Blut für Gold. Billy Remie

Читать онлайн.
Название Blut für Gold
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752923964



Скачать книгу

um ihn erneut zu falten. »Ich dachte, ich würde schon Arbeit finden. Habe ich aber nicht, aber Hunger hatte ich trotzdem. Ich wurde dann beim Stehlen einer Geldbörse erwischt.«

      »Deswegen bist du im Loch gelandet?« Darcar konnte es nicht glauben, Diebe wurden nicht so hart bestraft, ihnen wurden Finger oder eine Hand abgehackt, aber sie wurden nicht verbannt. Nein, hier landeten nur die Kinder von Verrätern, Steuerhinterziehern und natürlich Mördern.

      Elmer hob freudlos die Mundwinkel und blickte Darcar direkt ins Gesicht. »Der Bestohlene verfolgte mich, stellte mich in einer Gasse und bei dem darauffolgenden Handgemenge stieß ich ihn von mir, er fiel hin und brach sich am Bordstein sein Genick.« Er zuckte mit den Achseln. »Sie sagten, es wäre Mord gewesen. Und hier bin ich.«

      Lange sah Darcar ihn an, forschte in seinen hellgrünen Augen. Elmer hielt dem Blick stand, und Darcar wurde immer betroffener. Er wusste nicht wieso, aber er glaubte ihm diese Geschichte, jedes Wort.

      Plötzlich fühlte er sich schlecht, schuldig. Er hatte immer angenommen, dass alle im Rattenloch Verbrecher waren und zu Recht hierhergehörten. Dass nur ihm und Veland Unrecht widerfahren war…

      Elmer stand auf, nahm die Schüssel mit und tauschte sie gegen ein winziges Keramikgefäß, das bereits gesplittert und nur notdürftig mit Ton geflickt worden war. Er öffnete den weißen Deckel, als er zurückkam, und kniete sich auf ein Kissen neben Darcar.

      »Das ist Salbe gegen Wundbrand«, erklärte er. »Rezept meiner Großmutter. Zumindest teilweise, ich habe mich nie an die richtigen Zutaten erinnert, aber wie du siehst, hatte ich nie Wundbrand, also wird es helfen.«

      Darcar nickte nur, plötzlich schwach und müde, konnte kaum die Augen aufhalten, vor allem, als Elmers Finger sanft die Salbe auf seinen Kratzer tupfte. Darcar zog scharf die Luft ein, als das grüngelbe Zeug auf seine Wunde traft, es brannte schrecklich. Ohne zu Zögern beugte Elmer sich hinab und pustete auf den Kratzer, bis es besser wurde.

      Darcar starrte ihn wieder nur an, spürte seinen Atem, seine Wärme, seine Nähe und war ob dieser ein wenig betreten.

      »Wie sieht es mit anderen Wunden aus?«, fragte Elmer trocken, vermied es aber plötzlich, ihm ins Gesicht zusehen.

      »Andere Wunden?« Darcar überlegte. »Nur schmerzende Nieren.« Und unzählige Blutergüsse.

      Ernst sah Elmer ihm ins Gesicht, schien etwas sagen zu wollen, warf dann aber noch einen prüfenden Blick zur Tür. Veland war noch immer nicht zurück, aber sie hörten ihn oben hantieren, Stühle verrücken, Geschirr aus Schränken nehmen.

      »Ich meine…« Elmer nickte auf Darcars Decke. »Blutest du?«

      Verwirrt schüttelte Darcar den Kopf, plötzlich war ihm unwohl. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

      Elmer seufzte. »Hör zu, ich kenne Henning, in Ordnung? Und wenn du verletzt wurdest, dann sag es, das ist wichtig. Du solltest nicht bluten. Nicht … da… das ist sehr gefährlich.«

      Noch immer verständnislos starrte Darcar ihn an. »Er hat mich verprügelt, aber nicht aufgeschlitzt.«

      »Du musst dich nicht schämen.«

      »Ich schäme mich nicht«, gab Darcar zurück, »wofür denn auch?«

      »Zwingst du mich echt, es zu sagen?« Elmer ließ schwer die Schultern hängen, als Darcar ihn nur ratlos ansah. »Es ist kein Geheimnis, dass Hennig ihn nicht in der Hose behält.«

      Da dämmerte es Darcar. Und sein Gesicht verfinsterte sich. »Er hat mich nicht verletzt«, konterte er leise, bedrohlich. Dass Elmer glaubte, dass… Darcar war schockiert.

      Elmer schien nicht überzeugt, er legte den Kopf schief. »Du musst es nicht zugeben, nur … nimm die Salbe, ja?«

      Darcar sah entsetzt zu ihm auf, als er sich erhob und abwenden wollte. »Ich meine es ernst, er hat mich nicht angerührt!«

      Elmer lächelte traurig. »Es ist nicht deine Schuld.«

      Stöhnend strampelte Darcar die Decke von sich, dabei bemerkte er, wie schwach sich seine Gliedmaßen noch immer anfühlten, er brauchte dringend etwas zu Essen, um wieder zu Kräften zu kommen. Nun jedoch musste er etwas beweisen, denn er wollte diesen mitleidvollen Blick nie wiedersehen.

      »Hier!« Er drehte dem verdutzten Elmer den nackten Arsch zu und zeigte ihm seine Unversehrtheit. »Nichts verletzt, kapiert? Oder willst du mit einer Kerze rankommen und genauer hinsehen?«

      Für einen Moment war er so still im Gewölbe, dass sie sogar die Mäuse am Stroh knabbern hören konnten. Dann brach Elmer in schallendes Gelächter aus. Darcar rollte sich wieder auf den Rücken.

      »Also wer mir so unverfroren den blanken Arsch hinhält, schämt sich seiner wirklich nicht!« Elmer gluckste noch immer, schüttelte amüsiert den Kopf.

      Das Lachen des anderen zauberte auch ein Schmunzeln auf Darcars Gesicht. Für einen winzigen Moment lag Sorglosigkeit in der Luft, als ob sie zwei ganz normale fremde Jungen waren, die sich unverhofft auf der Straße begegnet waren und sofort zusammen lachten. Dieser eine wunderbare Moment, da ein Lachen die angespannte Stimmung auflockerte, und man spürte, dass sein Gegenüber gar nicht so übel war, wie man befürchtet hatte.

      »Ich … hab meinen nackten Arsch mal aus der Kutsche gehalten«, erinnerte Darcar sich plötzlich, »und ihn Schulkameraden gezeigt. Magda, unsere Haushälterin, hat ihn mir danach versohlt.« Er lachte auf, als ihn die Erinnerungen überkamen, doch mit ihnen hielt auch Bedauern Einzug. Darcar verlor sein Lächeln, er schluckte und musste seine Tränen zurückhalten. Er hatte Heimweh.

      Elmer wurde still, senkte den Blick. Unbehaglich schob er die Daumen in seinen lockeren Hosenbund, er war drahtig, beinahe mager. Ein heller Streifen Haut wurde über dem Bund sichtbar, fast so weiß wie Milch. »Es wird leichter«, sagte er unaufdringlich zu Darcar.

      Glücklicherweise kam in jenem Moment endlich Veland zurück, etwas schüchtern kam er herein und trug einen schweren, dampfenden Teekessel vor sich her, sehr darauf bedacht, nichts zu verschütten. »Ich habe eine Tasse runter geworfen«, gestand er seine Schuld und schaute traurig zu Elmer auf.

      »Schon gut«, beruhigte dieser ihn und ging auf ihn zu, um ihm die Kanne aus der Hand zu nehmen, er strich ihm über den Kopf. »Geh zu deinem Bruder, ich kümmere mich um den Rest.«

      Darcar streckte die Hand nach Veland aus, packte ihn an seinem weichen Wollpullover und zog ihn fest in seine Arme, erst dann erlaubte er es sich, zu weinen. Sein kleiner Bruder sagte nichts, fragte nichts, wehrte sich nicht gegen die Umklammerung. Er drückte sich an Darcar und war einfach nur da. Und er war alles, was Darcar jetzt noch hatte. Alles, was noch wichtig schien.

      Kapitel 9

      Am nächsten Tag war das Fieber schon wieder etwas gesunken, nur eine leichte Erkältung war geblieben. Darcars Augen brannten etwas und waren glasig, seine Nase triefte und ein leichter Husten hatte sich am Morgen eingestellt. Er musste sich ausruhen, ihm fehlte Medizin und nahrhaftes Essen. Aber er würde nicht sterben, dafür sorgten Elmer und Veland, die ihn trocken und warm lagerten und ihm so viel Tee einflößten, dass Elmer mehrfach täglich die Bettpfanne ausleeren musste. Anfangs hatte Darcar sich noch geschämt, mittlerweile nahm er es wortlos hin.

      »Jetzt schau nicht so, Stadtjunge«, hatte Elmer gelacht, als er seine Scham das erste Mal bemerkte, »jeder Mensch muss pissen und scheißen, das ist nicht wie in Mären, wo der Held mehrere Wochen im Zellenblock sitzt und nicht ein einziges Mal pupst.«

      Veland hatte sich vor Lachen nicht mehr halten können, das war natürlich genau sein Humor. In ihrem Elternhaus hatte niemand jemals gewagt, offen über Notdürfte zu sprechen.

      Darcar musste selbst schmunzeln. Elmer war anders als sie, kannte keine körperliche Scham, in vielen Dingen war er rauer, auch wenn man ihm das nicht ansehen mochte. Er war sehr schlank gebaut, aber seine Oberarme strotzten vor steinharten Muskeln, wenn auch recht unaufdringlich. Ein typischer Landjunge, wenig zu essen, aber viel harte Arbeit, die