www.buch-den-mord.de. Charlie Meyer

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Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738034189



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beobachtete, aber nicht hören konnte, was wir besprachen. Ich fragte mich, wo Lilith abgeblieben war.

      »Wir haben bereits mit dem Reeder des Schiffes gesprochen und wissen über das Personal Bescheid. Also kommen wir gleich zur Sache. Sie sind gestern diese … Abendfahrt gefahren?«

      »Die Charter.« Ich nickte.

      »Die Familie derer von Thoren?«

      Derer von Thoren? Wow. Ich starrte ihn verblüfft an. Courths-Mahler oder humanistisch gebildet?

      »Ich erinnere mich, dass sich mir einer der Gäste mit von Thoren vorstellte«, antwortete ich bedächtig. »Ein großer Schlanker, vielleicht Mitte oder Ende dreißig. Dünne flachsblonde Haare, ein Schnurrbärtchen. Ob wir allerdings eine ganze Adelsdynastie an Bord hatten, weiß ich nicht. Worum geht es?«

      Kilian erzählte mir in etwa dasselbe, was ich von Santos schon wusste. Ich atmete tief durch und schilderte ihm den Abend, so wie er sich mir aus meiner Sicht als Schiffsführer dargeboten hatte. Dass mich das Opfer beim Verlassen des Schiffes wüst beschimpft hatte, ließ ich allerdings aus. Ich schätze die Gastfreundschaft der Bullen nicht wirklich.

      Wie sich herausstellte, war der große Schlanke mit den flachsblonden Haaren, der mich angeflirtet hatte, tatsächlich die Leiche. Cord von Thoren, Ende dreißig, schwul. Er war aus dem Emsland zum jährlichen Familientreffen angereist. Nach der Feier abends an Bord hatte er im Hotel Weserschlösschen übernachtet. Noch vor dem Frühstück am nächsten Morgen ging er offenbar zum Rauchen oder Auslüften oder was auch immer vor die Tür und verschwand.

      Stunden später fand ihn ein Wanderer auf einem Feldrain neben dem Weser-Radweg. Von einer Armbrust regelrecht zerfetzt.

      Armer Kerl.

      »Scheußlich.«

      »Ja.« Er druckste eine Weile herum. »Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden.«

      Er warf erst einen prüfenden Blick auf den Uniformierten, der neben dem Zahlmeisterhäuschen außer Hörweite stand, dann auf Kalle hinter der Theke und schien beruhigt.

      »Vor ein paar Monaten erschien ein Artikel in der FAZ über einen Profiler aus Hollerbeck. Ein spektakulärer Fall, wenn mich recht erinnere. Der Profiler hieß Dylan Crispin.«

      »Der Schiffsführer hieß Dylan Crispin«, unterbrach ich ihn scharf. »Einen Profiler dieses Namens gab und gibt es nicht.«

      Er sah mich ehrlich verwirrt an. »Ein Freund erzählte mir …« Er stoppte und ich dachte an Santos. »Wie kommt es denn, dass Sie in dem Fall ermittelt haben? Ich meine, wenn Sie kein Profiler sind.«

      Ich winkte ab. »Lange Geschichte. Und jetzt muss ich wirklich zurück in den Maschinenraum. Diese verdammte Ölpumpe leckt, und wenn ich nicht schleunigst die Dichtungen erneuere, bewegt sich auf diesem Kahn bald gar nichts mehr.«

      Ich stand auf. Kilian erhob sich ebenfalls. »Schade, aber Ihre Entscheidung.«

      Er wandte sich um und stapfte vom Schiff. Sein uniformierter Begleiter warf mir einen missbilligenden Blick zu und folgte ihm.

      Vorm Schiff drehte sich Kilian noch mal um und sah zu mir herüber.

      »Intern läuft das hier als Schwulenmord. Die Nienburger Kollegen haben den Chauffeur verhaftet, der für das Opfer höchstwahrscheinlich mehr als nur der Lenker seines Wagens gewesen ist. Niklas Krawinkel. In seinem Hotelzimmer fanden wir einen antiken Dolch und noch ein paar nette Spielzeuge, die Nur-Chauffeure normalerweise nicht benötigen. Die Nienburger Kollegen hoffen also gewissermaßen auf einen Mord im Familienkreis. Ein Eifersuchtsdrama oder was auch immer. Einen erwischt es, den Zweiten nimmt die Polizei hops.«

      Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, bevor er endlich zur Sache kam.

      »Laut Pathologe stand das Opfer aufrecht, als das Scheibenschießen begann, und war gefesselt. Vor einem halben Jahr hatten wir einen vergleichbaren Mordfall, der bis heute nicht aufgeklärt wurde. In Lüneburg wurde ein Obdachloser aus einem Park irgendwohin verschleppt, wo ihn der Mörder an einen Pfahl oder Pfeiler anband. Dann warf er mit einem Messer auf ihn. Um die fünfzig Mal. Als der arme Kerl dann immer noch lebte, stach er mit dem Messer wahllos auf ihn ein. Der Mann hat geschätzt mehr als eine Stunde gebraucht, um zu sterben.«

      »Sie meinen, die Morde gehen auf das gleiche Konto?«

      »Sieht mir ganz danach aus. Aber ich kann Sie verstehen. Weshalb sollten Sie die toten Angehörigen irgendwelcher Unbekannten interessieren? Fahren Sie Ihr Schiff, wir kümmern uns um die Hinterbliebenen, die nach Antworten suchen.«

      Eine Minute später holperte der Streifenwagen den Weg hoch, bog vor der Brücke auf die Straße ab und reihte sich in den fließenden Verkehr ein.

      Ich sah ihm nach und musste grinsen, obgleich mir nach allem Möglichen, nur nicht nach Grinsen zumute war. Dieser Kerl war gut, sogar genial in der Kunst, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Die Toten irgendwelcher Unbekannten? Die Hinterbliebenen, die nach Antworten suchen?

      Schade nur, dass mich dieses Schiff über alle Maßen beanspruchte.

      In diesem Moment klingelte mein Smartphone.

      »Crispin.«

      »Sie ignorieren die Toten irgendwelcher Unbekannten?«

      Einen Moment lang rang ich verblüfft mit der Möglichkeit, dass Santos mich abhörte. Oder aber meine Gedanken las, wobei ich mich nicht entscheiden konnte, was mir mehr zuwider wäre.

      Dann begriff ich. »Wie lange telefoniert ihr schon miteinander, Sie und dieser Kripo-Hein?«

      Ich sah förmlich sein Grinsen. »Meine Rolex sagt, seit unserer Sandkastenzeit. Wir haben zusammen Kuchen gebacken, haben uns um dieselben Mädels geprügelt und sind am selben Tag zu den Freunden und Helfern übergewechselt.«

      »Dieselbe Gehaltsstufe? Ihr Alter Ego hier trägt nichts von der Stange.«

      »Habe ich Rolex gesagt?« Santos am anderen Ende des Funkmastes klang ehrlich erstaunt. »Aber mal ernsthaft. Ich habe Sie bei den Nienburger Kollegen als den großen Profiler angepriesen, der mir den Arsch gerettet hat, als es schon nichts mehr zu retten gab.«

      Ich verzog das Gesicht. Mit Lob, in welcher Form auch immer, hatte ich nie besonders gut umgehen können.

      »ICH BIN KEIN PROFILER«, beschwerte ich mich in Großbuchstaben.

      »UND ICH BIN KEIN BULLE«, konterte Santos in ähnlicher Lautstärke. »Aber da draußen gibt es verzweifelte Angehörige, die uns einfach nicht glauben wollen. Kaum schalten sie die Glotze ein, kriechen ihnen so viel überbeflissene charismatische Kommissare und Profiler in den Arsch, dass sie gleich hinter dem Loch eine Ampel bräuchten.« Er schnaufte. »Und wenn unsereins nur die Nase rümpft, weil nebenan eine verrottende Leiche stinkt, klingelt gleich das Telefon beim Polizeipräsidenten. Ihr Name stand in der Zeitung. Dylan Crispin, der Retter in der Not. Eine Weigerung von Ihnen wäre, als wenn Superman sich die Stumpfhose auszieht. Undenkbar. Es gibt bestimmt schon Heftchenromane von uns beiden. Die unschlagbaren Zwei auf Killerjagd. Preis neunundneunzig Cent.«

      Ich grinste. Die Vorstellung von mir und Santos als dynamisches Duo gefiel mir. Mein Ego spazierte mit stolz geschwellter Brust und Händen in den Hosentaschen durch meinen Kopf und prahlte wie Bolle. Dylan Crispin, der Jerry Cotton von Hollerbeck. Als mir klar wurde, dass mich Santos gerade auf dem Eis herumführte wie eine Kuh mit verbundenen Augen, fiel mein Ego wie ein nasser Sack in sich zusammen.

      »Ich denke drüber nach«, fauchte ich erbost und drückte das Gespräch ein zweites Mal weg.

      Zehn Sekunden später bekam ich eine SMS: nur nicht zulange. Serienmörder!

      8

      »Sehen Sie sich die Leiche doch wenigstens mal an«, forderte Polizeihauptkommissar Kaminski entnervt.« Sie können doch kein Profil erstellen, ohne die Leiche gesehen zu haben.«

      »Warum nicht?«, konterte ich nicht weniger