Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich. Jo Hilmsen

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Название Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich
Автор произведения Jo Hilmsen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742782397



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an in einem Sessel Platz zu nehmen und setzte sich ihm gegenüber.

      „Nun, Sie wünschen ein Interview über mein finanzielles Engagement in der hiesigen Jugendarbeit?“

      „Ja.“

      Winterstein öffnete seine neue Lieblingstasche und fingerte das Diktiergerät und den Schreibblock heraus. „Sie gestatten?“

      Freiherr Graf von Wiltberg nickte. Winterstein stellte das Diktiergerät auf die Glasplatte und schaltete es ein. Sein Blick ruhte kurz auf der Karte der Antarktis.

      „Also“, sagte von Wiltberg, „fragen Sie!“

      Daniel hüstelte und sah von Wiltberg in die Augen. „Bevor wir das Interview beginnen, wollte ich noch Ihre Meinung zu den bedauerlichen Ereignissen in der Ruine von Gerswalde hören.“

      Der Graf hob eine Augenbraue. Abermaliges Nicken. „Meinetwegen.“

      „Der Tod einer Achtzehnjährigen.“

      „Siebzehneinhalb. Außerdem…“

      Winterstein machte sich rasch eine Notiz. „Der Tod einer Siebzehneinhalbjährigen. Kannten Sie das Mädchen?“

      „Nein, so würde ich es nicht ausdrücken. Wenn ich mich recht entsinne, befand sie sich letztes Jahr unter den Gästen meines alljährlich stattfindenden Sommerfestes. Immer ganz in Schwarz gekleidet, das Mädchen. Möglicherweise bin ich ihr auch ab und an im Supermarkt begegnet. Diese Welt hier ist recht überschaubar.“

      „Sie gehen im Supermarkt einkaufen?“

      Der Graf antwortete nicht, sondern hob nun beide Augenbrauen, und Winterstein wechselte schnell das Thema.

      „Diese Sommerfeste sind ja eine Art Wohltätigkeitsveranstaltung, von deren Erlösen Sie kleinere und mittlere Unternehmen und soziale Projekte in der Region fördern.“

      „Richtig. Das diesjährige Fest war das Achte dieser Art. Mittlerweile kommen die Leute aus Berlin, Hamburg und München hierher. Neulich hat der RBB darüber berichtet. Ich denke, wir haben damit schon eine ganze Menge positiver Impulse setzen können.“

      „Die Bevölkerung hier liegt Ihnen bestimmt zu Füßen?“

      „Ich leiste nur meinen bescheidenen Anteil zur Stärkung einer bezaubernden Region. Nicht umsonst nennt man die Uckermark die brandenburgische Toscana. Ich hoffe, Sie hatten Gelegenheit sich auf der Fahrt hierher ein wenig umzusehen.“

      Winterstein nickte.

      „Dann werden Sie mir sicherlich zustimmen.“

      „Ja, ausgesprochen beschaulich, diese Landschaft. Trotzdem ziehen viele Menschen weg. Besonders die jungen Leute.“

      „Leider. Außer einigen wenigen Jobs in der Landwirtschaft gibt es hier nicht allzu viele Arbeitsmöglichkeiten. Und seit die EU sich in Richtung Osten erweitert hat, wird es in dieser Branche auch immer schwieriger. Mein Engagement zielt darauf ab, die Leute dazu zu bewegen, hier zu bleiben. Bedauerlicherweise muss man allerdings auch eingestehen, dass es hier nicht gerade von Visionären wimmelt. Leider. Die Uckermärker waren diesbezüglich schon immer… sagen wir mal ausgesprochen bodenständig.“ Graf von Wiltberg lächelte nachsichtig.

      „Immerhin stammt die Bundeskanzlerin aus Templin.“

      Der Graf lächelte ein zweites Mal nachsichtig.

      „Was ist mit dem neuen Industriezweig der erneuerbaren Energien? Wäre dies nicht eine große Chance, gerade für eine Region wie diese? In Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt ist man diesbezüglich wesentlich innovativer.“

      „Hören Sie, Herr Winterstein, sollte hier auch nur ein Windrad die Landschaft verschandeln, werde ich es persönlich sprengen. Dieser Teil der Uckermark ist quasi ein einziges Naturschutzgebiet.“

      Daniel Winterstein beließ es dabei und sagte stattdessen: „Ich würde gern noch einmal auf das tote Mädchen zurückkommen. Die Kripo tappt da wohl noch ziemlich im Dunklen. Was denken Sie darüber? Glauben Sie, dass es Mord war?“

      „Schlimm, schlimm. Erst diese unselige Geschichte in Potzlow und jetzt das. Es ist eine Katastrophe. Eine ganze Region in Verruf. Und dieser plötzliche Medienrummel. Im Grunde wurde das alles doch extrem hochgepuscht. Was sollen diese Leute denn machen? Die meisten Menschen hier sind einfache Menschen. Heimatverbundene Kleinbauern, die ein bescheidenes Leben führen. Niemand von ihnen ist es gewohnt, plötzlich ein Mikrofon unter die Nase gehalten zu bekommen, ganz zu schweigen, in eine Kamera zu blicken. Das sind Menschen, die jeden Morgen ihre Hühner füttern und sich über die Kraniche freuen, die im Frühjahr kommen und im Herbst wieder ziehen und vielleicht über den einen oder anderen Touristen, der sich hierher verirrt.“ Freiherr Graf von Wiltberg räusperte sich.

      „Und dann dieses Gerede von einem möglichen zweiten Mord. Ich fürchte, da hat die Presse ein gefundenes Fressen. Warten Sie doch erst einmal die Ermittlungen ab. Dieses Mädchen galt bei den meisten Leuten hier als exzentrisch. Sie war nachweislich mehrmals in der Psychiatrie. Wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben, müssten Sie wissen, dass das Mädchen zweimal zwangseingewiesen wurde, per richterlichen Beschluss. Akute Suizidalität. Es geht mich zwar nichts an, aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, hat sie möglicherweise ihren Freitod ein bisschen inszeniert. Solche bedauerlichen Dinge kommen vor.“

      „Schließen Sie die Möglichkeit aus, dass bei dem Tod des Mädchens irgendwelche rechte Gruppierungen ihre Finger im Spiel hatten? Wurde sie vielleicht bedroht? Immerhin wurden die beiden Täter, die Marinus in Potzlow auf so brutale Weise ermordeten, der rechten Szene zuordnen.“

      „Rechte Gruppierungen? Wie meinen Sie das? Hören sie mir überhaupt zu? Das bedauerliche Ereignis in Potzlow hat hiermit absolut nichts gemein.“

      „Sagt Ihnen der Begriff Esoterischer Hitlerismus etwas? Gibt es nicht gerade in dieser Gegend einige Anhänger dieser verfassungsfeindlichen Bewegung?“

      „Wie bitte?“ Graf von Wiltberg machte seiner Entrüstung Luft, indem er böse mit den Augen funkelte und ruckartig die Beine übereinander warf. „Ich denke, da geht ein bisschen die Fantasie mit Ihnen durch, junger Mann.“

      Winterstein warf einen schnellen Blick auf die Uhr und wusste, dass die Hälfte seiner Zeit bereits verstrichen war. Er musste zur Sache kommen, soviel stand fest.

      „Nun, diese Bewegung glaubt an den Fortbestand des Dritten Reiches und sieht in Hitler ihren Messias.“ Daniel Winterstein hielt kurz inne und musterte den Grafen. Keine Reaktion. „Meines Wissens gibt es auch einige Leute hier in Gerswalde, die sich Reichsdeutsche nennen. Leute, die der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit ihre Legitimation absprechen, weil es ihrer Meinung nach nie eine vollständige deutsche Kapitulation gegeben hat und die Bundesrepublik Deutschland seit der Wiedervereinigung aufgehört hat zu existieren. Sie berufen sich dabei auf den Artikel 146 des Grundgesetzes. Auch der Holocaust wird von diesen Leuten geleugnet.“

      Graf von Wiltberg zuckte mit keiner Wimper, sondern fixierte Winterstein verächtlich.

      „Neuschwabenland? Schon mal was davon gehört?“ Winterstein wies mit dem Kopf auf die große Karte der Antarktis.

      „Ah, darauf wollen Sie also hinaus.“

      Eine feindselige Stimmung lag plötzlich in der Luft. Aber Winterstein ahnte, dass er jetzt nicht zögern durfte.

      „Ich war neulich Gast eines äußerst seltsamen Treffens. Und bei diesem Treffen fiel Ihr Name.“

      „Neuschwabenland ist ein Mythos. Ebenso wie es den Mythos von Hyperborea gibt. Davon wird schon in der griechischen Mythologie berichtet. Sie können gerne bei Wikipedia nachschlagen. Ich interessiere mich gelegentlich für obskure Ideen. Eine Art Hobby. Welchen Hobbys gehen Sie in Ihrer Freizeit nach, Herr Winterstein?“

      „Ich spiele Squash.“

      „Oh, wie interessant.“

      „Finden Sie die Ideologie, die dahinter steckt, nicht ein bisschen gefährlich, Herr Graf?“

      „Als