Rubin. Ralf Lothar Knop

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Название Rubin
Автор произведения Ralf Lothar Knop
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753181813



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gefasst hatte, fragte er nach:

       Why not?

       Because you will find your head next to your bed tomorrow morning if you stay at one of those hotels.

       Oh!

      Die Dame empfahl Rubin schließlich ein Hotel in der West 72nd Street ganz in der Nähe vom Broadway. Dieses Hotel hatte den Vorteil, dass Rubin während der vier Tage, die er in New York City verbrachte, seinen Kopf auf den Schultern behielt und dass es ganz in der Nähe vom Central Park lag; der Nachteil bestand allerdings darin, dass die Kosten für das Zimmer bei weitem das überstiegen, was Rubin sich vorgestellt hatte und er sich wirklich leisten konnte. Um Kosten zu sparen, benutzte Rubin keinerlei öffentliche Verkehrsmittel, was wiederum den Nachteil hatte, dass sich sein Aufenthalt wegen der großen Entfernungen innerhalb der Stadt auf den Broadway und den Central Park beschränkte. Bis zum heutigen Tag bedauert Rubin, dass er deswegen die Freiheitsstatue nicht gesehen hat, geschweige denn nach Liberty Island mit einer Fähre übergesetzt oder gar in der Aussichtsplattform der Krone der Statue of Liberty gestanden hätte.

      Die brütende Hitze in der Stadt war allerdings am besten zu ertragen auf den Parkbänken im Central Park oder in seinem Hotelzimmer, das mit Air Conditioning eine angenehme Temperatur hatte. Nach Einbruch der Dunkelheit ließ sich die Temperatur draußen etwas besser ertragen, sodass Rubin am liebsten in dieser Zeit über den Broadway schlenderte; das schien auch anderen Menschen so zu gehen, denn es waren riesige Menschenmassen, die sich durch diese Straße schoben.

      Am zweiten Tag seines Aufenthaltes in New York City lernte Rubin im Hotel einen deutschen Tourismus Manager kennen, der ihn auf sein Zimmer zu einem Whiskey einlud, wobei das Wort „Zimmer“ in diesem Fall nicht angebracht war. Es handelte sich vielmehr um eine Suite mit einem riesigen Wohnzimmer und einem getrennten Schlafzimmer. Der Manager, an dessen Namen Rubin sich natürlich nicht erinnern kann, schenkte sich und Rubin einen Whiskey ein und hielt dann einen langen Vortrag über seine Tätigkeit als Tourismus Manager; er war sehr stolz auf diese Tätigkeit, bei der er, wie er meinte, ständig in den besten Hotels der ganzen Welt im Urlaub war und nicht nur die Kosten für die Hotels und die Mietwagen wurden von seiner Firma übernommen, sondern er erhielt auch noch Spesen in einer Höhe, die ihm ein komfortables Leben ermöglichten. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er sich für einen der Auserwählten dieser Welt hielt.

      Schließlich gewährte er Rubin die Möglichkeit, etwas darüber zu erzählen, was er in Amerika vorhatte. Allerdings handelte es sich dabei nur um sehr wenige Sätze, da der TM Rubin nach jedem Satz unterbrach und ihn kritisierte. Rubins Pläne waren seiner Meinung nach auf gar keinen Fall für ein Land wie die USA geeignet, insbesondere die Absicht, das Land per Anhalter zu überqueren, hielt er für gefährlich und außerdem war er der Meinung, dass die Amerikaner das überhaupt nicht mögen, sodass er wahrscheinlich gar nicht mitgenommen würde. Außerdem sollte Rubin unbedingt seinen Schnauzbart abrasieren, weil die Amerikaner so etwas noch weniger mögen. Mit einem Wort, der TM war ein deutsches Arschloch.

      Noch nie hatte Rubin sich von Arschlöchern beeinflussen lassen, sodass er an seinen Plänen festhielt und an seinem vierten Tag in Amerika seine eigentliche Reise begann, per Anhalter. Tatsächlich nahm er zunächst einmal einen Bus, um aus New York City heraus zu kommen, denn innerhalb von Manhattan hätte der Versuch, von jemandem Richtung Washington DC mitgenommen zu werden, nun wirklich keinen Sinn gemacht.

      Bevor er nach Ohio fuhr, wollte Rubin unbedingt das Weiße Haus in Washington DC sehen, in dem, wie es heißt, der mächtigste Mann der Welt regiert; zur Zeit von Rubins erstem Aufenthalt in den USA war das Richard Nixon, der 37. Präsident der Vereinigten Staaten. Nixon hatte bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Februar 1969 die Berliner Mauer besucht, wo er mit dem damaligen Außenminister der Bundesrepublik Deutschland Willy Brandt und dem früheren Nazi und damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger zusammentraf.

      Rubin hatte in seiner Naivität geglaubt, dass nach 1945 in Deutschland eine Entnazifizierung durchgeführt worden wäre, die dafür gesorgt hätte, dass alle nationalsozialistischen Verbrecher entweder im Gefängnis saßen oder ins Ausland geflohen wären. Umso entsetzter war er, als er erfuhr, dass die Bundesrepublik Deutschland von einem ehemaligen Nazi regiert wurde, dass also das höchste Regierungsamt schon wieder in den Händen der Nationalsozialisten war. Der von den 68er-Studenten propagierte Marsch durch die Institutionen zur Veränderung der Gesellschaft war den Nazis also schon längst wieder gelungen. Rubin ist Beate Klarsfeld noch heute dafür dankbar, dass sie wenigstens ein Zeichen gegen diese erneute rechte Ausrichtung der deutschen Politik gesetzt hat, indem sie Kurt Georg Kiesinger am siebten November 1968 geohrfeigt hat. Der Kriegstreiber Nixon und der ehemalige Nazi Kiesinger passten also hervorragend zusammen.

      Noch heute verbinden sich mit der Amtszeit Nixons so bekannte Namen wie Bob Haldeman, Henry Kissinger, John Ehrlichman, Spiro Agnew und Gerald Ford. Die 68er-Studenten verbanden mit dem Namen Nixon vor allem den Vietnamkrieg und seine immer schlimmer werdenden Grausamkeiten, sie machten sich lustig über ihn mit Slogans wie „Auch Nixon tut wixen!“, wohingegen heute mit dem Namen Nixon vor allem die Watergate Affäre, Einbruch in ein Wahlbüro der Demokraten, verbunden ist, was schließlich zum Rücktritt von Nixon führte. Während seines ersten Aufenthaltes in den USA erfuhr Rubin in persönlichen Gesprächen, dass Nixon eines seiner vielen Häuser verkaufen sollte, um seine Steuerschulden zu bezahlen. Um zu verhindern, dass Nixon dieses Haus verkaufen musste, haben die Amerikaner Geld für ihn gespendet. Rubins Mitleid hielt sich in Grenzen.

      Entgegen den Warnungen des TM wurde Rubin von vielen freundlichen Amerikanern mitgenommen, sodass er die knapp 400 Kilometer nach Washington DC bereits am frühen Nachmittag geschafft hatte, sodass er sich auf die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit begeben konnte, die dieses Mal nun unbedingt preiswerter sein sollte als in New York City. Es stellte sich sehr schnell heraus, dass auch Washington DC für die Geldbörse eines Studenten wenig geeignet war. Das preiswerteste Zimmer, etwa zwanzig Prozent günstiger, befand sich in einem Haus des YMCA in der Rhode Island Avenue ganz in der Nähe vom White House. Rubins Traum, einmal vor dem White House zu stehen, hat sich also tatsächlich erfüllt, allerdings musste er feststellen, dass die Realisierung eines Traumes ganz schön ernüchternd sein konnte. Jedenfalls war es für ihn kein besonderer Augenblick in seinem Leben, als er vor dem White House stand, ein Haus eben, mit einem hohen Zaun drum herum. Rubin hatte in keiner Weise das Gefühl, sich am Mittelpunkt der Welt zu befinden.

      In der folgenden Nacht hätte Rubin gerne die zwanzig Prozent mehr bezahlt für eine Klimaanlage, denn in Washington DC, das ja schließlich viel weiter im Süden liegt, war es noch viel heißer als in New York City, sodass in Rubins Zimmer, das eben kein Air Conditioning besaß, die ganze Nacht über eine solche brütende Hitze herrschte, dass Rubin kaum geschlafen hat und er am nächsten Morgen froh war, endlich wieder auf der Straße zu sein. Auf keinen Fall wollte Rubin noch einen weiteren Tag in Washington DC verbringen, da er befürchtete, sein Geld könnte doch allzu schnell aufgebraucht sein. So hat er keine der weiteren Sehenswürdigkeiten betrachten können, nicht einmal das United States Capitol. Doch nach seiner Erfahrung mit dem White House machte ihn das nicht allzu traurig.

      Also auf nach Ohio, auf zu seiner ersten Kontaktadresse, auf zu seiner Briefreundin Ruby; Rubin hatte zwei Adressen, eine in Vermilion Ohio, wo wahrscheinlich ihre Eltern lebten, und eine von einem Krankenhaus in Lorain Ohio, wo Ruby wohl gerade eine Ausbildung zur Krankenschwester machte. Da es mitten in der Woche war, wollte er es zunächst hier versuchen.

      Diese Mal musste Rubin nicht einmal einen Bus nehmen, der ihn aus der Stadt heraus befördern sollte; bereits nach wenigen Minuten saß er in einem Auto mit einem freundlichen Amerikaner, der mit ihm noch einmal am White House vorbei fuhr; offensichtlich verband er ganz andere Gefühle mit diesem Gebäude als Rubin, was sich eindeutig an den mit einer von Stolz geschwellten Brust geäußerten Worte erkennen ließ: „Hier wohnt unser Präsident Nixon!“ Egal, Rubin war froh, endlich diese für ihn ungewohnt riesigen Städte hinter sich zu lassen.

      Bis Cleveland Ohio waren es zwischen sechshundert und siebenhundert Kilometern, je nachdem, welche Strecke man befuhr, und da Rubin natürlich von den Autofahrern abhängig war, konnte er wohl kaum wählerisch sein. Aber an diesem Tag ging es nach seinem Gefühl schon recht langsam voran, da alle