Название | Ich locke dich |
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Автор произведения | Wolf L. Sinak |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742758361 |
Steffi löste ihre übereinandergeschlagenen Beine. „Willst du andeuten, sie hätten gemeinsame Sache gemacht?“
„Wie kommst du darauf. Ich glaube lediglich, sie will aus falscher Loyalität Bunsel nicht verpfeifen, das ist alles!“
„Und nun soll ich sie ausquetschen.“
„Tue es für die Praxis und für Annas Zukunft.“
Steffi atmete tief durch. „Gut, aber wenn ich Anna im falschen Einflugwinkel erwische, wird das eine Bruchlandung. Wie bei allen Kindern in dem Alter.“ Steffi lächelte. „Ich sage das nur, um einen Kinderlosen wie dich zu belehren.“
Jens nippte an seinem Glas. Notfalls hätte er von dem Überfall erzählt. Das brauchte er nun gottlob nicht. Ihre mütterliche Schutzfunktion hätte alles zusätzlich aufgebläht.
Plötzlich erstrahlte ihr Gesicht, als gäbe es gespeicherte südtiroler Sonnenenergie ab. „Ich für meinen Teil hatte lange nicht solchen Spaß wie auf der Zirmaitalm im Gerangel mit den Kühen. Dafür möchte ich mich revanchieren. Und du hast mich erfahren lassen, was für ein anständiger Mann du bist.“
Beim letzten Satz ruhte ihr Blick auf dem Boden.
Nachdem sie die Tür hinter Jens geschlossen hatte, ging Steffi sofort ins Schlafzimmer, um nachzusehen, ob die Tube mit kadmiumgelber Ölfarbe verschlossen war. Sie lag geöffnet auf dem Tischchen neben der Staffelei und frönte ihrer Angewohnheit nachzulaufen, wenn an ihr gedrückt worden war. Steffi schraubte den Verschluss darauf und fuhr fort, die Künstlerpalette mit Ölfarben zu füllen. Ihre Eindrücke von der Zirmaitalm waren nicht länger zurückzuhalten, ein Wirrsal von Umrissen und Farben warteten darauf, an die richtigen Stellen auf der Leinwand gebracht zu werden. Steffi hatte ihren Skizzenblock im Gepäck gehabt, aber auch die Scheu, ihn in Jens’ Gegenwart zu gebrauchen.
Sie war beim Malen des Hintergrundes. Anna kam von der Arbeit und fragte, warum sie so viel Gelb auf der Palette hatte.
„Im herbstlichen Südtirol leuchten die Blätter, als hinge Goldfolie an den Ästen.“
„Wie romantisch. Und, läuft da was zwischen dir und meinem netten Chef?“
„Das Einzige, was manchmal läuft, ist deine Rotznase, du Rotznase.“
Anna zog die Nase hoch. „Mit Doktor Klemmer in der Verwandtschaft würde ich auf der Karriereleiter an Frau Eisentraut vorbeirauschen und ihr aufs Haupt spucken. Die hätte er rausschmeißen sollen und nicht Doktor Bunsel.“
„Na, na. Erzähle mir von diesem Bunsel, damit ich mir ein Bild machen kann.“
Anna stellte ihre Tasche ab und setzte sich aufs Bett. „Er hört Musik, die alle hören, fast alle. Er spricht mit den Patienten, als sei er ihr Kumpel, und seine gelben Zähnen bedeuten: Seht her, ich bin einer von euch.“
Vor Lachen spuckte Steffi ein paar Speicheltropfen aufs Bild.
„Und von der Eisentraut“, fuhr Anna mit verdrehten Augen fort, „war er genauso begeistert wie ich. Aber das ist ja kein Wunder, wenn selbst ihr Mann trinkt. Den hättest du sehen sollen, wie er im Schwarzbierhaus den Gang vermessen hat.“
Die Eisentraut interessierte Steffi im Moment so wenig wie der Wasserstand der Elbe. „Könnte es sein, dass Doktor Bunsel dich auch mag, vielleicht über das Berufliche hinaus?“
„Ich hätte mir denken können, worauf dein Interesse abzielt“, sagte Anna, verschwand in ihr Zimmer und schloss sich ein.
Nach mehr als einer Stunde pfiff sie dann im Bad ein Lied. Die Laune stimmte, der Augenblick war günstig. Ohne Pinsel und Palette abzulegen, ging Steffi hin und schubste mit dem Fuß die Tür auf. Ihre Tochter drehte ihren Oberkörper hin und her, den Blick immerfort auf den Spiegel gerichtet. Steffi schaute ein Weile zu. Wie schnell doch junge Menschen zu ihrem Selbstbewusstsein zurückfinden. Brüste sind nicht alles. Anna beachtete sie nicht, nahm die Bürste und schabte lange Furchen ins schwarze Haar.
„Ich weiß nicht genau, was sich in der Praxis abgespielt hat und wie groß der Schaden ist“, sagte Steffi, „aber wir könnten uns nützlich machen und bei der Bewältigung der Krise helfen. Das schulden wir Doktor Klemmer, der dir eine Lehrstelle verschafft hat.“
Anna zupfte ein paar Haare aus der Bürste. „Wie kommst du darauf, dass ich Doktor Bunsels Aufenthaltsort kenne. Denn das meinst du doch, nicht wahr? Jeder fragt mich heute danach. Mir ist Wurst, wo Bunsel sich aufhält, hoffentlich weit genug weg.“
„Ich wollte nur helfen.“ Steffi hob ihre öligen Hände samt Pinsel und Palette in die Luft, wie um ihre Aussage zu beschwören. Dann ging sie wieder ins Schlafzimmer zu ihrem Bild. Aber es ging nichts mehr. Sie räumte die Farben weg und reinigte die Pinsel. Als sie sich selbst im Bad reinigen wollte, posierte Anna immer noch vor dem Spiegel. Aus allen möglichen Richtungen versuchte sie, sich zu sehen. Es schien, als ständen ihre Brüste im Vordergrund des Interesses.
Den unangenehmen Teil des Tages – Frau Zarusch – hatte sich Jens für den Nachmittag reserviert. Er hielt es für angebracht, sie in der heiklen Angelegenheit aufzusuchen, anstatt mit dem Telefonhörer zu sprechen.
Sie wohnte im Stadtteil Lusan im neunten Stockwerk eines Plattenbaus. Die Nachbarin, eine weißhaarige Frau in einem abgetragenen Morgenmantel, trat aus ihrer Wohnung. Am Mund klebten Krümel. Wahrscheinlich, dachte Jens, knabberte sie während ihrer visuellen Ermittlungen am Türspion Kartoffelchips. Die Frau teilte ihm mit, dass der Notarzt Frau Zarusch ins Krankenhaus gebracht habe, weil die Lider ihres rechten Auges die Größe von Silikonimplantaten angenommen hätten.
„Wer sind Sie eigentlich?“ Sie sah ihn an, als sei es hart an der Zeit, dass er sich vorstellte.
„Ein guter Bekannter, der sich freuen würde, wenn die nette Nachbarin auch die Stationsnummer wüsste.“
Sie verriet sie ihm, noch bevor die Duftmarke der offenstehenden Wohnung ihn erreichte.
Das Krankenhaus befand sich oberhalb der Stadt am westlichen Stadtrand. Frau Zarusch lag in einem Zweibettzimmer und hatte nur ein Auge zur Verfügung, um ihn anzusehen. Das rechte trug einen Verband, der den Nasenrücken einschloss. Wie aus Wachs modelliert glänzten Haut und Haare. Neben ihr hing eine Infusionsflasche, die über einen Schlauch mit dem linken Arm verbunden war.
„Zu dumm“, murmelte er, „ich habe die Blumen vergessen.“
„Die Blumen? Heißt das, Sie besuchen mich?“ Ihre Stimme klang dünn. „Als Sie hereinkamen, dachte ich, Sie wollten mich untersuchen … Und wieso sind Sie nicht im Urlaub? Pardon, ich meine, sagten Sie nicht, dass …?“ Sie sah ihn groß mit dem einen Auge an.
„… dass ich nach Südtirol fahre. Ja, aber manchmal löst sich einer von den fiesen Schicksalsbrocken, die einen ständig umkreisen, und stürzt herab. Peng!“
Er beugte sich vor und legte einen Handrücken neben den Verband. Die Stelle war heiß. Und nicht nur sie. Hinter dem matten Glas ihres freien Auges brodelte Fieber.
„Die Ärzte dachten, es könnte sich auf mein Hirn oder so legen, und schnippelten mir am Auge herum. Heute geht es mir besser, obwohl ich aussehen muss wie ’ne aufgedunsene Wasserleiche. Jemanden, der mir einen Spiegel vorhält, verklage ich.“ Sie verzog das Gesicht. Jens glaubte, dass es ein Lächeln sein sollte. „Wissen Sie, warum in Gottes Namen Doktor Bunsel mir den schlechten Zahn wieder verschlossen hat?“
„Das hat er getan?“ Jens wurde kalt. Zuerst in der Kehle, dann in den Eingeweiden. „Ich werde das klären, das verspreche ich.“
Bunsel hatte einen Vulkan von Zahn verstopft. Und nun drohte ihr eine Siunus-Cavernosus-Thrombose, eine Weiterleitung des Eiters zur Augenvene und von dort in ein Venengeflecht des Hirns. Unter Umständen lebensbedrohlich.
„Ich bin wegen Ihrer Anzahlung gekommen“, sagte Jens.
„Oh, zu wenig, was?“
„Nein,