Dr. Patchwork und die Insekten. Gordon Goh

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Название Dr. Patchwork und die Insekten
Автор произведения Gordon Goh
Жанр Языкознание
Серия WarTimeSaga
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742795625



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erhebt seinen Finger vor mir und will mir jähzornig etwas mitteilen, aber ich lasse es nicht darauf ankommen und rede ihm dazwischen »Ich will Ihnen mal meine Meinung über diese ignorante Denkweise des Menschen erläutern. Ich habe da eine Theorie, was die menschliche Dummheit angeht. Der Mensch war den anderen Spezies auf der Erde gegenüber im Vorteil, weil er intelligent war. Er war so intelligent, dass er sich als Einziger darüber bewusst war, was er seiner eigenen Umwelt antut. Und das war nicht schön und das wusste er auch. Aber der Selbsterhaltungstrieb des Menschen zwang ihn dazu etwas zu entwickeln, das ihn davon abhielt aus Schuldgefühlen seinen Egoismus aufzugeben, den er fürs Überleben braucht. Was er entwickelte war die sogenannte Ausrede und die Rechtfertigung. Alles, was er auf Kosten anderer zerstören musste, um sein Überleben und seine Bequemlichkeiten zu sichern, konnte er sich mit Ausreden schönreden. Aber die Logik machte dem Menschen immer wieder einen Strich durch die Rechnung und erzeugte Widersprüche. Aber auch dagegen hat der Mensch eine geistige Barriere entwickelt, die wir heute Irrationalität nennen. All die schlimmen Dinge, die wir täglich anrichten, die wir uns selbst und unserer Umwelt antun, reden wir uns schön und wenn es uns unlogisch erscheint so zu denken, konstruieren wir irgendwelche Ausreden, wie Männerstolz, Tradition, Patriotismus, Kultur und auch Religion, die uns davor abhalten klar nachzudenken und um so weitermachen zu können wie bisher, um unser Überleben und all den bequemen Luxus vor Vernunft und Schuldgefühle zu bewahren. Das heißt, die Dummheit ist ironischerweise eine Weiterentwicklung der menschlichen Intelligenz. Und deswegen ist der Mensch heute das, was er ist und tut das, was er tut. Er ist eine selbstsüchtige Gedankenmaschinerie, die ihr Überleben auf Kosten natürlicher Schönheit bewahrt, indem er seine Schandtaten mit Blumen und Perlen verziert und Puderzucker über die eigenen Hände verstreut, damit man das Blut nicht herausschmecken kann. Damit der Mensch noch leichter überleben kann, beutet er sogar andere Menschen aus und spaltet sich in weitere Kulturen, Nationen und Religionen auf, um jene ausbeuten oder als Konkurrenten ausrotten zu dürfen. So hat sich Rassismus entwickelt. Es ist ein Nebenprodukt der Dummheit, die wir zum Überleben brauchen. Und das beste Beispiel dafür sind die närrischen Insekten mit denen ich diesen Raum teilen muss. Aber nicht die Plage! Die Plage braucht keinen Rassismus. Sie existiert nicht als Population. Sie existiert als ein Kollektiv, als eine Einheit. Eine Gesellschaft, die perfekt zusammen lebt. Und es existiert auch kein Rassismus, weil es keine Rassen, keine Gruppierungen, keine Minderheiten, keine Diversität in der Plage gibt. Denn sie mutieren so schnell und gezielt und können daher alles sein, was sie sein müssen, um sein zu können. Und deswegen können wir, eine Gesellschaft, die sich noch nicht einmal selbst in Ruhe lassen kann, niemals einen Krieg gegen die Plage gewinnen. Im Gegensatz zu uns, ist die Plage nämlich eine perfekte Gesellschaft.«.

      Gabriel sieht mich mit Erstaunen an und fragt mich »Das klingt ja fast so, als ob Sie die Plage beneiden, Steinberg! Ich meine, Sie empfinden ein bisschen zu viel Sympathie für diese Käfer. Liege ich da richtig?«.

      Ich blicke mit runzelnder Stirn zu ihm hin und antworte mit einer Gegenfrage »Sollte ich lieber Sympathie für eine Gesellschaft empfinden, die mich entweder verachtet, weil ich nur ein halber Jude bin oder nur, weil ich ein halber Jude bin?«.

      Sinclair greift mit den Fingerspitzen nach der Tischoberfläche und sagt zu mir mit gesenktem Kopf »Ich muss Ihnen jetzt mal diese Frage stellen, Steinberg. Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«.

      Ich antworte mit abwendendem Blick »Ich stehe auf der Seite der Menschen, aber ich bin nicht stolz drauf.«.

      Mein Vater mischt sich in das Gespräch ein »Aber du bist doch auch ein Mensch.«.

      Darauf antworte ich mit leichter Verzögerung »Es ist ja nicht so als ob ich mir das aussuchen durfte.«.

      Mein Vater erwidert »Du bist, was du bist! Akzeptiere das!«.

      Ich erwidere wiederum »Die Worte eines beschränkten Mannes! Ja ich beneide die Plage. Wegen ihrer Fähigkeit die Grenzen des Darwinismus trotzen und alles sein zu können, was sie sein will. Kann man mir dafür wirklich Vorwürfe machen?«.

      Esa fängt lachend und lästernd an sich in das Gespräch einzumischen »Ja, das wäre praktisch. Überlegt mal! Dann wird unser Patchwork-Mensch zu einem Nager und kann seine eigene Ratte ficken. Und das wäre dann keine Sodomie.«.

      Man sieht es Ivy nicht an, weil ihr Gesichtsfell ihre Wangen verdeckt, aber an ihrem Gesichtsausdruck erkennt man, dass sie vor Scham errötet und dass es ihr peinlich ist, dass ihr Name nur erwähnt wird, um sie in den Topf der Unzüchtigkeiten zu stecken.

      Nun quatscht Gabriel wieder dazwischen »Jetzt kommt mal wieder runter! Steinberg, auch wenn es Ihnen nicht passt, aber wir sind nun mal Menschen und sind an gewisse Grenzen gebunden. Und ob geistige Ausrede oder nicht. Wir müssen ums Überleben kämpfen und meine Idee sichert uns dieses Überleben. Wir fressen oder werden gefressen. Das nennt man eine Nahrungskette. Die Matrix ist eine potentielle Energiequelle, die wir effizient nutzen könnten. Die Matrix steht in der Nahrungskette unter uns. So ist das einfach. Und die Plage steht uns im Weg. Das ist das Konkurrenzausschlussprinzip. Unser Volk braucht Raum (Hitler, 1938).«.

      »„Hitler, 1938 (Shatner, 1991)! Ich glaube, Sie müssen noch realisieren, dass wir in der Nahrungskette unter der Plage stehen. Die würden uns nur zu gerne in der Kuppel besuchen und fressen. Sie stehen trophisch über uns.« predige ich, während ich mit erhobenem Haupt und aufgerissenen Augen durch die Fensterfassade starre, durch die man eine Aussicht auf die Kolonie hat.

      Sinclair erkennt, wie sehr ich mich mitreißen lasse und versucht mich wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen »Jetzt kommen Sie mal wieder runter, Patchwork, äh ich meine Steinberg!«.

      Ich steige auf den Glastisch und schnappe mir das Wasserglas von Hubble und trinke es aus. Alle starren mich an, als wäre ich blöd, ob wohl sie es selber sind. Dann fahre ich aufrechtstehend fort »Erkennt ihr denn nicht den Goldesel, der vor unserer Haustür steht? Die Plage ist die Antwort auf alles.«.

      Sakurada ergreift auch mal das Wort und versucht mich mit folgenden Worten zu überzeugen »Jetzt machen Sie mal halblang! Das sind bloß dumme Insekten.«.

      Ich schmeiße das Wasserglas. Aber nicht auf Sakurada, weil er Scheiße gelabert und es deshalb eigentlich verdient hätte, sondern auf Sinclair, weil er meine Ratte geschlagen und es deshalb noch mehr verdient hat. Er weicht aus und ich verfehle nur knapp seinen Hohlschädel. Das Glas prallt gegen die Wand hinter Sinclair und zerspringt in viele Scherben. Während mein Vater voller Enttäuschung die Kinnlade runterhängen lässt und den Kopf schüttelt und Ivy und Maria vor Ratlosigkeit und Fremdschämen mit gesenktem Blick sich die Hand vors Gesicht halten, richte ich meinen Zeigefinger auf Sakurada und den Rest dieses Versagervereins und spreche mit röhrender Stimme mein Fazit »IHR SEID NUR DUMME INSEKTEN!«.

      Kapitel 3: Der vitruvianische Dr. Patchwork

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      Abb. 5: SOD-Abzeichen der Antiplage-Forschungsabteilung.

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      Es ist heller Vormittag auf Eden-2 und Sinclair steht noch immer im Konferenzraum vor dem Fenster und sieht 6 Stockwerke nach unten, wo er einen tollen Ausblick auf das Forum vor dem Eingang des SOD-Gebäudes hat. Nur das eiserne Gittertor des Forums trennt das SOD-Gelände vom Bürgersteig und der dahinter liegenden Straße mit all den Wohnblocks, den Filialen und den Fabriken. Links vom Tor aus sieht man die Solar-, die Kern- und die Kohlenstoffkraftwerke. Weiter hinten rechts sind auch die Slums der Kolonie zu sehen. Aber Sinclair steht nicht vor dem Fenster, um sich die Kolonie unter der Kunststoffkuppel anzusehen. Er braucht die Aussicht, um den Anblick zu genießen, wie gerade Adam Steinbergs Hintern von Sicherheitskräften durch die Haupteingangstür geschliffen wird, um ihn unsanft auf das backsteinerne Gelände zu schubsen. Sinclair genießt die Show, während er ein Glas Scotch in der Hand hält und neben den zerbrochenen Glasscherben steht, die wegen Steinbergs Szenario auf dem Boden liegen. Als Reaktion auf die unsanfte Behandlung durch die SOD-Beamten steht Adam vom