Ein Offizierssohn wird (k)ein Bandit!. Simkin Nett

Читать онлайн.
Название Ein Offizierssohn wird (k)ein Bandit!
Автор произведения Simkin Nett
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752912531



Скачать книгу

mit seinen Pratzen, alles zerquetscht. Solche Pranken hatten damals alle von dort, auch mein Vater! Von nur durchschnittlicher Größe, vielleicht sogar noch kleiner, waren sie doch körperlich äußerst stark und hatten diese mächtige `Zange´ (so nannte ich diese Hände, mit der sie die ganze Zeit Leder in einer bestimmten Lösung geknetet hatten.) Vielleicht war es das, warum sie in der Flotte genommen wurden: weil sie so stark und gesund waren (obwohl sie ja wohl keinen wirklich gesunden Beruf hatten.)

      Sie, die Leute aus der kleinen Stadt, die Kräftigen: den Erzählungen des Vaters zufolge waren sie - gewissermaßen von Natur her - Raufbolde. Es wurden Kämpfe arrangiert: man fand immer Anlässe für Schlägereien! Natürlich gewannen immer sie (das war wohl auch ein Grund für ihre Kreativität beim Finden von Anlässen für Prügeleien). Und, wie alle normalen Menschen tranken sie Wodka.

      Zur Flotte kam man normalerweise im Alter von 18-20 Jahren, zum Kozhemyako wurde man jedoch schon mit 10-12 Jahren, noch als Kind. Das Wichtigste war damals, sich irgendwo zu arrangieren, besonders bei den Jungs: wie gut, wenn ein Kind weniger zu ernähren war! Die Familien waren in der Regel groß und es war wichtig, so bald wie möglich jedes überschüssige Maul loszuwerden. Die Familie des Vaters hatte sieben Kinder (er hatte sechs Schwestern).

      Auf jeden Fall hatten die Jungs bis zur Armee genug Zeit! Zum Arbeiten! Aber auch für Rowdytum und für Unsinn! Danach waren sie dann plötzlich in der Marine, ihre "Erziehung" war einfach zu Ende! Sie durchliefen die Marine und versuchten, möglichst lebendig zurück zu kehren. Auf den alten Fotografien trugen die Jungs gestreifte Matrosenhemden. Nur mein Vater nicht: der war – wie schon gesagt – in Marineuniform, obwohl er – wie ich später erfuhr - in den Grenztruppen diente. Er nahm am Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution teil, absolvierte irgendeine Schule und kam so zu den Grenztruppen. Die Dnjepr-Flottille bewachte die Flussgrenzen, das heißt: die Grenze zu Polen, vor allem in Weißrussland im Gebiet von Prypjat und Mosyr2.

      Peter: "Dnjepr-Flottille?“

      „Ja, die Dnjepr-Militärflottille! So wurde sie sogar auf den Bändern meiner Matrosenmütze genannt. Sie sollte die Grenzen schützen. Manchmal fuhren sie bis zum Schwarzen Meer runter und nahmen dort an irgendwelchen allgemeinen Manövern oder Ähnlichem teil. Mein Vater begann früh, mich auf das Schiff mitzunehmen und mir die `maritimen Angelegenheiten´ beizubringen. Ich erinnere mich, dass ich noch recht klein war - aber schon in Marineuniform und der Mütze mit den Bändern! Die Matrosen reichten mich von Hand zu Hand weiter, und sagten: `Das ist der des Schiffskommandanten, das Söhnchen des Kommandanten´, und solche Sachen. Na ja, im Allgemeinen lernte ich dort ihr ganzes Leben kennen, und sie fütterten mich dafür mit einem leckeren Brei, der mir bei meiner Mama zu Hause natürlich nie so lecker geschmeckt hätte!

      Die Kameraden des Vaters waren meist Grenzsoldaten. Sehr oft versammelten sie sich abends in unserer Wohnung. Die bestand aus einem Zimmer von etwa zehn Quadratmetern. Daraus machte man mit Wandschirmen, wie man sie damals nutzte um etwas abzutrennen, einen Bereich, in dem ich schlief, einen für die Eltern und einen separaten, in dem ein Tisch stand. So gab es zwei `Schlafzimmer´ und ein `Wohnzimmer´. Die `Küche´ war auf dem Gemeinschaftsflur (ein langer, langer Korridor - den man wahrscheinlich immer noch so vorfindet. In letzter Zeit war ich aber nicht mehr da, es wurde ein Theaterhotel aus dem Haus). Wie dem auch sei, die Kameraden meines Vaters kamen immer dorthin.

      Da ich erst im Jahr 1931 geboren wurde, verstand ich noch nicht alles, was sie sagten, aber jedes Mal, wenn Namen genannt wurden, waren mir viele schon bekannt. Denn es war üblich, dass Kinder - kaum dass sie sprechen gelernt hatten, also mit vier oder fünf Jahren - wenn Gäste kamen, auf einen Stuhl gestellt wurden und die gesamte Führung der kommunistischen Partei auswendig aufsagten - wer wofür verantwortlich ist, wer für was Minister ist: wir wussten all das, und das wurde für eine sehr gute Leistung gehalten.

      Besonders viel hörte ich von Iona Jakir, den Papa schon seit dem Bürgerkrieg gut kannte. Er war Kommandant des Kiewer Militärbezirks. Wir standen an der Schwelle zum Jahr 1937 und ich hörte `den … hat man mitgenommen, und den …. hat man auch mitgenommen...´ Am Ende der Unterhaltung hörte ich dann auch noch, dass auch Jakir verhaftet worden war. Also war auch er jetzt `Feind des Volkes´ - Worte, die damals sehr oft zu hören waren.

      Was kommt mir noch in den Sinn? Vater besaß ein Buch `Kurzer Geschichtskurs der bolschewistischen Partei´. Um keine Zeit zu verschwenden, nannte man das Buch allenthalben nur: `Kurzkurs´. Dort fanden sich Porträts der Menschen, an die sie glaubten - und über die sie jedes Mal staunten. Ich verstand nicht alles, weil sie mit leisen Stimmen sprachen, aber an ihre Überraschung erinnere ich mich gut: `Jakir kann kein Feind des Volkes sein!´ So etwas konnte nur ganz leise ausgesprochen werden! Diese ganze Geschichte, die in den Jahren `34/`35 angefangen hatte, eher verhalten noch als `Mord an Kirow´3 und so weiter - ich las ein Buch über Kirow (ein Kinderbuch: `Der Junge aus Urschum)´ - mir wurde schon damals einiges klar …“

      Peter: „Gab es Freunde oder Bekannte, die `verschwanden´?“

      „Ja, Freunde! Stepan beispielsweise war ein Freund des Vaters, vor dem Krieg Kapitän oder Major: er besuchte uns sehr oft, wurde ein enger Freund - plötzlich war er verschwunden! Er war irgendwohin nach Sibirien geflohen. Nach dem Krieg traf man sich wieder: er hatte überlebt! Noch ein Freund der Familie war verschwunden, genauer gesagt: eine Freundin meiner Mutter und ihr Ehemann, Rosa Petrovna und Lyonya Kiyashko. Auch sie waren nach Sibirien geflohen, wo sie sich irgendwo versteckt hatten. Einige Leute wechselten ihre Pässe; sie taten alles, was sie tun konnten, um weg zu kommen. Weil sie früh erkannt hatten, dass sie gerade solche Leute mitnahmen, an denen es keinerlei Zweifel gab!

      Wie dreist sich die Offiziere der Spezialabteilungen benahmen! Und das in der Vorkriegszeit! Während des Krieges hasste die Armee diese Menschen, konnte aber nichts tun, weil jeder Kapitän des NKWD4 einem Oberst der Kampfeinheiten einfach so eine reinhauen konnte: denen war einfach alles erlaubt!

      Auf Jahrzehnte hinaus werden wir kaum je wieder diese Art von Armee haben, die es davor gegeben hatte. Ein Militär, das war damals eine sehr respektierte Person mit einer relativ hohen Bezahlung! Und das Militär war verantwortlich für alles, was im Land passierte!

      Papa hatte einen Gürtel für den Degen. Die Uniform hatte zudem einen Riemen, an dem ein Beutel für die Pfeife hing. Papa trug immer seine Pfeife mit sich! Wenn etwas Außergewöhnliches passierte - eine Rauferei oder Störung auf der Straße - riefen die Leute lieber einen Offizier als einen Polizisten, weil diese angesehene Leute Dinge einfach durch ihre Autorität in Ordnung bringen konnten. Ich wurde einmal Zeuge davon, als ich mit meinem Vater in der Straßenbahn fuhr: Ich erinnere mich sehr gut, dass irgendein halb betrunkener Rowdy, ein junger Mann, alle belästigte. Papa befahl mir mich zu setzen, ging zu dem Mann, der irgendwo vorne in der Nähe der Straßenbahnfahrerin herumlungerte, und ergriff seine Hand. Der fing an zu schreien: `Onkel, lass los, Du tust mir weh!´ An der nächsten Straßenbahnhaltestelle setze Vater ihn raus.

      Viele Male habe ich das gehört: `Genosse Militär, guck Dir das mal an! Es gibt hier folgendes Problem…´ Natürlich war ich in diese Armee verliebt, und jedes Mal, wenn ich mit meiner Mama die Straßen entlang ging, hielt ich die Militärs auf, die uns entgegen kamen: ich fragte sie, ob sie nicht meinen Papa gesehen hätten; das gefiel auch den Militärs gut! Die Armee war in bester Ordnung! Ich habe nichts Schlechtes über diese Armee gehört!“

      Peter: „Hielt sie sich für sehr stark?“

      „Sie glaubten, dass sie stark sind; auch wir waren davon überzeugt worden. `Wir geben keinen Fußbreit unseres Landes auf; andere Länder brauchen wir nicht´. Das waren so die Lieder. Über die Armee wurden großartige Lieder gesungen! Als Woroschilow5 nach Kiew kam, war der Jubel unbeschreiblich. Wir wohnten ja in einem Haus an der Ecke der beiden Straßen, sodass niemand ungesehen an unserem Haus vorbeifahren konnte. Wir schauten entweder vom Fenster aus, oder wir gingen hinaus und sahen unsere Lieblings-Führer Woroschilow oder Budjonny6 im offenen Auto: die Leute jubelten! Die Menschen, das fiel mir auf, sie waren sehr aktiv! Es gab nicht das, was schrecklicher als jeder Feind ist: Gleichgültigkeit gegenüber allem, was geschieht: es waren sehr aktive Leute! Die Jugendlichen, Mutter, alle waren Komsomol7 - Mitglieder.

      Ich erinnere mich