Spätvorstellung. Reinhold Zobel

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Название Spätvorstellung
Автор произведения Reinhold Zobel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752932348



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warst schon in der Schule, wie ich mich erinnern kann, ein Schürzenjäger.”

      “George Simenon wird nachgesagt, er habe in seinem Leben mit tausend Frauen geschlafen - oder waren es hundert? Egal. Ganz so weit habe ich es nicht gebracht. Und jetzt bin ja ohnehin von einem weiblichen Limes umgeben. Und das aus freien Stücken. Was hältst du davon, mein Lieber, wenn wir zur Abwechslung mal eine Zigarre rauchen? Mir ist aufgefallen, als ich vorhin auf Toilette war, dass sie hier hinter dem Tresen einen kleinen Humidor stehen haben.”

      “Nichts dagegen.”

      “Und ein guter Anlass, unsere reizende Bedienung wieder in die Umlaufbahn zu holen.”

      Gesagt. Getan. Augenblicke später steigt über dem Tisch der zwei Freunde säulenförmig ein anderer Rauch auf. Und beiden scheint das, was nun der Fall ist, zu gefallen. Lux glückt es gar, einige translunare Rauchringe zu produzieren.

      “Gibt es etwas, was du in deinem Leben gern noch erreichen möchtest, Lux?”

      “Genau genommen ist es mein Ziel, keines zu haben.”

      “Eine Art inverses Leitmotiv.”

      “Perverses…?”

      “Inverses, Lux, inverses.”

      “Ah ja…Betrachte ich es im Rückblick, verhielt es sich übrigens seit jeher so bei mir, nämlich dominant zielarm durch diese unsere Welt zu vagabundieren.”

      “Du möchtest damit zum Ausdruck bringen, du seist so gestrickt?”

      “Das wollte ich damit nicht zum Ausdruck bringen. Vielleicht trifft es aber den Kern der Sache.”

      “Das würde mich mit Stolz erfüllen.”

      “Ich will jedoch in diesem Zusammenhang nicht verhehlen, dass, dass…”

      “Ja, Lux?”

      “…die Sache auch eine Schattenseite hat.”

      “Ich höre.”

      “Nun, dazu muss man wissen, dass ich, mit geringen Abweichungen, Nacht für Nacht eigentlich immer denselben Traum träume. Er geht wie folgt: Ich habe eine Verabredung. Ich mache mich auf den Weg. Ich laufe durch die Straßen der Stadt, doch finde ich, obwohl ich mich eigentlich gut auskenne, mein Ziel nicht.. Und am Ende weiß ich nicht einmal mehr, wie ich wieder zurück nach Hause komme.”

      “Hm… wie gut, dass wir heute nicht verabredet waren.”

      “Sozusagen.”

      “Apropos Welt…”

      “…Jeder lebt in seiner eigenen.”

      “Natürlich. Das ist ja eine Binse. Nein, ich wollte in eine andere Richtung gehen: Als ich ein Bub war, weißt du, kam mir die Welt so unendlich weit, so unendlich groß vor, und sie schien nur auf abenteuerliche Herzen wie mich gewartet zu haben. Ich verschlang vor allem Reisebücher. Das liebste war mir “Mit dem Fahrrad um die Welt”. In jenen Jahren ein absoluter Solitär. Ich bin davon überzeugt, dass seinerzeit der Grundstein für mein späteres Reisefieber gelegt wurde. Überhaupt scheint ja vieles von dem, was einen als Erwachsenen ausmacht, bereits in frühen Jahren angelegt. Stimmst du mir da zu, Lux?”

      “Natürlich. Das ist ja eine Binse.”

      “Revanchist! Also weiter im Text: Ich wollte… zu dumm, jetzt habe ich den Faden verloren.”

      “Den Ariadne Faden?”

      “Ja. Übrigens, wo du gerade Ariadne sagst, mein Lieber. So hieß die Göttin der größten wie auch unglücklichsten Liebesaffäre meines Lebens. Möchtest du Einzelheiten hören?”

      “Wie könnte ich dir etwas abschlagen.”

      “Ihr Name war also Ariadne. Ihren Nachnamen habe ich sonderbarerweise vergessen. Spielt ja auch keine Rolle. Ich begegnete ihr auf einem Maskenball… meine Güte, wie passend. All die Zeit über, die wir zusammen waren, schien mir dieser Maskenball nicht enden zu wollen. Ich wusste nie, woran ich mit ihr war. Sie war eine Sphinx, eine sehr verführerische Sphinx. In ihrer Gegenwart verlor ich oft meine Selbstkontrolle, und ich kann dir versichern, das widerfährt mir äußerst selten. Wenn ich morgens neben ihr aufwachte und sie noch schlief, hatte ihr Antlitz etwas Engelhaftes. Das änderte sich über den Tag, und in der Nacht wurde sie zur Schwarzen Witwe. Sie war die erste Frau, die mich betrog. Ich war es sonst gewohnt, derjenige zu sein, der in fremden Betten lag… Warte, die Zigarre ist mir ausgegangen.”

      “Kommt mir bekannt vor, Tony, das mit dem Engelhaften etc. Entweder habe ich es gelesen oder jemand anderer hat mir Ähnliches erzählt.”

      “Ah ja… Nun, ich erhebe kein Copyright auf Einzelheiten… So, die Cohiba brennt wieder, ich fahre fort: Ich war dieser Frau verfallen, oder um es mit den Worten Stefan Zweigs zu sagen, es war eine brennende Leidenschaft.”

      “Der Roman, an den du offenbar denkst, heißt Brennendes Geheimnis.”

      “Wie? Na egal… Ich bemerkte leider erst ziemlich spät, was los war. Da war ich bereits mitten drin im Schlamassel. Und ich muss dir sagen, ich litt wie ein Tier, wie eine Schildkröte, die man auf den Rücken gelegt hat. Ja, ich fühlte mich regelrech 10 t ausgeliefert, meinen Emotionen, den Umständen, den Naturgewalten, dem Schicksal, nenne es, wie du willst… Himmel, jetzt wo die Bilder wieder aufsteigen, fange ich regelrecht zu zittern an. Mir ist, als käme alles zurück, vor allem das Liebesleid.”

      “Meine Lieblingstante sagte zum Thema Liebeskummer einmal: Man wäre ihn ums Verrecken gern los, im Unterschied zu seinem Erzeuger…mach erstmal Pause, Tony… sonst fällt dir noch die brennende Cohiba aus der Hand.”

      “So schlimm ist es nun wieder nicht. Also, um es abzukürzen, das Drama endete, wie es enden musste: mit einem Urknall. Einer von Ariadnes Liebhabern besaß ein Privatflugzeug, eine Chesna. Mit ihm flog sie eines Tages in die Schweiz, genauer nach Genf. Sie kamen aber nie dort an. Und gefunden hat man sie auch nicht, nicht die Spur einer Spur.”

      “Und die Moral von der Geschichte?”

      “Keine. Andrerseits, moralfrei betrachtet, hatten für mich zum Beispiel Frauen&Lichtphotonen seit jeher eines gemeinsam: ihr Verhalten ist nicht vorhersagbar.”

      “Bekannt geworden auch durch die Ode: frei und weiblich rollt die lichte Welle…”

      “…Dagegen verhalten wir Männer uns in der Regel eher wie eine klassische Gewehrkugel.”

      “Befragen Sie hierzu bei Bedarf Prof.. Dr. Dr. J. Wayne.”

      “Oder Ihren Arzt oder Apotheker.”

      Tony zündet, während er, tief durchatmend, in seinem Stuhl nach hinten sinkt, die Zigarre, nachdem diese ein weiteres Mal ausgegangen ist, ein weiteres Mal an.

      “Du sagtest eben, Tony, das Ganze wäre in einem Urknall geendet. Der steht ja nun bekanntlich für einen Anfang, für den Anfang aller uns bekannten Dinge, nicht wahr?”

      “So heißt es, ja. Denk es dir einfach umgekehrt.”

      “Wie umgekehrt?”

      “Nun, denk es dir als einen Film, der rückwärts läuft, alles zieht sich nach und nach auf einen Punkt zusammen, um letztlich darin zu verschwinden.”

      “So sei es also.”

      “Oder, stell dir vor, du sitzt in einem Flieger, der Flieger steigt und steigt, du schaust aus dem Fenster, siehst Menschen, Autos, Häuser, wie sie unter dir klein und kleiner werden, bis sie nur noch winzige Flecken sind, Flecken, die sich irgendwann auflösen, scheinbar spurlos.”

      “Das erste