Mord im ersten Leben. Dirk Lützelberger

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Название Mord im ersten Leben
Автор произведения Dirk Lützelberger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752993837



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jetzt das Geräusch, das Klebeband beim Abziehen von einer Rolle machte. Es ging alles sehr schnell und ehe Kay genau verstand, griffen Hände von hinten durch die Gitterstäbe. Mit flinken Fingern versiegelte die Gestalt Kays Lippen.

      »Wir wollen doch nicht, dass Du die Nachbarn aufweckst, oder?«

      Kay konnte das grässliche Lächeln geradezu hören. Er atmete heftig durch seine Nase ein und aus, schüttelte sich, wollte das Klebeband loswerden, aber es klebte bereits perfekt auf seiner Haut. Panik stieg in ihm auf. So sehr er sich auch bemühte, seine Lippen brachte er keinen Millimeter mehr auseinander. Kay riss die Augen auf, als der Käfig nach hinten gekippt wurde und sein Kopf gegen die Stangen schlug. Er rollte los. Der Kerl schob ihn tatsächlich mit samt dem Käfig auf einer Sackkarre durch die Garage.

      »Die Fahrt wird nicht lange dauern. Mach es Dir bequem.«

      Samstag, 17. November 2012, 23:59

      »Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf«, zählte Gwendolyn Fisher begeistert an und zusammen mit Elisabeth Robinson und Stefan Schick beendeten sie gemeinsam den Countdown, »vier, drei, zwei, eins!«

      Dann stimmten alle anderen Gäste mit ein und sie sangen zusammen: »Happyyy Bööörthday, tooo you – Happy Bööörthday to youuuuu.«

      Paul Fisher bekam bei den schrägen Tönen eine Gänsehaut, aber er lächelte tapfer, als er seine Freunde singen hörte. Es war schön sie wiederzusehen und alle waren sie an seinem Ehrentage der Einladung gefolgt. In seinen sechsundvierzigsten Geburtstag hineinzufeiern war Gwendolyns Idee, oder Gwen, wie sie eigentlich von allen genannt wurde. Sie hatte immer so tolle Ideen und war jederzeit für eine Überraschung gut, dachte Paul und sah verliebt in ihr Gesicht. Die jugendliche Ausstrahlung seiner Frau lag sicherlich an ihren grünen Augen, die voller Begeisterung wie Smaragde leuchteten. Sie war von Anfang an Pauls Traumfrau gewesen, seit er ihrem Lächeln und ihren Blicken bei ihrer ersten Begegnung erlegen war. Gwen warf ihre langen, lockigen, roten Haare zurück, als sie ihrem Mann um den Hals fiel. Paul konnte sich kaum auf den Beinen halten, als Gwen ihm einen Geburtstagskuss auf den Mund drückte, um den ihn jeder anwesende Mann beneidete.

      Gwen lachte aus vollem Halse: »Nun bist Du schon in Deinem siebenundvierzigsten Lebensjahr, Du alter Sack, während ich erst zweiundvierzig bin!«

      Die Partygäste amüsierten sich, obwohl sie den Spruch jedes Jahr hören mussten. Es war Gwens spezielle Art die Fakten zu interpretieren und positiv für sich zu deuten. Sie war ein Naturtalent für Frohsinn und Freude.

      »Ich will auch gratulieren«, zwängte sich Phillip durch die Gruppe auf seinen Vater zu und schlang seine Arme um ihn. »Alles Gute zum Geburtstag, Papa. Bleib, wie Du bist, so liebe ich Dich.« Paul schluckte schwer bei der Umarmung seines vierzehnjährigen Sohnes, der von allen nur Phil genannt werden wollte. Er erinnerte ihn so sehr an sich selbst, als er noch klein war, und gleichermaßen sah er in ihm viel von seiner Frau. Den vorwitzigen, schelmischen Blick und die wachen blauen Augen hatte er von seinem Vater, die unverkennbaren roten Haare von seiner Mutter. Er selber hatte sich vor einigen Jahren mit sich selbst auf eine Glatze geeinigt, als seine Haare grau wurden und auszufallen begannen. Das war zumindest sehr pflegeleicht, überlegte Paul, und es wirkte in den Augen seines Sohnes auch ›cool‹. Ein bisschen wie der Held in ›Stirb langsam‹, hatte er immer wieder gesagt. Paul lächelte bei dem Gedanken daran.

      »Nun macht mal Platz für eure alte Mutter!« Eigentlich hieß sie Elisabeth, aber der Name war ihr zu altmodisch gewesen, daher nannten sie alle nur Beth oder auch mal Lisbeth, wenn es sein musste. Sie schlängelte sich, trotz ihrer zweiundsiebzig Jahre noch gewandt durch die Menge und erreichte ihren Schwiegersohn. Sie neigte sich zu seinem Ohr. »In meinem Alter verträgt man es schlecht, wenn die Kinder einem Sorgen bereiten. Daher bleibst Du am besten gesund und munter, damit wir noch viele, schöne Partys zusammen feiern können.« Dann küsste sie ihn auf die Wange.

      »Nun lasst uns endlich mal anstoßen, bevor wir verdursten!«, schlug Michael Peters vor und hob sein Glas. Dr. Peters war ein langjähriger Freund der Familie und arbeitete schon viele Jahre mit Gwen im Landeskriminalamt Kiel zusammen. Er war in der forensischen Abteilung mit der Untersuchung von Tatorten und Hinweisen betraut. Gwen war mittlerweile zu einer Kriminalhauptkommissarin befördert worden und zusammen mit ihrem Kollegen, Kriminaloberkommissar Stefan Schick, waren die beiden ein eingespieltes Team.

      Alle drei prosteten Paul zu, als dieser plötzlich kraftlos und unerwartet zu Boden sank.

      »Paul, was ist mit Dir?«, schrie Gwen und versuchte den fallenden Körper noch aufzuhalten. Aber die neunzig Kilogramm glitten unaufhaltsam zu Boden, wo Paul regungslos liegen blieb. Die umherstehenden Gäste waren wie paralysiert, als sich Michael als erster der Situation bewusst wurde und neben Paul auf die Knie sank. Sofort schüttelte er ihn an den Schultern: »Paul, kannst Du mich hören?«

      Michael legte sein Ohr an Pauls Nase und beobachtete, ob sich der Brustkorb noch bewegte. Die Gäste um ihn herum wagten selber kaum zu atmen. Nach einigen Sekunden formten seine Lippen ein langsames ›Schei…ße‹, dann richtete sich Michael auf und war in seinem Element. Er hatte solche Situationen schon viele Male erlebt.

      »Stefan, ruf sofort den Notarzt an!«, kommandierte er. »Sie sollen sich beeilen, er hat wahrscheinlich einen Herzinfarkt!«

      »Gwen, Du kommst gleich mit! Zieh Dir eine Jacke an und Beth, bitte versorge die Gäste und bleibe bei Phil, bis wir uns aus dem Krankenhaus melden. Und jetzt bitte alle Mann raus hier!« Michael, riss Pauls Hemd auf, fing unmittelbar mit der Herzdruckmassage an, um den Kreislauf seines Freundes aufrecht zu erhalten. Er musste die Zeit überbrücken, bis der Rettungswagen kam.

      ♦♦♦

      Dr. Peters kannte das Notarztteam sehr gut, welches nach wenigen Minuten ins Wohnzimmer kam. Er rief ihnen aus der Entfernung zu, ohne die Herzdruckmassage zu unterbrechen: »Den Defi, schnell!« Er wusste, dass Paul bei seinen ehemaligen Kollegen in guten Händen war und konnte in diesem Moment nichts weiter für ihn tun. Ein Defibrillator, der den Herzrhythmus durch einen gezielten Stromstoß wieder in geordnete Bahnen bringen würde, war das Einzige, was nun noch helfen konnte. Da war sich Michael sicher.

      Als die Sanitäter übernommen hatten, stand er auf und umarmte Gwen. Atemlos beobachteten sie die Bemühungen der Ärzte. Hoffnung keimte in Gwens Augen auf, als die Notärzte in Hektik ausbrachen.

      »Wir haben wieder einen Puls!«, jubelte der jüngere der beiden Ärzte. »Er muss sofort ins Krankenhaus!«

      Auf dem Weg zum Krankenwagen rief Michael Gwen zu: »Steig vorne ein, ich bleibe hinten bei Deinem Mann!« Während Gwen nach vorne hastete, rief Michael zu Stefan: »Wir fahren ins Bundeswehrkrankenhaus, das ist am nächsten.« Er ergänzte seine Anweisungen: »Halte Du uns im Streifenwagen den Weg frei!«

      Stefan rannte zu seinem Ford Focus Turnier, in dem er direkt nach Beendigung seiner Schicht zu Pauls Geburtstag gefahren war. Er schaltete das Blaulicht ein und wartete mit laufendem Motor, dass sich auch der Notarztwagen endlich in Bewegung setzte.

      Sie verließen Gwens Grundstück über die Schottereinfahrt und fuhren zunächst links in Richtung Hauptstraße. Warum musste Gwen auch so weit ab vom Schuss wohnen, grübelte Stefan, während er an die Kreuzung heranfuhr, um nach rechts abzubiegen. Er blickte in den Rückspiegel. Sie waren hinter ihm.

      Gar keine Frage, dies war eine wunderschöne Gegend, ein paar Kilometer nordöstlich von Kiel, aber am Arsch der Welt. Nichts als Felder, Wanderwege und Ruhe, hatte ihm Gwen einmal vorgeschwärmt. Jetzt hätten sie sich bestimmt ein Krankenhaus in der Nähe gewünscht und nicht knapp acht Kilometer entfernt. Sie waren alleine auf der Hauptstraße und Stefan gab Gas. Er war nicht mal fünfzig Jahre alt, hoffentlich überlebt er das, überlegte Stefan, während er im Rückspiegel den Krankenwagen sah. Er fixierte die zwei Fernlichter, die mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zu rasten. Krampfhaft hielt Stefan das Lenkrad seiner Barbarix umklammert während die Lichter immer näher kamen. Barbarix, so nannten er und Gwen liebevoll ihren blau-weißen Streifenwagen. Sie beide waren ungefähr im gleichen Alter und unterhielten sich oft, während sie zusammen auf Streife waren. Irgendwann erzählte ihm Gwen, dass sie in ihren Kindheitstagen ein