Corona & Amore. Susanne Tammena

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Название Corona & Amore
Автор произведения Susanne Tammena
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753150741



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       4. Tag

      Die Arbeit im Restaurant brachte das Privileg mit sich, morgens ausschlafen zu können, was Anna schon immer sehr entgegengekommen war. Als sie am nächsten Morgen die Augen öffnete, war Marit schon aus dem Haus gegangen, die ins Schloss fallende Tür hatte sie aus dem Schlaf gerissen. Durch den Spalt zwischen den zugezogenen Vorhängen fiel ein zarter Lichtstrahl auf die gelbe Wand neben ihrem Bett und brachte sie zum Leuchten. Der Himmel war blau wie am Vortag. Sie langte mit der rechten Hand nach der Gardine, die sich am Kopfende ihres Bettes befand, um sie ein Stückchen weiter aufzuziehen, dann zog sie sie schnell wieder unter ihre Bettdecke. Die Luft im Raum war eiskalt. Sie legte sie zurück auf ihre linke Brust, wo sie auch vorher geruht hatte und klopfte sich dabei zweimal kurz aufs Herz, fast reflexhaft, und musste lächeln.

      ‚Björn Helmers‘, dachte sie.

      Er hatte sie wiedersehen wollen. Am ersten Abend hatte er sie schon eingeladen, ins Haus zu kommen. Undenkbar natürlich, aber er schien es doch ernst zu meinen. Er war krank, aber er würde schließlich bald wieder gesund sein, dann konnte man sich treffen und richtig kennenlernen. Anna hatte sich noch nie mit einem Mann getroffen, den sie nicht vorher schon einigermaßen gut gekannt hätte. Zumindest gut genug, dass sie sicher sein konnte, dass sich ein Abend nicht zu einem Desaster entwickeln würde. Zu ihrer Verwunderung stellte Anna fest, dass sein Wunsch, sie wiedersehen zu wollen, dazu geführt hatte, dass sie seit dem vergangenen Abend beständig an ihn dachte. Das Bewusstsein, dass er an sie dachte, verschaffte ihm in Annas Gedanken einen so unermesslichen Raum, dass sie gar nicht anders konnte, als sich aufs Herz zu tippen, zweimal schnell hintereinander, immer wieder, und ansonsten im Bett zu bleiben, wo sie mit ihren Gedanken ungestört war.

      ‚Kann es sein, dass ich mich in nur fünf Minuten in ihn verliebt habe? Oder bin ich nur sein Spiegel, und fühle mich in Wirklichkeit nur geschmeichelt?‘, fragte sie sich, konnte sich aber nicht sofort eine Antwort darauf geben.

      Doch nach einer halben Stunde, die sie mit wohligen Träumereien verbracht hatte, fiel ihr plötzlich Francesco wieder ein. Bis vor einem Jahr hatte er im Restaurant gearbeitet, und irgendwann angefangen, ihr dauernd Liebesschwüre ins Ohr zu flüstern und sie zu Stelldicheins gebeten. Sie hatte immer wieder abgelehnt, zunehmend angewidert durch seine Aufdringlichkeit, bis er dann glücklicherweise gekündigt hatte und zurück nach Italien gegangen war. Allein das Wissen um das Interesse eines Mannes reichte also keineswegs aus, sie auf rosarote Wolken zu heben, stellte Anna erleichtert fest. Glücklich rollte sie sich in ihrer Bettdecke zusammen. Sie konnte das Wiedersehen mit Björn Helmers kaum erwarten, wenn es auch nur wenige Minuten dauern würde.

      *

      Marit hatte sich am Morgen den Lieferwagen ausgeliehen, weil sie nach der Arbeit Leinwände zum Malen kaufen wollte. Glücklicherweise hatte das Kaufhaus einen Lebensmittelsupermarkt und durfte öffnen, sonst hätte sie sie wohl mit horrenden Versandkosten im Internet bestellen müssen. Nachdem sie sich zu Hause zuerst einen Kaffee gemacht hatte, riss sie die Folie von der ersten Leinwand und platzierte sie auf der Staffelei, die im Wohnzimmer in der Ecke stand. Sie hatte in ihrer Mittagspause eine Skizze angefertigt, die sie großformatig in Acryl umsetzen wollte: Eine Straße, eine Häuserzeile, ein Regenfallrohr, alles grau in grau, und darin, mittig im Bild, in dem Winkel zwischen Bürgersteig, Hausmauer und Regenrohr, ein Büschel leuchtend gelbes Scharbockskraut.

      Marits Enttäuschung nach ihrem gestrigen Erlebnis war groß, doch sie mochte sich noch nicht geschlagen geben. Die Lähmung vom Vorabend war verschwunden, stattdessen befand sie sich in einem Zustand hilflosen Abwartens, fest davon überzeugt, dass noch etwas geschehen würde, aber nicht in der Lage, selber etwas herbeizuführen. Diese Zeit der ärgerlichen Ungewissheit musste mit Aktivität gefüllt werden, und zu malen war für Marit schon immer das beste Ventil gewesen.

      Sie skizzierte ihr Motiv in groben Zügen mit dem Bleistift auf die Leinwand, bevor sie die Kiste mit den Farbtuben aus ihrem Zimmer holte und einen Malerfilz unter der Staffelei ausbreitete, um den Fußboden zu schützen. Sie arbeitete hochkonzentriert und mit starken Pinselstrichen, als Anna, die mit ihrem Buch in einer Ecke des Sofas saß, sie mit einer Frage aus ihrer Versenkung riss.

      „Glaubst du, es ist möglich, sich in jemanden zu verlieben, nur weil derjenige gesagt hat, dass er einen mag?“

      Marit glaubte im ersten Moment nicht richtig gehört zu haben, so durchschaut fühlte sie sich. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, so dass sie keine Antwort geben konnte. Anna dachte, ihre Freundin habe sie nicht richtig verstanden und versuchte eine andere Formulierung.

      „Ich meine, dass man jemandem hinterherläuft, nur weil der Interesse bekundet hat?“

      Anna wollte gerne mit Marit ihr Problem klären. Sie war sich einfach nicht sicher, warum ihr der gleiche Mann, der sie am Vortag noch kaum interessiert hatte, auf einmal ein solches Herzklopfen verursachte, warum sie ständig seine wilden Locken vor Augen hatte und den Klang seiner zellstoffgedämpften Stimme im Ohr, doch Marit glaubte, ihre Freundin könne auf einmal Gedanken lesen, oder hätte von irgendjemandem von ihrer gestrigen Wanderung in die Kirchstraße erfahren. Schließlich war sie eine durchaus auffällige Erscheinung, und der grimmige Herr hinter der Gardine war vielleicht einer der Ferucci-Stammkunden.

      „Wie kommst du darauf?“, fragte sie vorsichtig, doch Anna schien gar nicht sie, sondern den Sonnenschein vor dem Fenster im Blick zu haben und erwiderte ausweichend:

      „Ach, nur so. Ich fürchte, es hat etwas Demütiges. Der will mich, also nehme ich ihn, verstehst du.“

      Anna hatte das Wort „demütig“ so inbrünstig ausgesprochen, als schwelge sie in Wirklichkeit in einer wie auch immer gearteten Demut und unterwerfe sich in Gedanken bereits dem Mann, der sie dazu aufforderte.

      Marit, die noch immer glaubte, Anna spreche von ihr, reagierte darauf heftiger als sie gewollt hatte.

      „Das ist doch Quatsch! So eine Demut, so ein Sichfügen in die Gegebenheiten würde sich doch anfühlen wie ein Begräbnis! Das kann man doch wohl deutlich von Verliebtsein unterscheiden.“

      Marit hielt einen Moment inne und spürte ihren eigenen Gefühlen nach.

      „Verliebtsein ist doch leicht. Nein, das ist nicht das richtige Wort, Verliebtsein ist nicht leicht, es ist eine starke, mächtige Unruhe, die alle Sinne durcheinander wirbelt und trotzdem Flügel verleiht. Man fliegt, obwohl innendrin alles taumelt und eigentlich abstürzen müsste, wenn es mit rechten Dingen zuginge.“

      Gedankenverloren hatte sie sich in einen der Sessel fallen lassen und setzte zu einer weiteren Erklärung an, noch immer davon überzeugt, sich vor Anna dafür rechtfertigen zu müssen, einem Mann hinterhergelaufen zu sein; ein Umstand den sie Anna gar nicht hätte erklären müssen, warum sollte man denn nicht an einem Sonntag Vormittag zufällig dort spazieren gehen, wo man schon einmal eine interessante Begegnung hatte, das war doch eigentlich selbstverständlich. Weniger verständlich wäre es für Anna sicher gewesen, dass Marit ihr nichts von ihrem Ausflug erzählt hatte. Hatte sie selbst ihr nicht seit ihren frühesten Kindheitstagen von jeder Schwärmerei berichtet? Über diese Kleinigkeit an freundschaftlicher Untreue ging Marit gedanklich hinweg. In Wirklichkeit hatte ihr eigenes emanzipiertes Ego noch immer ein wenig daran zu knabbern, dass sie in der Kirchstraße gewesen war.

      „Wenn man weiß, dass man gemocht wird, ist man doch viel freier in seiner Entscheidung, ja oder nein zu sagen.“

      Anna nickte eifrig und bestätigte:

      „Ja, da hast du recht, und ich kann ja immer noch gehen, wenn er mir dann doch nicht gefällt.“

      Erstaunt schaute Marit ihre Freundin an.

      „Sag mal, von wem redest du da eigentlich?“, fragte sie dann, froh nicht weiter auf ihren eigenen Fall eingegangen zu sein. Anna wurde rot und zögerte einen Moment bevor sie antwortete.

      „Björn Helmers, einer von den Ischgl-Typen“, gestand sie dann. Marit schaute sie ungläubig an.

      „Du hast was mit dem Corona-Typen? Spinnst du? Letzte Woche hast du mir noch erzählt, wie wichtig die Isolation ist.“