Название | Spätvorstellung |
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Автор произведения | Reinhold Zobel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752932348 |
Kapitel 4
“Noch einmal zurück zu den Gaumenfreuden der Freiheit, Tony - Seit geraumer Zeit geht man ja davon aus, dass - anders als etwa im Lichtspieltheater oder vor der Glotze - der Betrachter eines realen Schauspiels nicht nur passiver Teil desselben, sondern ebenso dessen Spielmacher ist.”
“Was mittelbar zu der Frage führen könnte, ist das Freiheit oder Fügung?”
“Im Zweifel wohl beides.”
“Andrerseits sollte aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass, seit es die visuellen Medien gibt, die Grenzen zwischen Leben&Tod verschwimmen.”
“Magst du das erklären.”
“Nun, man sieht Personen in Talkshows, Interviews, Dokumentationen, manche leben noch, manche sind bereits tot - es macht aber oft gar keinen Unterschied, vielmehr erscheint es einem so, als wären letztere nie gestorben.”
“Und dann ist da noch die Holografie.”
“Maskiert und unmaskiert.”
“Wo bleibt bei all dem das Leibhaftige? Im nichtöffentlichen Raum?”
“Fragen wir doch mal seinen Hauptvertreter.”
“Der bekanntermaßen sehr öffentlichkeitsscheu ist…übrigens, war das im Grunde nicht immer schon der Fall?”
“Was jetzt?”
“Das Binnenverhältnis zwischen dem Faktischen und dem Nichtfaktischen. Man könnte auch sagen: der Wettstreit.”
“Die Frage geht mir jetzt doch ein wenig zu weit, mein Lieber.”
“Na schön. Briefmarke drauf und ab ins anonyme Postfach…”
“Was meinst du, Lux, wollen wir nicht das Lokal wechseln? Ich habe mittlerweile wieder eine steil ansteigende Hungerkurve”
“Du denkst an ein richtiges Speiselokal?”
“Ja. Ich werde Maria, die Zweite, rufen. Übrigens, ich zahle, du bist eingeladen.”
Die Freunde brechen kurze Zeit später auf, nicht ohne sich, nach Übergabe eines stattlichen Trinkgeldes aus der Hand Tonys, sowie mit der nachdrücklich vorgetragenen Versicherung, bald schon wiederkommen zu wollen, von ihrer dienstbaren Fee Maria untertänigst verabschiedet zu haben. Das Restaurant, das sie in der Folge ansteuern, liegt auf der anderen Straßenseite - ein Italiener. Er kenne, sagt Tony, den Laden flüchtig.
“Du sprachst in einem Nebensatz davon, du hättest zwei geschiedene Ehen hinter dir, Tony. Was waren die Gründe?”
“Ehebruch… Sag jetzt nicht, das hättest du dir denken können.”
“Tu ich nicht, nein…Ehebruch, ein seltsames Wort, wie ich finde. Was soll das aussagen? Wer oder was wird da eigentlich gebrochen?”
“Gebrochen wird, schätze ich, anders als beispielsweise im Steinbruch, der Treueschwur.”
“Und jetzt lebst du…?”
“In wilder Ehe. Unverbrieft, wie es so schön heißt. Aber wir sind verlobt… Übrigens, denkst du auch, was ich gerade denke?”
“Wir sollten den Tisch wechseln.”
“Genau… das zweite Mal an diesem historischen Datum. Und dieses Mal ist es nicht allein die Lautstärke, die nervt, oder?”
“Nein.”
“Es sind die Artgenossen dort drüben. Ein Beispiel ungebremsten Redezwangs.”
“Und schau sie dir an, unsere Nachbarn. Sind allesamt deutlich jünger als wir.”
“Sie haben die, wie sagt man - Zukunft noch vor sich.”
“Sie hätten die Möglichkeit, das Ruder herum zur reißen.”
“Hätten sie, ja, und wo?”
“Da, wo es nötig ist.”
“Glaubst du, dass sie es tun werden?”
“Das mit dem Glauben ist so eine Sache.”
“Obwohl, das, was wir glauben, uns vermutlich mehr bestimmt als das, was wir wissen.”
“Das glaubten schon die alten Griechen.”
“Bist du sicher, dass es die alten Griechen waren?”
“Es könnten auch die alten Gutäer gewesen sein.”
“Man müsste die entsprechenden Quellen einsehen können.”
“Und das entsprechende Kartenmaterial.”
“Fragen wir doch mal, was letzteres angeht, die Nachlassverwalter von Piri Reis.”
Tony hebt in einer bekräftigenden Geste, von der nicht deutlich wird, worauf sie verweisen soll, die rechte Hand, die, dem Alter trotzend, über eine sehr straffe und sehnige und leicht behaarte Beschaffenheit verfügt; an zwei Fingern derselben versprüht, inmitten des Lichthofs oberhalb der blütenweißen Stoffdecke ihres Tisches, ein smartes Brillantenduo, in Nachbarschaft eines vergleichsweise unscheinbaren Verlobungsrings, sein alarmfrei funkelndes Blaulicht. Die Freunde verschaffen sich in der Folge bei dem für ihren Platz zuständigen Kellner Gehör und lassen sich umsetzen.
“Weißt du, wen ich gerade schmerzlich vermisse? Meinen Spazierstock. Hätte ich ihn jetzt bei der Hand, wäre ich geneigt, ihn als Waffe einzusetzen, als Waffe gegen ungebeten erodierendes Seifenblasen-Geplapper.”
“Sprichst du von uns?”
“Scherzbold. Ich meine natürlich unsere geschwätzigen lauten Nachbarn.”
“Wozu benötigst du einen Spazierstock? Du wirkst doch noch recht beweglich.”
“Ich habe ihn in der Hauptsache, aber nicht nur, wegen meiner Rückenschmerzen. Manchmal kann ich nicht ohne ihn sein. Und ich schätze seine Zuverlässigkeit, seine Loyalität. Außerdem machen wir beide zusammen eine ziemlich gute Figur. Ich habe ihn vor Jahren von einer Indien-Reise mitgebracht. Es ist ein Flanierstock aus Malaccarohr, sein Knauf eine Silberklaue, welche eine Weltkugel hält.”
“Du kannst ihn mir bei Gelegenheit gern einmal vorführen.”
“Werde daran denken…Ich geh mal kurz austreten.”
“Du musst oft zum Klo, nicht wahr?”
“Alte Blase. Schwache Blase…und dann auch noch keine Seife.”
“Wie? Keine Seife?”
“Man hat, wie ich feststellen musste, nicht für genügend Seife gesorgt, in diesem Laden.”
“Ah ja.”
“Es gab übrigens mal eine Zeit, da wusch ich mir 8x am Tag die Hände…Wie oft tust du es, Lux?”
“Seit ein Engel an meiner Tür klopfte, um zu betteln und ich ihm ein Almosen gab, woraufhin er die meinen heilig sprach, nie.”
“Glückwunsch, Herzbube… also dann, bis gleich.”
Als Tony von den Toiletten zurückkehrt, schaut Lux ihm blinzelnd entgegen. Und er glaubt zu bemerken, dass der Freund sich leicht gebeugt hält. Doch vielleicht, denkt er, täusche ich mich da. Tony war immer ein hervorragender Sportler, schon in der Schule gehörte er in der Leichtathletik wie auch im Fußball zu den Besten seiner Altersgruppe. Und er hat, wie er zwischendrin im Gespräch bemerkte, viel Tennis, viel Golf gespielt. Er besitzt sogar einen Segelschein. In den