Название | Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1 |
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Автор произведения | Harald Hartmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742719959 |
Jetzt begann der schwerste Teil meiner Arbeit. Mit eigenen Augen suchte ich die Bäume nach Zähnen ab, auch nach den versteckten Implantaten, um auf ihnen mit dem Zeigefinger das Unbekannte zu erfühlen. Ich konnte aber keinen einzigen finden. Die Bäume waren zahnlos glücklich, und nur ein Zahnarzt hätte ermessen können, was dieses Glück bedeutete. Ich hatte nun die Gewissheit, tatsächlich unangefochtener Besitzer meiner eigenen, unergründlichen Unwissenheit zu sein, und die abgesägten Bäume hatten so die Welt des Wahlkampfs, eine Welt, in der selbst kleine Fehler niemals verziehen werden, einmal hautnah erleben dürfen. Und alles natürlich gratis. So hatten wir alle was davon. Es war eine äußerst gelungene PR-Aktion gewesen. Diese Bäume würden bei der Wahl sicherlich geschlossen hinter mir liegen. So geht Wahlkampf!
7
Die Ferien hatten begonnen. Überall sah ich die sonnenhungrigen Wahlvölker in den bunten, kurzen Hosen des korrekt verkleideten Urlaubers auf unbequemen Barhockern herum lungern und farbenfrohe Cocktails trinken. Sie hatten sich ein paar freie Tage in der sengenden Sonne des Südens nun wirklich verdient, ganz gleich ob redlich oder unredlich. Spontan setzte auch ich mich dazu an eine Bar meiner Wahl, um mit diesem versteckten Zaunpfahl den Wahlkampf heran zu winken. Außerdem, und ohne die kurze dabei mit auszuziehen, zog ich meine im Augenblick unpopuläre, lange Hose aus. Mein Wahlkampf machte da natürlich sofort mit und tanzte einen reizvollen, schlangenartigen Tanz auf dem Tresen. Die kurzhosigen Wahlvölker ließen sich verführen, erst von den Cocktails, dann von dem gut gebauten Wahlkampf. Wir tranken zusammen einen nach dem anderen. Am Ende schwanden uns die Sinne. Endlich mal wieder sinnlos sein nach dem ganzen Unsinn! Ich atmete auf. Es war mein schönstes Ferienerlebnis.
Gleich nach meinem schönsten Ferienerlebnis verspürte ich einen uneinheitlichen Hunger von jedweder Art. Ich brauchte jetzt die stärksten Kalorien, die auf dem Markt zu finden waren. Ohne mich besonders anstrengen zu müssen, so wie alle anderen es notgedrungen wegen ihrer veralteten Software tun mussten, hatte ich sofort eine Idee, wo ich sie finden konnte.
Mein unbestechlicher Blick erfasste das Grün einer großen Wiese. Viele Flugzeuge grasten hier friedlich vor sich hin. Es waren sehr alte Flugzeuge. Ihre Flügel waren schon ganz krumm.
„Was macht ihr hier?“ fragte ich sie.
„Wir grasen“, antworteten sie.
„Ich habe Hunger. Darf ich mit euch grasen?“ fragte ich höflich.
„Nur zu“, antworteten sie. „Grase, soviel dein Herz begehrt.“
Nie hatte ich besser gegrast. Es war mein zweitschönstes Ferienerlebnis.
Satt wie die vollgegrasten Hasen gingen wir danach ins Stadion der unbekannten Ergebnisse und sahen uns gemeinsam das Spiel der zwei Mannschaften an. Am Ende hatte meine Mannschaft gegen die andere Mannschaft gewonnen. Schon wieder. Eigentlich wie immer. Und auch noch total verdient. Das hielt kein Wahlvolk auf Dauer aus und im Wahlkampf schon gar nicht. Es war eine gefährliche Situation. Zu viel Gerechtigkeit für mich war auch nicht gut. Auf Wählerstimmen wirkte sie wie reines Gift. Das war mein zweitschlimmstes Ferienerlebnis.
Während ich anfing über dieses Thema, extrem zu fantasieren, kam mir ein unerhörter Geruch zu Ohren. Meine Füße konnten es nicht sein. Sie hingen noch auf der Leine. Ich alarmierte meine Nachbarn. Sie sagten, es wäre nichts. Ich versprach ihnen, mich darum zu kümmern. Sie bedankten sich geruchlos. Ich ertrug es klaglos. Ich war ja hinter ihren Wählerstimmen her. Es gab nichts Schlimmeres. Damit war das eindeutig mein schlimmstes Ferienerlebnis, ganz klar vor meinem zweitschlimmsten.
Nachdem ich mich von den hektischen Ferien mit ihren vielen Nebenwirkungen getrennt hatte, ging der Wahlkampf sofort wieder im Normalmodus weiter, allerdings mit verminderter Härte, was mir vielleicht sogar dabei helfen konnte, mir die immer noch sengende Sonne aus den Knochen zu schwitzen. Da kam eine Apotheke des Weges. Sie kam mir gerade recht. Die Apothekerin trug einen mausgrauen Arbeitskittel. Ich konnte ihr also vertrauen.
„Sie wünschen?“ fragte sie.
Ich küsste mehrmals den Tresen. Es war gut möglich, dass das hier bei mobilen Apotheken so üblich war. Zum Wohle meiner Mission wollte ich besser keinen Fehler machen.
„Ich habe dieses Wahlkampfrezept hier“, sagte ich und zog es hervor aus meiner tiefsten Tiefe. „Es ist von einem sehr gelenkigen Fotografen.“
Sie nahm es. Sie las es. Sie gab es. Ein beeindruckendes Medikament lag vor mir auf dem vergoldeten Tresen.
„Damit können Sie die Welt verbiegen“. sagte sie. „Es ist unser Verkaufsschlager.“
„Was kostet es?“ fragte ich und nahm den Verkaufsschlager souverän in meine schwarzbehaarten Schraubstockhände.
„Nichts“, sagte sie. „Das zahlt die Kasse.“
Da wusste ich, dass es noch viel zu tun gab nach meiner Wiederwahl zum Ministerpräsidenten.
„Darf ich Sie einladen?“ fragte sie geschäftstüchtig.
Ich nickte. Sie steckte mich in eine große, karierte Plastiktasche und lud mich in ihren Kombi ein. Mit froher Stimme sang ich das Lied von der tiefen Ladekante, eine großartige Erfindung übrigens gegen blaue Flecken und Pferdeküsse. Sie fuhr mit mir zu einer Wiese am Fluss. Die Frau im Navigationsgerät hatte ihr dazu geraten. Dort lud sie mich wieder aus. Wir machten ein Picknick. Die Sonne schien von überall. Wir sahen uns lange Zeit nur an. Bald kannten wir alle Hautunreinheiten unseres Gegenübers.
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte ich zu ihr, als ich genug gesehen hatte. „Sie sind die hundertste Apothekerin, die mich zu einem Picknick eingeladen hat. Allein in diesem Jahr.“
Ihre Reaktion war unbeschreiblich. So schnell hatte sich die Schar meiner Anhänger wieder vergrößert. Spontan bot ich ihr an, sie zu heiraten, weil es ja meine liebstes Hobby war, Sie flehte mich an, ihr lieber einen Posten im Sanitärbereich meines Präsidentenpalastes zu geben. Natürlich lehnte ich ab. Feigheit vor dem Ministerpräsidenten war etwas, was ich auf keinen Fall dulden durfte. Keiner hatte das Recht, sich meinem Hobby zu verweigern. Es hatte alleroberste Priorität. Mit dieser geradlinigen Entscheidung zeigte ich allen, die es noch nicht gemerkt hatten, dass ich auf dem richtigen Weg war. Daran konnte kein wie auch immer gearteter Zweifel bestehen, ob versteckt oder unversteckt. Denn nur so, wenn es nicht anders kommen sollte, blieben die Kletten wie Anhänger an mir kleben.
8
Auf meinem zweifellos weiterhin richtigen Umweg zurück in den Palast des Ministerpräsidenten hörte ich von einem namenlosen Eskimo. Er sprach nur ein einziges Wort. Er beherrschte es perfekt. Es hieß „Ja“ und löste alle Probleme. Damit war er auf Weltreise. Seit vielen Jahren schon. Es war sein einziges Gepäck. Mehr brauchte er nicht, denn eine Zahnbürste konnte er sich überall von jemandem ausleihen. Als ich ihm begegnete, saß er auf einem Okapi. Es war sein Reittier, und es trug, wie ich deutlich sehen konnte, meine ehemaligen Präsidentensocken. Viele Jahre hatte ich vergeblich nach ihnen gesucht und nicht gewusst, wo sie sich aufhielten. Diese Entdeckung nun verursachte eine sofortige und erdrutschartige Wissensvermehrung auf dem tiefsten Abgrund meiner unstillbaren Erkenntnis. Die Lösung des Sockenrätsels war der überraschend auf der Bühne dieses verbissenen Wahlkampfs aufgetretene Beweis: Das Okapi kandidierte ebenfalls für den Posten des Ministerpräsidenten, und zwar mit der unwiderstehlichen Ausstrahlung meiner gestohlenen, ehemaligen Ministerpräsidentensocken. Bei dem ausgesprochen günstigen Preis-Ausstrahlungsverhältnis dieser Socken an Okapihufen war das kein Wunder, über das ich mich wunderte. Das Okapi war schließlich mathematisch ausgebildet und rechnete sich eine gefährlich realitätsfremde Chance aus, die ich aber mit meiner bekannten Realität zu konfrontieren gedachte, um zu zeigen, wer hier die Hosen anhatte und wer nur die Socken. Früh schon hatte der Wahlkampf mit aller Macht eingesetzt. Ich musste die Augen offen halten. Unerwartete Kandidaten lauerten nicht nur sondern auch noch überall.
Das Okapi dachte daran, eine Rede zu halten, wie mir mein Geheimdienst meldete. Ich dachte