Название | Treibsand |
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Автор произведения | M. Perthes Friedrich |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847671282 |
Gemeinsam standen sie mit einer Gruppe von ungefähr zwölf weiteren Personen an einem Überrest der Berliner Mauer. Die Abendsonne wärmte noch leicht, während sie bereits fast vollständig hinter den endlos wirkenden Häuserreihen verschwunden war. Durch die mächtigen Häuserschluchten zog ein angenehmer leichter Wind. Tim hielt Leila fest in seinem rechten Arm. Ein Student, wahrscheinlich bereits Anfang dreißig, stand vor einem Mauerabschnitt. In Mitten des durch die Zuhörer gebildeten Halbkreises erzählte er eine Geschichte aus vergangenen Tagen, während die Mauer noch Ost- von Westberlin trennte. Es handelte sich um ein Liebespaar, das durch die Mauer getrennt wurde. Der Mann musste seine Geliebte in der ehemaligen DDR zurücklassen. Nachdem er drei Tage trauerte, begegnete er abends in einer Kneipe einer Frau. Da er bereits leicht betrunken war, konnte er kaum glauben was, er sah. Diese Frau sah seiner verflossenen Liebe zum Verwechseln ähnlich. Sie begannen eine ungezwungene Affäre. Nach zwei Monaten nahm er sie mit auf einen Ausflug. Er wollte ihr seine alte Heimat Ostberlin zeigen. Nachdem die Frau im Hotelzimmer eingeschlafen war, stand der Mann aus dem Bett auf und durchwühlte ihre Handtasche. Er schnappte seinen Koffer und steckte den Pass seiner neuen Freundin in seine Jackentasche. Mit dem Pass in der Tasche und seinem Koffer auf der Rückbank fuhr er auf direktem Weg zu dem alten Haus seiner großen Liebe. Ohne zu zögern stieg sie in seinen Wagen und beide fuhren mit Hilfe des gestohlenen Passes über die Grenze nach Westdeutschland.
Nicht einen Augenblick hatte er etwas für die Frau in seinem Hotelzimmer empfunden und ließ sie identitätslos in Ostberlin zurück.
Der Stadtführer bedankte sich bei seinen Zuhörern und beendete mit dieser Geschichte sein Programm durch die Hauptstadt. Die Zuhörer klatschten und gaben dem Mann ein reichliches Trinkgeld. Anschließend löste sich die Gruppe auf.
Tim und Leila schauten sich ruhig in die Augen. Die Geschichte mochte vielleicht erfunden gewesen sein, doch sie wussten wie weit man manchmal bereit sein musste zu gehen, um die Liebe zu schützen. Dass die ehrliche und tiefe Liebe zweier Personen oft nicht genug war, um ein gemeinsames Leben führen zu können.
„Gehen wir was trinken?“ Tim unterbrach ihr kurzes nachdenkliches Schweigen. Sie waren die letzten, die noch an der Mauer standen. „Oh ja gerne. Ich habe Lust mich mal wieder so richtig mit dir zu betrinken.“ Leila strahlte im ganzen Gesicht. Sie war merklich glücklich. Dieser Blick bedeutete für Tim seit einigen Monaten alles. Sie glücklich zu sehen machte auch ihn zufrieden. Wie lange hatte er danach gesucht. Zufrieden zu sein. Gedanklich für einige Zeit das Streben nach mehr einfach zu vergessen. Sie konnten noch nicht sehr viel Zeit miteinander verbringen. Doch von einem Wochenende wie diesem schöpfte er eine ganze Woche Kraft. Gemeinsam vergaßen sie einfach die Probleme, die diese Beziehung mit sich brachte. Bewusst sprachen sie nicht über diese Themen. Über den Konflikt, den ein Leben in einer westlichen, liberalen Gesellschaft mit sich brachte, während Leila gleichzeitig noch gefangen in einer fremden Kultur zu sein schien. Tim wusste, dass auf ihren Schultern große Verantwortung lastete und sie oft genug Schwierigkeiten damit hatte, die so verschiedenen Anforderungen in ihrem alltäglichen Bewusstsein zu meistern.
„Ich liebe es einfach, wenn wir unseren Pegel haben.“ Ihr Arm legte sich um seinen Hals und in ihrem Gesicht strahlte dieses verliebte Lächeln. „Dann verschwinden wir immer unter unserer Käseglocke. Ich kann einfach mit keinem so gut philosophieren wie mit dir.“ Schmunzelnd über die Käseglockemetapher stand er ihr gegenüber und blickte in die großen Augen, die strahlend zu ihm aufblickten. Leila war fast einen Kopf kleiner als Tim. Wenn sie ihn so anschaute konnte nichts der Schönheit ihrer exotischen Augenform gleichen. Mit beiden Händen fasste er ihr Gesicht unterhalb der Ohren und presste ihr einen dicken Kuss auf die Lippen.
Sie bekamen einen kleinen Tisch etwas weiter hinten im Raum. Der Irish Pub war bis zum Anschlag gefüllt. Tim bestellte einen Pitcher Cider und zwei Gläser mit Eiswürfeln. „Hast du Hunger, Kleine?“ „Geht schon. Wir trinken einfach mehr.“ Diese Lippen konnten so viel Unschuldiges und doch zugleich noch mehr Freches ausstrahlen. Der Kellner nahm die Bestellung auf und ging zurück Richtung Bar.
„Weißt du noch, als wir uns damals mit Glühwein vollgeschüttet hatten und vom Riesenrad die Menschen mit Mandeln beworfen haben?“ Ihre Hand fuhr durch sein kurzes dunkles Haar. „Du hattest ein richtig schlechtes Gewissen. Bis du dich endlich getraut hattest, waren wir bestimmt schon zwei Runden gefahren.“ Auf seinem leicht erhitzten Gesicht fühlte sich ihre Hand angenehm kühl an, während sie provozierend albern über seine rechte Wange streichelte. „Tim, manchmal bist du einfach zu brav für diese Welt.“
Leila und Tim saßen immer nebeneinander an einem Tisch. Alle Paare, die sich gegenüber saßen hielten sie für spießig. „Ach red kein Scheiss!“ Ihr Kommentar ließ ihn nicht unberührt. Tim konnte es nicht ausstehen, wenn Leila ihn an diesem Punkt in die Mangel nahm. In vollen Räumen wie Restaurants oder Bars war Tim manchmal etwas schüchtern und stets darauf bedacht, nicht negativ aufzufallen. Oft fühlte er sich dabei von den Menschen um ihn herum beobachtet. Leila konnte ihn allerdings dazu bringen diese Gedanken abzuschalten. Oft hatten sie Stunden in einer Bar verbracht, ohne dass er auch nur seine Umgebung bewusst wahrgenommen hätte. Wohingegen sie sich auffallend wenig darum kümmerte, was die Menschen in ihrer Umgebung über sie dachten. Dies gab Leila eine extrem selbstsichere Ausstrahlung. Manchmal dachte Tim, dass sie mit Absicht auffallen wollte. Vielleicht auch etwas schockieren, um gegen die gesellschaftlichen Zwänge, die sie sonst umgaben zu rebellieren.
„Wie damals, als ich in diesem mexikanischen Restaurant die Brüste und Penisse auf die Tischdecke malte“, schoss es lachend aus ihr hervor. Wieder eine Situation, die Tim unangenehm war. Schnell versuchte er das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Ich bin eben schnell Erwachsen geworden. Wir können nicht für immer achtzehn bleiben. Du konntest dir bisher eben noch diese jugendliche Albernheit bewahren. Und du hast dein südländisches Temperament.“ Er nahm Leila in den Arm und küsste sie fest auf den Mund. Ihre Arme wickelten sich um seinen Hals und pressten ihn noch fester an sich heran.
Als sie wieder aufsahen, stand ihr Pitcher, zwei Gläser mit Eiswürfeln und ein Teller mit käseüberbackenen Nachos vor ihnen auf dem Tisch. „So gefällst du mir schon viel besser.“
„Was denkst du, wie alt ist das Universum?“ Etwas mehr als eine Stunde war vergangen. Der Pitcher war fast leer. Noch immer saßen sie eng nebeneinander an ihrem Platz und philosophierten über so ziemlich alles, was ihnen gerade einfiel. „Naja, es ist knapp vierzehn Milliarden Jahre alt“, antwortete Tim. „Hab` ich zumindest gelesen. Das konnte man bestimmten, indem man die kosmische Hintergrundstrahlung entdeckte und messen konnte. Irgendwer hat dafür einen Nobelpreis bekommen, soweit ich weiß.“ „Kosmische Hintergrundstrahlung?“ „Das ist sozusagen das erste Licht, das sich frei durch den Raum bewegen konnte.“ Aufmerksam blitzten ihre dunklen Augen, während sie ruhig seinem kleinen Exkurs in die Astrologie folgte. Tim wusste, wie wissbegierig Leila war und dass sie an seiner Erklärung wirkliches Interesse hatte. „Du musst dir vorstellen, dass sich das Universum ständig ausdehnt. Wie wenn du einige Punkte auf einen Ballon malst und ihn langsam aufbläst. Die Größe der Punkte bleibt annähernd gleich. Aber die Entfernung dazwischen ändert sich stark. Dadurch wird auch das Licht auseinander gezogen. Und je länger eine Lichtwelle, desto mehr schiebt sie sich in den infraroten Bereich. Man nennt das Rotverschiebung. Also misst man diese Verschiebung und wenn man weiß, wie schnell sich das Universum in etwa ausdehnt, kann man dann berechnen, wie alt sozusagen dieses Licht ist. Anscheinend ziemlich genau 13,7 Milliarden Jahre.“ „Du weißt, ich liebe es, wenn du so schlaue Dinge sagst. Würde dich gerade am liebsten direkt auffressen.“ Langsam schob sich ihre rechte Hand auf seinen Schenkel und fuhr sanft über seinen Schritt. „Lass das, du kleines Luder!“ Wieder dieses freche Grinsen. „Das gefällt dir doch. Ich spür` ja sogar schon, wie dir das gefällt.“ Schlagartig