Stromboli. Wolf Buchinger

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Название Stromboli
Автор произведения Wolf Buchinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742737489



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hilft, doch nur im ersten Moment, dadurch werden Geschmack und Zappelbewegungen intensiver, ich schlucke sie so schnell wie möglich runter, kippe sofort einige Schnäpse nach, die betäuben die Magennerven, dennoch spüre ich das Weiterzappeln der Muskelreste. Mia und Pia essen problemlos weiter und haben schon mehrere Rippen freigeputzt.

      „Gut?“

      „Saugut!“ lüge ich.

      „Was kannste noch machen, ohne dass es dir drimmlig wird?“

      „Eigentlich alles.“

      Jetzt spiele ich den harten Macker, doch am liebsten würde ich kotzen.

      „Okay, dann nimmst du den Darm heraus und machst ihn sauber, aber bitte sehr sauber, wir wollen heute Abend in der Wurscht kein Heu oder eine Kleeblüte“

      In meinem Betrieb habe ich immer die Maschinen geölt, nachdem ich sie mühsam geputzt hatte, ich war verschmiert bis über die Ellenbogen. Hier geht es um noch fast lebendige Materie. Irgendeine quallige Masse rutscht immer wieder unkontrollierbar ein paar Zentimeter den Darm hinab, ich kann genau sehen, was das Schaf geschluckt hat, trotz wiederkäuen bleiben … nein … ich kann nicht mehr hinschauen, ich drehe mich seitlich weg und arbeite nach Gefühl: Den oberen Teil fest andrücken, die Masse darin nach unten ziehen und flutsch ist der stinkige Rest im Kübel, der dann wahrscheinlich den Schweinen vorgesetzt wird. Ich fühle mich nun zu Recht als das Arschloch, das umständlich arbeitet.

      Na also, das ging relativ schnell, ich habe es geschafft. Wie schnell sich ein Mensch an Scheiße gewöhnen kann.

      „Gut gemacht! Der nächste Job ist einfacher: Nimm dieses etwas stumpfe Messer und schabe die Muskelreste und das Fett von der Innenhaut. Dazu brauchste Kraft, wenn du müde wirst, weißt du, wo die Grappaflasche steht.“

      Ich brauche sie jetzt sofort wieder, denn vom widerlichen Geruch hat Mia nichts gesagt. Ranziges Schafsfett, frisches Blut und die Verdauungsausdünstungen aus den verschiedenen Töpfen und Eimern legen den Gestank des Todes über den Hof. Pia macht sich jetzt am Schafskopf zu schaffen: Zunge abschneiden, Augen ausstechen, Gehirnmasse herauskratzen. Ich sehe die Grappaflasche nur noch verschwommen, doch auch sie braucht Überwindung, denn auch die Mädchen haben mehrfach einen Schluck genommen und die blutigen Abdrücke ihrer Hände verzieren sie makaber. Grappa mit fünfzig Alkoholprozenten legt sehr schnell die Gefühlsnerven des Magens lahm, ich sehe die Dinge sofort wieder klarer. Die erste Hälfte des Schabens geht rasch über die Bühne, dann wird es mühsamer und mühsamer, ich lehne mich gegen die quallige Masse, um bequemer dran zu kommen, nun ist auch mein Hemd mit triefendem Fett ruiniert, mein Körpergeruch ist von dem eines Schafes nicht mehr zu unterscheiden. Der Alkohol ist wohl schnell ins Blut gegangen, denn irgendwie fühle ich mich jetzt lockerer und leichter; wahrscheinlich bin ich dem Lebensgefühl eines Süditalieners so nah wie nie, der Schalk bricht in mir aus, ich versuche, das Blöken eines Schafes zu imitieren:

      „Mööh, möööööh!“

      Batschnass für die Worscht

      Mia und Pia wundern sich nicht darüber, ganz im Gegenteil, sie lachen vergnügt und beginnen ein Kinderlied zu singen, das zweistimmig und sehr hoch intoniert, im Refrain das Leben eines Schafes imitiert. Sie trampeln geschickt den Rhythmus mit und bewegen ihre Köpfe, als würden sie die Luft nach frischem Gras beschnuppern. Ein Schaudern läuft über meinen Rücken, ich bin hoch emotionalisiert. Gefühle, die ich bisher nie erlebt habe, schießen in mir hoch. Ich bewege mich ganz natürlich zu ihren Tänzeleien und vergesse darüber, in welch scheußlicher Umgebung ich mich befinde. ‚Hochgefühl‘ nennt man so etwas wahrscheinlich. Ich überlege, wann ich so etwas wenigstens nur annähernd erlebt habe. Ganz schwach, als ich Gaby zum ersten Mal sah, ähnlich beim ‚Ja‘ in der Kirche, etwas mehr, als ich zum ersten Mal mit ihr schlafen durfte, nochmals etwas mehr, als wir die neue Produktionshalle einweihten, aber all diese Gefühle sind in ihrer Intensität weit entfernt von dem, was hier in mir vorgeht. Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich taxieren: Alles bisher Erlebte lag bei maximal drei, jetzt gebe ich eine klare Zehn. Vergleichbare positive Regungen liegen schon sehr lange zurück. Danach blieben sie doch eher unter null, die Scheidung wahrscheinlich bei minus zehn, genauer erinnere ich mich an den Moment, als sie mir eiskalt und fast nebenbei sagte, dass sie einen anderen habe und unsere Beziehung, die von Anfang an angeblich schon gescheitert war, nun endgültig vorbei sei. Ich lebte wohl über all diese Jahre im Minus-Emotionen-Bereich, umso intensiver erlebe ich jetzt das Gegenteil. Und die, die hier leben, haben mit geringem Aufwand und ohne alle Modernität fast ständig das wohlige Gefühl von hohen Emotionen. Das ist der wahre Luxus. Wir im Norden jagen ihm nach und zeigen ihn scheinbar mit Äußerlichkeiten oder Produktionszahlen oder schönen Frauen, die so tun, als wären sie emotional. Hier ist es jeder und holt sich seinen Anteil bei den einfachsten Dingen und Vorgängen. Das ist vielleicht auch die Ungerechtigkeit des Geburtsortes, den man sich leider nicht aussuchen kann.

      „Du bischt jo batschnass, willschte ufhöre?“

      Mia ist rührend, wahrscheinlich hat sie das Gefühl, mich zu überfordern und wechselt in meine Heimatsprache, vielleicht tut sie es unbewusst.

      „Nein danke, ich habe nur zu viel Grappa getrunken, bei dieser Hitze wird es einem noch heißer, aber sonst geht’s mir gut.“

      „Okay, dann mache mer jetzt Worscht.“

      Sie zeigte auf einen urtümlichen und viel gebrauchten Fleischwolf:

      „Immer langsam drehe, aber erscht, wenn mer‘s saache!“

      Bei dieser Arbeit konnte ich wegschauen, sah aber doch, dass sie Augen, Ohren, Penis und sonstige Teile des Schafes oben hineinsteckten, ich verwurschtelte es mit stoischem Drehen zu einem neutralen Einheitsbrei, dem sie Gewürze und frisch geerntete Kräuter zugaben und schlussendlich roch es appetitlich. Wenn ich nicht gesehen hätte, was drin ist, hätte ich es auch roh probiert. Sie taten dies reichlich und beschlossen, noch mehr Rosmarin hineinzugeben. Pia ging in den nahen Garten, zupfte sich ihre Kleider zurecht und wackelte dabei mit dem Hintern wie in einem schlechten Pornofilm, sie wusste, dass ich zuschaute, denn als sie mit einer Handvoll Kräuter zurückkam, lächelte sie mich an und strich herausfordernd mit ihnen lustvoll über die prallen Brüste. ‚Glücklicher Schwede!‘ dachte ich. Alle Gedanken, vielleicht einmal diese Herrlichkeit von Frau in den Händen zu halten, verdrängte ich, denn die Familie war omnipräsent und ich möchte selbstbestimmt und nicht mit einem Stiletto im Bauch verrecken.

      Nun gingen die Arbeiten zügig, die Frauen packten das fertig zerlegte Schaf in zwei Zinkbottiche, wir räumten gemeinsam auf und putzten die Schlachtstelle so sauber, dass man nicht erkennen konnte, dass hier für normale Mitteleuropäer Ekliges geschehen war. Kaum waren wir weg, übernahmen die zahlreichen Hühner die letzten Reste. In der Waschküche werkelten die Beiden rastlos weiter, ich bewunderte ihre Energien, denn nun wurde das Fleisch in Stücke geschnitten, portioniert und auf große Platten drapiert. In einem riesigen Kühlschrank verschwand alles bis zum Abend, so funktioniert arabische Frische. Kein Zwischentransport, keine Kühlkette, keine Chance für Betrug. Mia winkte mich in den danebenliegenden Raum mit einer altertümlichen Mangel für großes Bettzeug, zog aus einem Holzkasten eine kurze Hose und ein weißes, gestärktes Hemd heraus:

      „Wird passen, is vom Papa.“

      Sie wandte sich weg und ich wusste, dass ich jetzt nichts mehr fragen dürfe.

      In der Dusche verzweifelte ich. Trotz starkem Veilchenduft der Seife, wollte auch nach mehrmaligem Waschen der Schafsgeruch an mir nicht verschwinden. Ich sprayte drei Mal Deodorant über den ganzen Körper, ein widerlicher Mix aus Blumenwiese und Schafsgeruch blieb. Ich rettete mich ins Bett, deckte mich bis zur Nasenspitze zu und schlief auf der Stelle ein. Der Körper brauchte Ruhe, die Gedanken aber jagten ungebremst weiter. Erst träumte ich, ein Hütehund zu sein und mit einer Schafherde den Hügel zum Vulkan hochzusteigen, dann blickte mich das geschlachtete Schaf noch einmal an und sagte klar und in Menschensprache, dass es schön gewesen sei, in meinen Armen zu sterben und dann brach der Stromboli aus, für alle überraschend, niemand schien vorbereitet zu sein, dieses Mal ergoss sich der breite Lavastrom auf unser Dorf. Ich wollte wegrennen, wusste aber