Название | Operativer Vorgang: Seetrift |
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Автор произведения | Jo Hilmsen |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847624295 |
Um mir diese Fummelei zu ersparen, blieb mir nichts anderes übrig, als kurz bevor sich der Arm hob, die Stromzufuhr zu unterbrechen, die LP umzudrehen, den Arm in die Ausgangsposition am Rillenrand zu schwenken und einzuschalten. Es klappte. Beim Einschalten setzte sich die Scheibe in Bewegung und die ersten Töne vom Offertorium erklangen. Ich atmete auf.
Ab dieser Stelle hatte wahrscheinlich Franz-Xaver Süßmayer das Werk seines Meisters vollendet, weil Mozart gestorben war. Und Süßmayer hatte ganze Arbeit geleistet, wie ich fand. Das Offertorium war ebenso ergreifend wie das Confutatis... und das Agnus Dei war noch besser.
Es war November.
Jedes Jahr im November hörte ich wenigstens einmal das Requiem von Mozart. Meistens natürlich bei einer der hiesigen Konzertaufführungen. Letztes Jahr war ich mit Hannah in der Marienkirche am Alexanderplatz gewesen. Eine großartige Aufführung.
Hannah hatte sich die Augen ausgeweint und dabei alle meine Taschentücher verbraucht. Der Dirigent, der Kantor des Berliner Doms, hatte es tatsächlich gewagt, nach dem Requiem noch eine Motette – das Ave verum von Mozart – singen zu lassen. Das Requiem ist zu kurz für einen Konzertabend, deshalb ließen die meisten Dirigenten etwas davor spielen. Aber danach?
Ich war äußerst skeptisch, aber dieses Ave verum setzte dem Ganzen sozusagen noch das Sahnehäubchen auf. Es war unglaublich. Wirklich! Ein unvergesslicher Abend.
Dieses Jahr hatten wir es irgendwie versäumt, uns rechtzeitig Karten zu besorgen. So war ich gezwungen, den alten Plattenspieler anzuwerfen. Aber Peter Schreier und der Rundfunkchor Leipzig entschädigte. Absolut. Und das gute alte Vinyl klang irgendwie auch besser als eine CD. Weicher, wie ich fand. In Gedanken beschloss ich, mir alsbald einen neuen Plattenspieler zu kaufen. Mittlerweile waren Plattenspieler ja wieder voll im Trend, es gab etliche neue Alben auf Vinyl, und die neuen Plattenspieler waren unbestritten tolle Geräte.
Nachdem der letzte Ton aus dem Raum geschwebt war, stand ich auf und ging in die Küche.
Dort wärmte ich mir meinen gestrigen Gemüseeintopf auf und öffnete eine Flasche Weißwein. Ich setzte mich an den Küchentisch, aß zwei Teller Eintopf und trank dazu zwei Gläser Wein. Nachdem ich das Geschirr in den Geschirrspüler eingeräumt hatte, schlenderte ich ins Schlafzimmer und machte mich ans Packen. Für vier Tage nahm ich in der Regel mehr mit, als ich wirklich brauchte. Ich packte drei Hosen, zwei große Badehandtücher, vier T-Shirts und zwei dicke Wollpullover in den Koffer, warf Badelatschen, eine Badehose, ein halbes Dutzend Socken, Unterwäsche und eine warme Daunenweste dazu. Obendrauf legte ich Waschzeug mit Duschbad, Haarwäsche, Körperlotion, mein Lieblingsparfüm Chrome von Azzaro und ein zweites Paar Schuhe. Im Bad rasierte ich mich noch einmal und steckte den Rasierer zu den anderen Dingen für die Hygiene. Das sparte morgen früh Zeit.
Ich überlegte abermals, ob Felix einen Hund besaß. Aber diese Überlegung führte zu nichts. Wenn dem so wäre, dachte ich, hätte es Hannah bestimmt irgendwann erwähnt.
Ich nahm mir ein Buch aus meinem Bücherregal. Schiffbruch mit Tiger von Yann Martel, las ein bisschen, trank dazu noch ein Glas Weißwein und ging zwei Stunden später zu Bett.
Kapitel 2
Pünktlich um Elf stand ich vor Hannahs Haustür. Sie wohnte wie ich im Berliner Prenzlauer Berg. Ich wohnte in der Sredzkistraße, sie in der Metzerstraße. Bei ihr fand man so gut wie immer einen Parkplatz, bei mir so gut wie nie.
Das Wetter war absurd. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne wärmte wie an einem Altweibersommertag. Am Abend in der Tagesschau würde man wahrscheinlich wieder einen neuen Wärmerekord für diesen Novembertag melden. Schon wieder. Der Oktober war bereits mit einem Wärmerekord in die Statistik eingegangen, ebenso der September und der Juli. Jedes Jahr neue Rekorde.
Seit ich Al Gores Eine unbequeme Wahrheit im Kino gesehen hatte, war mein Stromverbrauch um über die Hälfte gesunken. Ich schaltete nur einmal am Tag meinen Computer an, um meine E-Mails zu checken, den Fernseher so gut wie nie mehr, überall gab es jetzt Energiesparlampen, die Waschmaschine lief höchstens zweimal im Monat und im Wohnzimmer brannten abends Kerzen. Privat und in der Firma hatten Konrad und ich beschlossen, den Stromanbieter zu wechseln und wurden nun mit Ökostrom beliefert. Beide schimpften wir wie die Rohrspatzen, wenn jemand vergaß, das Licht im Klo auszuschalten. Aber irgendwie war das alles nicht befriedigend. Aufs Autofahren hätte ich am liebsten auch verzichtet, aber nun war ich doch ein bisschen froh, mich anders entschieden zu haben.
Mein schwarzer Saab 9-3 war keine zwei Jahre alt, bequem und ausgestattet mit Sitzheizung und einer Klimaanlage. Der Benzinverbrauch hielt sich im Rahmen und der Wagen besaß den EU II-Kat. Mit Hannahs kleinem Daihatsu wäre die Fahrt bis Zinnowitz bestimmt eine Quälerei geworden.
Aber wer brauchte bei diesen Temperaturen schon eine Sitzheizung?
Zwischen der Sredzki und der Metzerstraße standen bei sämtlichen Cafe´s und Kneipen Tische und Stühle vor den Türen. Die meisten davon waren vollbesetzt und die Leute hielten ihre Gesichter in die Sonne.
Wenn der Golfstrom zum Erliegen kam, würden wir uns alle warm anziehen müssen.
Ich drückte den Klingelknopf und Hannahs Stimme erschall aus der Sprechanlage. Selbst durch die Sprechanlage klang ihre Stimme wie die von Hansi Jochmann, der Synchronstimme von Jodie Foster.
„In zwei Minuten bin ich unten, okay?“
Okay. Da konnte ich mir das Treppen steigen sparen. Hannah wohnte im Dachgeschoss, und die Hausbesitzer hatten auf einen Fahrstuhl bei der Sanierung verzichtet. Die Miete war dennoch bei ihrem Einzug exorbitant gestiegen. Bis zum Kollwitzplatz brauchte man nur zehn Minuten zu Fuß. Und diese Gegend Berlins wurde langsam aber sicher mietmäßig zu Klein-Paris.
Ich ließ das Schiebedach bis zur Hälfte zurück fahren. Ein bisschen Sonne auf dem Kopf konnte nicht schaden.
Ich überlegte kurz und schob mich dann auf den Beifahrersitz. Hannah fuhr den Saab gerne, und ich hatte heute keine Lust zum Fahren.
Als Hannah kam, steuerte sie zielstrebig zur Fahrerseite, als hätten wir es so verabredet. Sie trug einen hellbraunen Blazer und eine schwarze Hose mit einem ziemlichen Schlag.
Mit einer raschen Armbewegung beförderte sie ihre Reisetasche aus weichem Leder auf die Rückbank, lächelte und küsste mich. Irgendwie hatte ich während des Küssens das Gefühl, dass sie immer noch lächelte. Vielleicht war es auch ein inneres Grinsen.
„Ich habe große Lust auf die Ostsee“, sagte sie und fingerte gleichzeitig am Lenkradblock herum. Sie suchte das Zündschloss. Wie die meisten, die einen Saab nicht regelmäßig fuhren, suchte sie das Zündschloss, dort wo es sich bei allen anderen Autos befand. Ich tippte ihr leicht auf die Schulter und zeigte zur Konsole vor der Handbremse.
„Jedes Mal“, lachte sie. Ich streckte mich behaglich im Sitz aus und lächelte zurück.
„Jedes Mal... Übrigens, eine Bitte habe ich noch.“
Hannah machte große Augen. Vielleicht hatte sie mich nicht richtig verstanden oder war plötzlich über etwas erschrocken. Beispielsweise darüber, dass ich merkwürdige Fragen stellen könnte. Beispielsweise die Frage: Ob Felix einen Hund besaß. Ich hatte keine Fragen und große Augen machen, stand ihr wirklich gut.
„Lass uns Landstraße fahren. Die B 96, ja.“, sagte ich.
„Aber da brauchen wir bestimmt eine Stunde länger. Wenn das reicht.“
„Bitte!“
„Gut, aber nörgele dann nicht herum, wenn’s langweilig wird.“
„Wird es nicht. Mit dir nie!“ Das war wohl ein bisschen geflunkert.
Stadtauswärts hörten wir Radio Eins. Ein Bekannter von mir wurde gerade interviewt. Daniel war Redakteur beim Tagesspiegel und hatte vor ein paar Monaten ein Buch mit gesammelten Nachrufen herausgegeben. Die Nachrufe erschienen