www.buch-den-mord.de. Charlie Meyer

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Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738034189



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und das Fahrtenbuch der Weserlust an den Tisch und nahm mir als Erstes Liliths Dienstbuch vor. Lilith hieß mit bürgerlichem Namen Regina Schuster, und das Passfoto zeigte sie ohne Schminke, dafür ein paar Jahre jünger. Ein hübsches Mädchen, das unsicher in die Kamera blickte. Mit dreiundzwanzig war sie allerdings älter, als ich geschätzt hatte. Was war zwischen damals und heute passiert, dass sie ihr Aussehen und höchstwahrscheinlich auch ihr Verhalten so radikal geändert hatte? Eine unglückliche Liebe, die für sie zum Trauma wurde? Der Tod eines nahen Angehörigen? Eine schwere Krankheit? Oder war sie einfach eines Morgens aufgewacht und hatte sich als Gothic geschminkt?

      Ich sah mir die Eintragungen an und pfiff leise. Du meine Güte, sesshaft war sie nicht gerade gewesen in den letzten zwei Jahren ihrer Laufbahn als Matrose-Motorenwart. Ich zählte zwölf verschiedene Schiffe, alles mit einer Ausnahme Güter- oder Tankmotorschiffe. Auf keinem länger als drei Monate und auf der Ausnahme, einer Hamburger Barkasse, keine zwei Wochen. Alles Ablöserjobs oder gab es andere Gründe für ihre raschen Wechsel? Ihr Aussehen? Die Aggressivität? Ich konnte nur rätseln, was ich allerdings rasch wieder aufgab, da mir ohnehin vor Müdigkeit die Augen zuzufallen drohten.

      Also trug ich einfach die Angaben zum Schiff und die Fahrt ein und griff mir Kalles Schifferdienstbuch. Karl-Heinz Ruppert, 45 Jahre alt - jünger, als ich vermutet hatte. Ein Schiffsführer, der für das Gehalt eines Decksmanns arbeitete, was eine Differenz von tausend Euro brutto ausmachen kann. Warum verkaufte er sich dermaßen unter Wert? Nach eigenen Angaben hatte er das Große Rheinpatent und ein Hochseepatent. Seine Größe war ihm in den kleinen Kabinen mit den kurzen schmalen Betten mit Sicherheit hinderlich, aber das doch schon, seit er als Decksmann gefahren war. Auf einem festen Schiff wäre dieses Problem mit Sicherheit lösbar gewesen, vor allem bei den wesentlich großzügigeren Wohnbedingungen neuerer Frachtschiffe.

      Auch bei den Eintragungen zu Kalles Fahrten stieß ich alle naselang auf einen Wechsel der Schiffe, wobei er die letzten Jahre, im Gegensatz zu Lilith, tatsächlich auf Tagesausflugsschiffen gearbeitet hatte. Einige kannte ich aus meinen eigenen Springerjobs, andere aus den Binnenschifferforen.

      Wie Lilith schien auch Kalle etwas in seinem Leben aus der Bahn geworfen zu haben, aber ich grübelte nicht weiter darüber nach. In seinem Alter konnte es genauso gut eine gescheiterte Ehe wie sonst etwas gewesen sein. Die Welt war voll mit gescheiterten Existenzen, und wenn sich irgend ein Jemand meinen Lebenslauf ansähe, käme er womöglich zu demselben Schluss. Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet werdest.

      Ich trug die Fahrt ein, klappte das Buch energisch zu und ging zu Bett. Aus der Nachbarkabine hörte ich durch die dünne Wand, wie sich Lilith unruhig in ihrer Koje hin- und herwälzte und im Schlaf wimmerte. Kurz vor dem Einschlafen schoss mir durch den Kopf, dass auf diesem Schiff womöglich nichts so war, wie es schien und keiner so, wie er sich darstellte.

      6

      Als Cord von Thoren das Bewusstsein wiedererlangte, hing er gefesselt an einem der Pfeiler einer sehr großen Scheune. Durch die Löcher im Dach und die Zwischenräume der Bretterwände drangen Sonnenstrahlen wie Lichtspeere ins Innere. Staub tanzte im Licht. Im hinteren Teil der Scheune stapelten sich Dutzende Strohballen, der Boden war mit einer Mischung aus Getreidekörnern, Spelzen und Strohhalmen bedeckt.

      Dass das nicht überall so war, sollte er erst Minuten später registrieren. Vorerst lenkten ihn sein schmerzender Kopf und der trockene Gaumen ab, und die Erinnerung kam nur mühsam zurück. Sein Spaziergang durch die morgendlich leeren Gassen der Altstadt, um den Wodka-Kater dieser katastrophalen Charterfahrt am Abend aus dem Kopf zu bekommen, der schwarze BMW, der ihn überholte. Dieser Fahrer, der plötzlich heraussprang, ihn mit einer Pistole bedrohte und in den Fond des Wagens drängte. Das Klicken der Zentralverriegelung, die Trennscheibe, die hochfuhr, ein Zischen aus der Klimaanlage und dann nichts mehr ...

      Man hatte ihn betäubt und gekidnappt.

      Jemand wollte Lösegeld kassieren. Von Thoren verzog grimmig das Gesicht. Er war viele Millionen wert, und irgend so ein Dreckskerl versuchte abzusahnen. Jemand, den er kannte? Sofort fiel ihm Niklas ein. Diesen verdammten Schweinehund hätte er schon längst abservieren müssen. Er zahlte ihm ein Vermögen für seine Dienste, und alles, was er bekam, waren vorgetäuschte Orgasmen.

      Thoren versuchte um Hilfe zu rufen, doch sein Mund war mit einer Art Paketband zugeklebt. Er zwang sich, ruhig durch die Nase zu atmen und die Übelkeit zu ignorieren. Wenn er sich erbrechen musste, würde er höchstwahrscheinlich ersticken.

      Seine Hände waren hinter dem Pfeiler zusammengebunden. Oder besser gesagt durch einen straffen Strick miteinander verbunden, da der Pfeiler zu stark war, als dass seine Arme herumgereicht hätten. Seine Hände waren sogar so weit auseinander, dass er mit den Fingern der linken nicht die Fesselung der rechten Hand erreichen konnte.

      Seine Arme kribbelten und fühlten sich taub an. Durch die straffe Fessel wurden sie hart gegen die Ecken des Pfeilers gepresst. Einen Moment lang geriet er beinahe in Panik, als er sich vorstellte, wie ihn am Morgen einer dieser Bauerntrottel fand und befreite, man ihm aber beide Arme amputieren musste, weil sie über Nacht abgestorben waren.

      Wo waren diese Idioten? Warum zeigte sich niemand?

      Alles, was er sah, war in vier oder fünf Meter Entfernung ein Stehtisch, der mit einer blutroten Husse bezogen war. Auf der Tischplatte lehnte eine Champagnerflasche in einem Sektkühler, daneben stand ein Schälchen mit Knabberzeug. Eine langstielige weiße Rose in einer schmalen Leonardovase komplementierte das Arrangement. Aus irgendwelchen versteckten Lautsprechern dröhnte Musik, die ihm bekannt vorkam. Wie hieß das Stück noch gleich?

      Er runzelte irritiert die Stirn.

      Wie lange war er schon hier? Wie lange bewusstlos gewesen? Ein paar Minuten? Fünf Stunden. Während er halb panisch noch die Zeit in den Griff zu bekommen suchte, hörte er trotz der aufdringlichen Musik das Knarren einer Tür und horchte alarmiert auf. Jemand trat ein und hüstelte. Langsame, ein wenig schlurfende Schritte kamen näher, worüber er trotz aller Angst beinahe erleichtert war.

      Er war realistisch genug, um zu erkennen, dass sich eine ausweglose Situation wie diese nur durch Verhandlungen entschärfen ließ.

      Eine Million, vielleicht sogar zwei, je nach Hartnäckigkeit des Entführers, und der musste ihn notgedrungen losbinden, um an das Geld zu kommen. Von Thoren hatte keine Kinder, und niemand außer ihm kam an sein Vermögen heran. Niklas dieser Schuft wusste das natürlich. Was hatte er vor? Wenn er das war hinter ihm und dann auch noch so dreist, sich ihm zu zeigen, wie wollte er ihn dann erpressen? Sobald er ihm die Fesseln abnahm, stand er mit beiden Beinen im Knast.

      Thoren brach der Schweiß aus allen Poren, als ihm völlig unerwartet die einzig andere Alternative zur Freilassung bewusst wurde. Selbst wenn Niklas sich verkleidete, würde er ihn natürlich erkennen, und dann musste er, Cord, schon verdammt gut schauspielern, um sich nicht zu verraten. Ansonsten ...

      Es sei denn natürlich, Niklas schob einen Mittelsmann vor oder erpresste seine Freigabe über einen anderen Zweig der Familie. Großtante Eulalia vielleicht. Oder Onkel Wilbrand?

      Thoren schluckte vorsichtig die Spucke hinunter, darauf bedacht, sich nicht zu verschlucken. Er wandte den Kopf zur Seite, soweit es der dicke Holzpfeiler in seinem Rücken zuließ, hörte aber nichts mehr. Hatte er sich das Öffnen der Tür und die Schritte nur eingebildet, oder versuchte ihn irgendein perverser Jemand mit Psychoterror zu zermürben?

      An dieser Stelle fielen ihm zwei Dinge auf. Der Pfeiler, an dem er hing, schien zwar aus Holz zu sein, wie die anderen Pfeiler der Scheune auch, aber seiner war mit etwas umwickelt, das sich kühl und glatt anfühlte. Plastik? Frischhaltefolie?

      Er blickte seitlich nach unten und versuchte, einen Blick darauf zu erhaschen. Dabei fiel ihm Seltsamkeit Nummer zwei auf. Er hing nicht nur an einem Pfeiler, der mit Plastik umwickelt war, er stand auch auf Plastik. Unter seinen Füßen war etwas wie eine Zeltplane ausgerollt worden. Kein Stroh, kein Holz, keine Erde, sondern Plastik. Eine grüne Plane.

      Stirnrunzelnd besah er sich noch einmal den Rest der Scheune. Die Pfeiler aus Holz, der nackte Boden mit Strohschnipseln