Ein Offizierssohn wird (k)ein Bandit!. Simkin Nett

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Название Ein Offizierssohn wird (k)ein Bandit!
Автор произведения Simkin Nett
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752912531



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man Frauen und Kinder evakuieren! Es war Zeit! Früh am Morgen war es, ein heller Morgen, und jeder eilte zu unserem Haus, weil Vater auch Stadt-Kommandant gewesen war. Der Wald begann in unmittelbarer Nähe: man musste möglichst weit weg ziehen, nach Lemberg15. Wohin sonst? Frauen, Kinder, schwangere Frauen, Offiziersfrauen, usw. Man nahm irgendwo zwei Lastwagen und belud sie mit allen diesen Menschen. Es lag Panik in der Luft: Den Kindern der Offiziere würden ihre Ohren und ihre Nasen abgeschnitten. Auch ich war in Panik: eine solche Prozedur gefiel mir überhaupt nicht! Ich stieg auch auf den Lastwagen.

      Meine Mutter musste als Führungskraft natürlich bleiben! Doch in letzter Minute zog sie mich aber noch - aus irgendeinem Grund - wieder vom Lastwagen. Die Rückseite der Ladefläche war noch nicht geschlossen, sie zog mich runter! Warum nur? Ich brüllte und weinte furchtbar! Sie aber zog mich nur herunter, sagte trocken: `Ich kann das nicht´. Vielleicht ihr sechster Sinn. Die zwei Fahrzeuge fuhren ab, fuhren über den Fluss in der Nähe der Grenze - und wurden von einem Flugzeug bombardiert. In beiden Fahrzeugen kamen alle Insassen um!

      Wir flohen in den Wald. Man sammelte die Menschen und die Waffen. Und ging in den Wald. Es gab keine Befehle, keinerlei Verbindung irgendwohin. Die militärischen Einheiten gehörten zu einer Division, befehligt aus der Stadt Schowkwa16, doch es gab keine Verbindung mehr. Also auf nach Lemberg! Wir mussten nach Lemberg flüchten! Dort war die Sowjetmacht! Hier war alles schon vorbei! Umso mehr war die ukrainische Bevölkerung hier gegen die Sowjets, bedauerte, dass es Polen nun nicht mehr gab …

      Wir bewegten uns durch die Wälder. Ständig wurden wir von den Deutschen verfolgt. Irgendwie gab es schon einen Trupp, der zurückschoss. Verwundete stießen zu uns. Man schleppte die Verwundeten mit, es gab einige Fuhrwerke. - Westukrainische Wälder sind schrecklich dicht, aber dort konnte man sich gut verstecken! Aber es gab auch Straßen, die konnten wir manchmal benutzen. Wenn es sicher war, gingen wir die Straßen entlang. Mehrere Male wurden wir von Flugzeugen bombardiert.

      Irgendetwas konnten sie also sehen, wohl eine Art von Menschenmenge. Aber es gab fähige Handwerker unter uns (vielleicht war der Trick auch bereits bekannt), jedenfalls banden sie zwei Maschinengewehre zusammen; damit schafften wir es, ein Flugzeug abzuschießen! Warum hatte dieser Bastard uns auch bombardieren müssen? Der Pilot stieg mit dem Fallschirm aus. Das Flugzeug war klein. Ich stellte mir sogar vor, dass er mit seinen Hintern irgendwie Bomben von der Bank herunter stieß: so primitiv war das Flugzeug! Der Pilot wurde geschnappt; ihm war der Fuß abgerissen worden. Entweder war das Flugzeug explodiert, oder... wer weiß schon, was passiert war?

      Jedenfalls nahmen wir ihn mit und freundeten uns mit ihm an - der Weg nach Kiew war lang. Es war ein Österreicher, ein sehr gut aussehender junger Mann mit einem so prachtvoll rötlichen Haar! Und er zeigte meiner Mutter immer seine Hände mit Schwielen, sagte: `Ich bin Schuster, Arbeiter! Niemand wollte den Krieg! Hitler ist Abschaum!´ Nun, kurz gesagt: wir hatten große Schwierigkeiten, erreichten Lembergs Bahnhof am Ende aber doch. Es gab viele Verwundete, auch Schwerverletzte! - Heute weiß ich, dass wir ungefähr 60 km zurückgelegt hatten.

      Schließlich wurden wir in einen Güterzug verladen. Am Abend hatte man uns aufgeladen. So weit schien es gut zu sein. Es gab Stroh auf dem Boden. Man beruhigte sich und schlief. Am Morgen sollte der Zug ja losfahren. Doch in der Nacht wurden wir vom Dach der Station aus von einem Maschinengewehr beschossen. Einige unserer Militärs führten von dort einen ganzen Trupp von polnischen Mädchen in Uniform hinaus. (Was mit ihnen weiter geschah, kann ich nicht sagen.)

      Ich erinnere mich an den Morgen, die Morgendämmerung, die kleinen Löcher im Waggon, und wie die Lichtstrahlen den Staub dahinter zu leuchtenden Strichen formten. Man setzte uns sofort in einen anderen Zug und teilte uns mit, dass unser neuer Zug mit roten Kreuzen auf den Dächern ein spezieller Krankenwagenzug sei: Jetzt sei alles in Ordnung, jetzt könnten wir sicher fahren! Es gebe einen Kommandant des Zuges.

      Nun, mit unsern Kreuzen waren wir als Ziele für die Bomber perfekt markiert! Aber der Maschinist war ein Pfundskerl - mal bremste er scharf, mal beschleunigte er. Alle fielen aus ihren Betten! Die unglücklichen Verwundeten hingen wegen fehlender Liegeplätze bereits an den Gürteln im Gang, das Blut tropfte von ihnen herunter. Der Zug hielt an und man hängte einzelne Wagen ab. Irgendwie gelang es dem Maschinist, den Zug weiter zu fahren…

      Wir hatten nichts gegessen, hatten Hunger! Auch die Verwundeten. Der Kommandant aber beschwor uns: `Ertragt es noch ein wenig, noch ein bisschen weiter und wir sind an der alten Grenze, Nowograd-Wolynskij17, dort gibt es schon echte Sowjetmacht, keine westukrainische Rebellen, und wegen des Mittagessens und allem haben wir schon an eine Streckenstation telegrafiert. Alles wird gut!´ Und tatsächlich: wir kamen an! Es waren immerhin noch 12 Wagen (man hatte ein paar brennende abgehängt). Mit den Verwundeten gab es keine Probleme, auch nicht mit den Deutschen. Irgendwie freundeten wir uns schnell mit ihnen an: Verwundete verstehen sich schnell! Wir hielten, also verließen wir die Wagen: `Wer hat es noch geschafft?´

      Doch dann kamen - völlig unerwartet - zwei kleine Flugzeuge angeflogen! Und sie setzten, in aller Ruhe - Runde für Runde - den ganzen Zug in Brand!

      Verwundete warfen sich aus den Wagentüren! Sie kletterten aus den Fenstern!

      Knattern! Geschrei! Rumpeln!

      Horror!

      Vor weit geöffneten Kinderaugen…

      Erst als das Durcheinander wieder abflaute, merkte ich, dass ich dringend pinkeln musste. Seit frühester Kindheit durfte nie jemand dabei in der Nähe sein! Ich lief also irgendwohin von dem Zug weg, bis - nun, ich kann mich nicht erinnern, was genau passierte. Aber offenbar war eine Bombe ganz in der Nähe explodiert! Ich erinnere mich nicht.

      Meine Mutter aber machte einen schrecklichen Lärm! Man hatte sechs noch funktionierende Wagen aneinander gekoppelt, der Zug sollte abfahren - aber ich war plötzlich weg! Man fand mich dann doch noch, wir fuhren ab. Ansonsten ...

      Es stellte sich heraus, dass ich unter Schock stand, nichts hörte, sogar etwas verschüttet worden war.

      Mama, Mama! Was konntest Du tun?

      Sollte sie den Zug fahren lassen, selbst mitfahren?

      Zum Glück war sie nicht irgendwer; sie war die Chefin.“

      Ein Spiel mit dem Feuer

      „Es ging einfach ums Überleben! Und wir waren hungrig! Und so leckte man die Wunden derer, die um einen herum waren. Wie viele Menschen gestorben waren, weiß ich nicht. Ich lag da und hörte nichts. Ich hatte eine Gehirnerschütterung, darum hörte ich nichts mehr. Den Erzählungen der Menschen zufolge, die mich ausgegraben hatten, hatte man die ganze Zeit versucht, die brennenden Wagen abzukoppeln und sie hin und her zu bringen. Ein furchtbar schwieriger Job in einem so kleinen Bahnhof!

      Doch die Leute waren sehr organisiert! Mehr noch, wenn ich das noch nicht gesagt habe, sage ich es jetzt: alle Menschen, die ich gesehen habe, die auf dem Weg von der Grenze nach Kiew herum waren haben sich heldenhaft verhalten! Das fühlte ich schon damals als Kind! Diese Frauen... Mama war die Hauptfrau dort, das war die Pflicht der Frau des Kommandeurs! Meine Mutter war sehr energisch, tapfer, wirklich eine Superfrau! Aber was konnte sie tun?

      Sie war mit anderen Frauen beschäftigt, als sie merkte, dass ich nicht da war! Als ihr das klar wurde, warf sie natürlich ihre ganze Arbeit beiseite und trommelte die Leute zusammen, um bei der Suche nach mir zu helfen. Zuerst rannten sie dahin, wo die Bomben explodiert waren. Als man mich fand, war ich fast ohnmächtig; ich wusste nicht, was passiert war, hatte keine Explosion bemerkt. Ich hörte auch nichts von dem, was mir gesagt wurde - was mir natürlich sehr peinlich war! Ich stand eben ein wenig unter Schock.

      Ich erinnere mich aber noch daran, dass wir uns Kiew näherten, dem Kiewer Bahnhofsviertel. Aber ich kann nicht verstehen, was ist. Ich sehe und begreife es nicht. Es sieht aus, als ob der Platz vor dem Bahnhof eingestürzt sei. Angeblich wurde die Station bombardiert, der Platz gesprengt - aber das kann ich eigentlich nicht gesehen haben! Diese Erscheinung hing lose in meinem Kopf, konnte sich nicht absetzen, sich nicht verankern. Dennoch glaube ich, mich an einen solchen Eindruck erinnern zu können.

      Woran