Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich. Jo Hilmsen

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Название Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich
Автор произведения Jo Hilmsen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742782397



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irgendwie zu ein paar Zlotys ummünzen ließ. Seine schärfsten Konkurrenten mittlerweile, dabei waren sie absolute Mülldilettanten, dachte er, versauten einem das ganze Geschäft. Und damit nicht genug. Neuerdings fluteten die Ukrainer herein und postierten sich sogar vor den Eingängen zur BSR – der Berliner Stadtreinigung.

      Schwierige Zeiten.

      Vielleicht sollte ich einfach nach Polen fahren, dachte Karl, wenn diese Heuschrecken hier über meine Ernte herfallen. Womöglich warteten im Nachbarland stapelweise Schätze darauf, von ihm ausgegraben zu werden. Aber in Polen gruben vermutlich die Russen oder die Ukrainer. Und das konnte durchaus gefährlich werden.

      Ein paar Meter vor ihm türmte sich der nächste Berg. Karl stoppte, zog die Handbremse und kletterte aus dem Wagen.

      In der Regel benötigte er wenige Sekunden, um so einen Haufen zu scannen und in brauchbar, vielleicht brauchbar oder unbrauchbar einzuteilen. Hier lohnte ein zweiter Blick, das sah er sofort.

      Als Erstes förderte Karl ein altes Telefon mit Wählscheibe zutage, Baujahr 1940. Diese Dinger kamen wieder in Mode und zierten mittlerweile so manches Flur- oder Wohnzimmerschränkchen. Allein im letzten Monat hatte Karl fünf Stück davon verkauft. Der Gewinn betrug 125 Euro. Immerhin!

      Karl stellte zufrieden fest, dass am Gerät sogar eins von den neuen Kabeln montiert war und die Wählscheibe problemlos funktionierte. Sein Blick setzte die Wanderung fort. Karl hatte das deutliche Gefühl, hier mehr zu finden.

      Ein gutes Jahr war es her, als Karl den bislang besten Fund seiner Sperrmüll-Karriere gemacht hatte. So etwas wie einen Sechser im Lotto. Er kam sofort ins Schwärmen, wenn er nur daran dachte.

      Fürstenberg an der Havel in Brandenburg. Es war, als würde das Ortsschild in Gedanken vor seinen Augen aufleuchten. Eine Sperrmüllaktion wie diese. Zuerst entdeckte er einen Kasten Silberbesteck, fein säuberlich geordnet in einem Bett aus roten Samt. Das Besteck war in einen derart perfekten Zustand, als hätte jemand noch einen Tag zuvor jeden Löffel einzeln poliert und damit eine Hühnersuppe gelöffelt. Sein Spürsinn war auf der Stelle in höchster Bereitschaft geschossen. Level 5, wie er es nannte, auf Karls persönlicher Aufmerksamkeitsskala.

      Und was er dann aufgespürt hatte, passierte Leuten seines Schlages äußerst selten und den Polen hoffentlich niemals.

      Das unscheinbare Schmuckstück erwies sich als eine josephinische Aufsatzkommode. Frühes 19. Jahrhundert. Die Kommode war kunstvoll aus Kirschbaum, Pflaume und Nussbaum gefertigt und hatte ihm satte 19.000 Euro eingebracht. Und von diesem Erlös zehrte er im Grunde noch immer.

      Karl lenkte seufzend seine Aufmerksamkeit zurück auf den Haufen vor ihm. Außer dem Telefon lagen da in erster Linie Bretter. Ein zertrümmerter Kleiderschrank, zerlegte Regale aus Fichtenholz, lackierte Rundhölzer. Karl straffte die Schultern und kletterte über die Bretter zu einer Reihe übereinandergestapelter Lederkoffer. Zwei davon waren derart zerschlissen, dass Karl sie per Fußtritt beiseite beförderte. Bei dem Dritten war das anders.

      Es war ein schwarzer Aktenkoffer von Delsey, ausgestattet mit einem Zahlenschloss.

      Karl hob den Koffer in die Höhe und prüfte das Gewicht. Fest stand, er war nicht leer, dass belegte das verhaltene Klappern, als er ihn vorsichtig rüttelte. Bücher?

      Nein, entschied Karl. Es klang eher nach Plastik. Vielleicht waren es Tupperdosen oder DVDs.

      Die Rädchen des Zahlenschlosses standen alle auf „Null“. Karl zog an den beiden Messingverschlüssen. Sie waren verschlossen und Karls Neugier geweckt.

      Dich krieg ich schon auf, dachte er und verstaute den Lederkoffer auf dem Beifahrersitz seines Transporters.

      Als sich Karl erneut dem Sperrmüllhaufen näherte, zog unmittelbar vor ihm ein American Staffordshire Terrier seine Lefzen zurück. Er hatte keine Ahnung, woher der plötzlich gekommen war. Karl Munkelt warf einen entsetzten Blick auf das gewaltige Gebiss. Das Fell des Hundes war gesträubt und sein tiefes Knurren ganz bestimmt kein Willkommensgruß.

      Karl blieb ruckartig stehen und sah sich Hilfe suchend nach einem möglichen Besitzer des Kampfhundes um.

      Das Wellensittichgeplapper, was Karl zu hören meinte, bedeutete nicht wirklich Entspannung. Kein Spaziergänger. Kein Ruf, kein Pfiff.

      Scheiße, durchfuhr es Karl. Seine Spraydose CS-Gigant – ein bewährtes Reizgas für solche Fälle – befand sich im Handschuhfach seines Transporters.

      Erste Regel, dachte er, einem fremden Hund niemals unverschämt in die Augen sehen, sonst fühlt sich das Tier provoziert. Wahrscheinlich verteidigt die Töle nur sein Revier.

      Aber wo beginnt und wo endet das? Das Knurren wurde deutlicher. Gefährlicher! Der Rüde machte einen Schritt auf Karl zu.

      Sein Fell war weiß mit braunen Flecken – wie das bei einer Kuh, der Körper bullig und muskulös und der Kopf riesig. Der Schwanz des Staffords ragte wie ein Degen in die Höhe. Kein Wedeln, kein Anzeichen von Freude.

      Karl schossen sofort Bilder von herausgerissenen Fleischstücken aus menschlichen Oberschenkeln und von verstümmelten Kindergesichtern in den Kopf.

      Zweite Regel: Keine Angst zeigen. Hunde riechen das.

      Super, dachte Karl. Wahrscheinlich würde mein Körpergeruch gerade sämtliche Hunde aus dem Lankwitzer Tierheim anlocken.

      Sprich mit ihm, riet ihm eine innere Stimme. Karl Munkelt legte allen Mut in seine Stimme: „Na, du.“

      Zwei Sekunden später hechtete er bäuchlings in den Lieferwagen und zerrte panisch und wild um sich strampelnd die Tür hinter sich zu. Gerade noch rechtzeitig ehe sich der Stafford in seiner Wade verbeißen konnte. Der Versuch, den Köter mit einem Fußtritt abzuwehren, endete damit, dass Karl nun neue Schuhe kaufen musste. Im Maul des Staffords steckte sein nagelneuer Enrico Coveri-Sportschuh.

      Einen Moment erwog Karl dem Mistviech seinen Schuh mit dem CS-Gigant abzujagen. Aber dazu hätte er die Verfolgung aufnehmen müssen, denn der Kampfhund hatte sich mit seiner Beute davongestohlen.

      Ungeachtet der vielen noch ungesehenen Sperrmüllhaufen, startete er den Wagen und lenkte ihn in Richtung Ortsausgang. Hier hatte er fürs Erste die Nase voll. Die Häuser im Rückspiegel strafte er mit Verachtung.

      Karl warf einen kurzen Blick auf den Aktenkoffer neben ihm und steckte sich eine Zigarette zwischen die Zähne.

      Erst jetzt bemerkte er, dass seine Hände zitterten und der Schreck gerade die Knie weich kochte. Sein Fuß mit der löchrigen Socke trat die Kupplung, und Karl legte den nächsthöheren Gang ein.

      Noch mal Glück gehabt, dachte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      Aber das war streng genommen, ein Irrtum.

      Kapitel 5

      Benjamin Krause betrachtete die gähnende Leere seines Kleiderschranks und schnappte nach Luft. In seinem Kopf wirbelten Sätze wie: Das kann nicht sein! Oder: So was gibt es nicht! Irgendwer hatte sich nicht nur seiner sämtlichen Jeans bemächtigt, auch die T-Shirts, Pullover und Hemden fehlten. Alles – sah man einmal von der gefüllten Aldi-Tüte Schmutzwäsche ab.

      Der Vollständigkeit halber sollte noch erwähnt werden, dass im Wohnzimmer ebenfalls einige Lücken ins Auge stachen. Dort fehlten der Fernseher, nebst Videorekorder und DVD-Player auch die komplette Pioneer Stereoanlage und PC und Monitor. Der oder die Diebe hatten ungefähr so alles mitgehen lassen, was sich ihrer Meinung nach irgendwie zu Geld machen ließ.

      Nur das Bücherregal und eine wenig ansehnliche Couchgarnitur waren unberührt geblieben.

      In Benjamins Hose vibrierte das Handy, dann spielte die Melodie von „Guten Abend, gute Nacht...“. Auf dem Display erschien der Name seines Freundes Bernd. Bernd Wohlfahrt – mit Bernd hatte Benjamin den Ausflug geplant, der nun an Corinnas Sturheit zu scheitern drohte. Aber Benjamin Krause hatte längst beschlossen, dass es wichtigere Dinge als einen Dienstplan gab.

      Gastritis