Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1. Harald Hartmann

Читать онлайн.
Название Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1
Автор произведения Harald Hartmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742719959



Скачать книгу

musste mich zurück halten, um nicht zu lachen. Der ungeflügelte Engel glaubte an das Walross! Von dem ging keine Gefahr für mich aus. Das Walross konnte ich leicht unter den Tisch saufen. Ich kannte es noch von der Grundschule.

      Langsam klärte sich die Gemengelage. Es war nicht zu leugnen, mein Wahlkampf machte mehr und mehr Fortschritte. Gerade das aber machte mich misstrauisch. Warum musste es immer mehr sein? Hätte einer nicht auch genügt? Was steckte dahinter? Oder wer? Das waren vier Fragen auf einmal, mehr als ich vorher jemals gleichzeitig erzeugt hatte. Ein neuer Rekord der Atemlosigkeit wollte sich offensichtlich meiner auf diese Weise bemächtigen. Ich ließ mich davon nicht blenden, sondern verzichtete auf trügerische Bestmarken aller Art. Wie leicht entpuppten sie sich als gemeine Fallen! Ich konzentrierte mich lieber auf das Wesen meiner in letzter Zeit stark vermehrten Unförmigkeit.

      Ich beschloss abzunehmen. Sofort. Mein untrüglicher politischer Instinkt drängte mich dazu. Natürlich war es ein Risiko. Doch gegen meine Untrüglichkeit konnte so ein großkotziges Risiko nichts ausrichten. Natürlich würde auch in diesem Fall wie immer dereinst die Geschichte urteilen. Mein Rechtsanwalt tat es schon heute. Er lud mich ein zu einem vertraulichen Eierlikör. Er nahm kein Blatt vor den Mund. Ich fand, dass seine Mundharmonika so viel besser klang. Er bedankte sich für den Hinweis in vollen Zügen. Er war ein höflicher Rechtsanwalt. Gerne hätte ich ihn weiter empfohlen, aber ich konnte mir seinen Namen nicht merken. Die Ursachen dafür lagen lange zurück. Ich vermutete mindestens in der Steinzeit. Ohne eine moderne, kostspielige Navigatorin würde ich den Weg dahin aber nicht finden. So musste ich, weil ich arm war, warten, bis die Steinzeit mich besuchte.

      Ich wollte mir bis dahin nicht länger zur Last fallen. Darum schloss ich mich auf der Toilette ein. Zeitungen und Zigaretten hatte ich dabei. Es war alles sehr spannend. Ich hatte Blut geleckt. Und ich leckte weiter. Es war eine sehr ruhige und angenehme Beschäftigung. Ich mochte sie, weil es dabei keine Flecken gab. Wähler mochten keine Flecken.

      Leider musste ich meine schöne Tätigkeit schon bald beenden. Vor dem Haus stand mein Friseur und hielt sich ein billiges Megaphon vor seinen Rosinenmund. Er wollte mir dringend etwas unromantisches flüstern, ganz im Vertrauen. Gerade hatte ihm ein Kunde eine brandheiße Geschichte erzählt. Es ging um Hansi, meinen Konkurrenten bei der Wahl zum Ministerpräsidenten. Wenn das stimmte, was der Friseur verkündete, hatte Hansi sich soeben selbst disqualifiziert. Die Nachbarn sahen das ebenso. Ich dankte dem Friseur. Heimlich steckte ich ihm noch ein Trinkgeld in seinen immer hungrigen Rosinenmund. Friseure liebten Trinkgelder. Einer rasierte den anderen, mit links oder rechts, das war egal. Hauptsache! Und Hauptsachen wie diese lagen haufenweise auf der Straße, immer schon, so lange es Straßen gab und nicht einmal inkognito. Man musste die Augen nur aufmachen.

      12

      Ich machte Ernst. Mit weit geöffneten Augen griff ich tief in die Trickkiste. Eine lückenlose Bestandsaufnahme musste her. Das kam immer gut an und war ähnlich beliebt wie langsame Kamelkarawanen. Die Zeit der kleinen Schritte war jedenfalls vorbei. Ich machte ein Interview mit mir. Natürlich habe ich gewonnen. Ein Ministerpräsident und ebenso der, der es werden wollte, musste Schlachten gewinnen können, gegen jeden ohne Ausnahme. Ich wurde regelrecht zum Tier in meiner ausnahmslosen Situation. Kurz entschlossen warb ich dem Walross den ungeflügelten Engel ab, gerade noch rechtzeitig innerhalb des gesetzlichen Transferfensters. Ein erfahrener Wahlkampfleiter war im Wahlkampf die halbe Miete. Das Walross beglückwünschte mich zu diesem Coup. Dann schlief es ein. Alle meine Konkurrenten wussten nun, dass sie sich achtmal wärmer anziehen mussten, als sie gedacht hatten, wenn sie den Wahlkampf gewinnen wollten. Dieses Los war ihre aussichtslose Aussicht.

      Bei meinem morgendlichen Spaziergang traf ich den König am Fuße der Kastanienallee. Er war frisch und ausgeruht, wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte. Die Königin hatte jetzt einen jungen, muskulösen Burschen von schlankem Wuchs und einem dynamischen Unwesen, das er um sich herum trieb. Er arbeitete gleich um die Ecke im Stall bei den königlichen Pferden. Glück war einfach durch nichts zu ersetzen.

      „Guten Morgen, Majestät“, sagte ich freundlich.

      „Oh, mein lieber Ich, Sie sind es“, meinte er erfreut.

      „Ja, Majestät, ich bin es“, sagte ich.

      „Ich wollte Sie gerade anrufen“, sagte er. „Ich wollte Ihnen meine Frau vorstellen.“

      „Sehr freundlich von ihnen“, sagte ich. „Vielleicht kann sie mir ihren Stallburschen ausleihen. Ich brauche zuverlässige Männer im Wahlkampf.“

      „Da lässt sich leider für Sie im Moment nichts machen. Er ist unabkömmlich“, schüttelte er ohne das leiseste Bedauern den Kopf.

      Dafür hatte ich vollstes Verständnis. Ich liebte meinen König.

      „Gib mir eine Axt, und ich säge das Gebirge in kleine Stücke“, unterbrach eine Stimme mein Gespräch mit dem König.

      Wieder einmal musste ich meine Hellhörigkeit zu Rate ziehen, um die Stimme identifizieren zu können. Es war die Stimme -aus- dem- Off. Ich langte kurz unter meinen letzten Backenzahn und übergab ihr die Axt.

      „Es ist ein Geburtstagsgeschenk, bitte behandle sie vorsichtig“, gab ich ihr mit auf den Weg.

      „Du kennst mich doch“, war ihre Antwort.

      Es war eine Antwort ohne Eigenschaft.

      Das Gebirge war für einen Schmerz immer zu haben. Die beiden hatten einen vergnüglichen Nachmittag. Dagegen war nichts zu sagen. Auch das Ende war schön. Es endete für beide im Krankenhaus. Patient-Sein war auch eine schöne Sache. Im Moment konnte ich es mir aber aus gesundheitlichen Gründen nicht leisten. Wer gesund war, hatte leider Pech und musste draußen bleiben. Aber ich gab natürlich nicht so einfach auf, wie so manch andere Schlappschwänze, die genau wussten, wer gemeint war und ganz absichtlich von mir mit dieser passgenauen Anspielung angespielt werden sollten.

      So beeinflusste ich mal wieder das Glück. Es handelte sich um das Glück des unermüdlichen Wahlkämpfers, so wie es im Vertrag vereinbart war. In diesem Fall kam es in Gestalt eines Anthroposophen. Er kam mir entgegen. Ich hielt ihn an .

      „Was gibt es da, wohin du gehst?“ fragte ich ihn,

      „Eine ausgezeichnete Currywurst an Pommes“, verkündete er mir.

      Ich ärgerte mich. Wenn ich im Wahlkampf nicht so eingespannt gewesen wäre, hätte ich kehrt gemacht und wäre mit ihm gegangen. Ich hatte immer Hunger. Delikatessen waren meine Leidenschaft. Aber mein Volk liebte ich mehr als schnöde Leckereien. Beim Volk war die Sachlage gerade umgekehrt. Es war ein ehrliches Volk. Ich war noch dabei das Volk zu lobpreisen, da kam der Anthroposoph schon zurück vom Imbiss und hielt mir einen Teller hin, darauf die ausgezeichnete Currywurst an Pommes. Wenn er etwas im Schilde führte, so war es geruchlich wie farblich nicht zu beanstanden. Ich wollte zugreifen. Er zog den Teller zurück.

      „Ich möchte einen Posten als Staatssekretär, wenn du die Wahl gewonnen hast“, sagte er.

      Ich tat, als dächte ich angestrengt nach.

      „Der Posten des Pförtners wäre frei“, antwortete ich.

      „Staatssekretär“, schüttelte er den Kopf.

      „Chauffeur ist auch schön“, sagte ich.

      „Staatssekretär“, beharrte er.

      „Raumpfleger“, bot ich an.

      „Staatssekretär“, wiederholte er phantasielos.

      Das Essen wurde langsam kalt. Der Anthroposoph hatte mich in seiner Gewalt.

      „Abgemacht, Staatssekretär“ gab ich meinem Hunger nach.

      Augenblicklich zerfiel der Anthroposoph daraufhin zu Speisesalz. Den Pommes fehlte es in der Tat an Salz. Ein ausgezeichneter Mann, dieser Anthroposoph! Er hatte sicher noch eine große Karriere vor sich.

      Wieder hatte ich eine Currywurst aus dem Weg geräumt. Doch das war kein Grund, mich auf den Lorbeeren auszuruhen, denn der Feind