizen. Tim sah ihn an und musste lachen. „Is` was?“ Ein Schwall mit leicht aggressivem Unterton kam vom Nebentisch. „Ne`, alles Roger, Kurt Beck. Wollte eure romantische Zweisamkeit nicht stören.“ „Lass das!“, zischte Leila in sein Ohr und musste sich ein Lachen verkneifen. „Was redest du da für `nen Mist.“ Der Typ schaute ihn mit gerunzelter Stirn verdutzt an. „Nix – nimm``s locker Junge. Cheers!“ Tim hob sein Glas, um mit seinem Nachbarn anzustoßen. „Verpiss dich!“, grummelte der nur und drehte sich ab. Leila konnte sich kaum noch bremsen vor Lachen. Sie schnappte Tims Unterarm und biss ebenfalls hinein. „Ahh!! - Fuck, spinnst du?“ Sie kicherte nur kindlich. „Sorry, ging nich` anders“ Zärtlich streichelte sie seinen Unterarm und küsste die Bissstelle.

      „Komm, lass uns gehen, Kleiner!“ Leila war zwei Jahre älter als Tim. Er wusste, dass sie ihm geistig und rhetorisch überlegen war. Momentan schrieb sie an ihrer Doktorarbeit in der medizinischen Grundlagenforschung. Vor kurzem hatte sie ihr Medizinstudium mit Bestnoten abgeschlossen. Nun war sie auf der Suche nach einer geeigneten Stelle für ihre Assistenzzeit in der Klinik, in der sie auch die Versuche für ihre Doktorarbeit durchführte. Tim hasste es, wenn Leila die Zügel in die Hand nahm. Er war selbst ein sehr dominanter Mensch und im Zusammensein mit Frauen pflegte er gerne die „alte Schule“. Still schluckte er seinen Ärger hinunter, streichelte kurz seinen angegriffenen Stolz und rief den Kellner. Nachdem er bezahlt hatte, half er Leila in ihre Jacke und führte sie mit einer Hand an ihrem Rücken durch die Bar nach draußen. Im Vorbeigehen ließ er dem Typen am Nachbartisch noch ein kurzes „Piece Out, Hombrey!“ zurück und sie verschwanden aus der Bar.

      Gemeinsam liefen sie die enge gepflasterte Straße, die zu ihrer kleinen Wohnung führte entlang. Tim hatte für drei Nächte eine zwei Zimmer Wohnung im StadtteilPrenzlauer Berg gemietet. Die vielen Gläser Cider zeigten bei beiden bereits ihre Wirkung. Während sie fest umschlungen kreuz und quer die kleine Straße hochliefen, begann Leila laut zu singen. „We all live in a yellow submarine....“ Es klang grausam. „Willst du die Katzen hier verjagen?“ Für eine Frau sang sie ungewöhnlich schlecht. Und darüber wusste sie bestens Bescheid. Seine kleinen Spitzen hielten sie aber scheinbar nicht davon ab sich weiter selbst zu genießen. „Du Schuft!“, lachend kniff sie ihm in den Po und rannte quer über die Straße zu einer großen Bronzestatue, die hinter einem niederen Eisenzaun stand. Der Mann hatte einen bemitleidenswert kleinen Penis. Ohne zu zögern kletterte sie über den Zaun und stieg auf den steinernen Podest zu der Statue. „Schnell, mach ein Bild!“, schrie sie Tim zu. Sie bückte sich leicht und küsste dem Mann seinen kalten, nackten Hintern. „Du hast sie einfach nicht mehr alle!“

      Etwa fünfzehn Minuten später saßen sie auf einem antiken braunen Sofa mit dicken Knöpfen, die das robuste Leder strafften. Tim liebte diese Art Möbel. Oft dachte er daran, wie es wäre, fünfzig Jahre früher zur Welt gekommen zu sein. Hätte er mit seiner Art und seinem Stil die Welt im Sturm erobert?

      Er hatte seinen rechten Arm fest um Leilas Schultern gelegt. Ihr Kopf lag zur Hälfte auf seiner Schulter zur anderen auf seiner Brust. In seiner linken Hand hielt er einen Scotch. Lagavulin, sechzehn Jahre. Einer seiner Favourits. Auf dem Weg nach Hause hatten sie an einer kleinen Bar Halt gemacht. Über der schweren Tür hing ein großes Schild auf dem „Scotch and Sofa“ geschrieben stand. Die Bar ähnelte einer Smoker´s Lounge im Stile der fünfziger Jahre. Vor dem großen Spiegel hinter der robusten Eichenbar standen die besten Whiskeys, Brandys, Cognacs und sonstige Spirituosen. Im Hintergrund tönten leise Jazzklänge. Das wenige Licht schimmerte in der Rauchwolke vor ihnen. Die verschiedenen antiken Sofas und schweren Couchtische waren in großzügigem Abstand voneinander im Raum verteilt. Es war bereits ein Uhr und nur noch wenige Gäste befanden sich in der Bar. Tim nahm die anderen Gäste kaum noch wahr. Langsam zog er seinen Arm über ihren Kopf und griff nach seiner Zigarette, die im Aschenbecher vor ihnen abbrannte. „Was denkst du, wird aus uns?“ Er nahm einen kräftigen Zug und hielt seinen Blick nach vorn gerichtet. Kurz wartete er auf eine Reaktion von ihr. Dann nahm er einen weiteren Zug und wandte seinen Blick nach rechts. „Ich meine, was passiert da zwischen uns? Wir kennen uns erst vier Monate. Wann immer möglich verbringen wir unsere Zeit miteinander. Ich habe mich noch nie mit einer Frau so vertraut gefühlt. Trotzdem bekomme ich von dir immer wieder Signale, dass wir keine vernünftige Zukunft haben können.“ Leila schwieg. Ohne ein Wort zu sagen, griff sie nach seinem Scotch, nahm einen kräftigen Schluck und verzog furchtbar ihr Gesicht. Tim reichte ihr seine Zigarette und sie nahm einen Zug davon. Er klopfte die abgebrannte Asche ab und richtete seinen Blick wieder nach vorn. „Warum setzt du mich unter Druck, Tim? Ich weiß, wie kompliziert mein Leben ist. Und aus diesem Grund habe ich es dir gleich zu Beginn erklärt.“ Sie schwiegen. Damit hatte sie recht. Die Situation war schnell klar geworden. Dennoch fühlte er es. Erst vier Monate waren vergangen seit seiner spontanen Fahrt zu ihr und den vielleicht leidenschaftlichsten zwei Nächten in seinem Leben. Eine Geschichte, die eigentlich eher in das Muster One Night Stand passen würde. Diese Frau war gefährlich. Doch Tim war fest entschlossen sich der Gefahr zu stellen.

      Sie blieben noch lange in der Bar sitzen. Ihre kurze Aussprache hinterließ keine Spuren auf ihre Stimmung. Diese Gespräche waren in letzter Zeit häufiger geworden und sie lernten darüber hinweg zu sehen.

      „Kannst du mir deine Sprache beibringen?“ In seinen Vorstellungen träumte Tim oft davon damit eines Tages ihre Familie zu beeindrucken. Er war kein Fremdsprachentalent. Dennoch fand er Sprachen anziehend. Gerne hätte er sie alle gelernt. Doch meistens bewies er nur wenig Durchhaltevermögen. Dieses Mal war es aber etwas anderes. Tim wollte kurdisch lernen, um Leila besser verstehen zu können, um ihre Kultur und ihren Alltag nachvollziehen zu können.

      „[De Tschiauwanni - Na we men Tim a] - das heißt; wie geht es dir? Mein Name ist Tim.“ Er wiederholte den Satz zwei Mal. „Und dann sagst du [baschm sors spass] mit scharfem S am Ende. Das bedeutet; gut vielen Dank!“ Für Leila war die kleine Unterrichtseinheit bestimmt anstrengend.

      Sie lagen bereits in dem kleinen Bett in ihrer Mietwohnung. Es musste nach vier Uhr sein und der Alkohol machte sie langsam schläfrig. „Was heißt, ich liebe dich?“ „[Ez te hesch diggm]“ Tim wiederholte den Satz, küsste sie auf den Mund und ließ sich neben ihr in das Laken fallen. „Ich weiß noch, wie du es das erste Mal sagtest.“ Das war das letzte, was er hörte, dann schlief er ein.

      Tim schreckte unsanft aus seinem Traum auf. Hastig versuchte er den Lärm zu lokalisieren, der ihn geweckt hatte. In seinem Kopf pulsierte ein hämmernder Schmerz vom gestrigen Alkohol. Unter der dicken Decke fühlte er das feuchte Laken. Während er schlief, musste er stark geschwitzt haben. Seine Hand griff unkontrolliert auf den Nachttisch und warf dabei ein halb volles Whiskeyglas auf den Boden. Krampfhaft öffnete er die Augen. Durch das Dachfenster schien bereits die hochstehende Sonne. Sein klingelndes Handy vibrierte auf dem Nachtisch.

      „Ja, hallo?“ Seine Stimme klang verschlafen. Der pochende Schmerz in seinem Kopf machte jedes Wort zu einer Qual.

      „Hallo, Tim! Habe ich Sie etwa geweckt? Haben Sie einen kurzen Moment Zeit?“ Die Stimme am Telefon kam ihm bekannt vor. Woher kannte er diesen Mann?

      „Ja, Sie haben mich geweckt. Wer ist da?“

      „Das tut mir wirklich leid. Ich dachte Sie wären schon wach. Hier spricht Privatdetektiv Thomas Ringer. Sie haben mich vor etwa sieben Wochen kontaktiert. Sie wollten Information über ein unbekanntes Krankenhaus in Schweden.“ Langsam dämmerte es ihm. Er hatte das Gespräch schon fast vergessen. Nachdem er mehrere Wochen nichts gehört hatte, hatte er den Glauben aufgegeben, über diesen Weg etwas herauszufinden. „Es tut mir leid, dass Sie so lange nichts von mir gehört haben, aber auf Grund der wenigen Informationen, die Sie mir geben konnten, war die Aufgabe doch schwieriger als erwartet.“ Der Mann schien einen Augenblick abzuwarten, ob Tim etwas erwidern wollte. Er hatte den Mann nie gesehen. Im Internet war er auf seine Homepage gestoßen.