Spannung und Textverstehen. Philip Hausenblas

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Название Spannung und Textverstehen
Автор произведения Philip Hausenblas
Жанр Документальная литература
Серия Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823300632



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kognitionsbasierte Theorien verschiedener Disziplinen die Prototypikalität in ihren Ansätzen integrieren, übernehmen sie zentrale Gedanken der Prototypentheorie, wie sie von Rosch beschrieben werden. So hebt Barsalou explizit hervor, dass es sich bei einem Wissensrahmen und den damit verbundenen Elementen nicht um eine Konjunktion unverzichtbarer Bestandteile handelt. Vielmehr handelt es sich um Elemente, die nicht alle gleichermaßen realisiert sein müssen. Das führt dazu, dass wissensbasierte Instantiierungen durch perzeptuelle Stimuli korrigiert werden können. (Siehe dazu Absatz 4.) Durch die Adaption des Prototypenbegriffs wird zugleich die Annahme der kulturabhängigen bzw. relativen Intersubjektivität als tragende Säule in den Theoriekomplex installiert, die Barsalou daran erläutert, dass eher Menschen aus Ländern Katalysatoren (smog device) in ihrem Wissen über Fahrzeuge aufnehmen sollten, in denen diese üblich sind.28 Diese stillschweigend vorausgesetzte Annahme der Intersubjektivität schimmert auch in Minsky’s Frame-Theorie als einem Common-Sense-Ansatz durch, er beschreibt seinen Ansatz auch als eine Theorie des everyday bzw. ordinary thinking.29 Darüber hinaus erlaubt es der Prototypikalitätsgedanke, das Verhältnis zwischen Rahmen und den Elementen auf einer Prototypikalitätsskala abzubilden. Bei einer Zugfahrt würde der Kauf eines Tickets oder das Einsteigen in das Fahrzeug zu den zentralen Elementen zählen. Als optionales und eher periphereres Rahmenelement käme zum Beispiel der Erwerb einer Zeitung am Bahnhofskiosk in Frage.30 Die zentralen Elemente eines Rahmens nennt Barsalou strukturelle Invarianten.31

      Rahmenwahl, Rahmenverwerfung und der sensorische Input. Ebenso wie wissensbasierte Instantiierungen von Leerstellen durch sensorischen Input korrigiert werden können, muss sich die Wahl eines Rahmens an der Realität messen lassen. Das Auftreten einer Anomalie kann sich als ein Indiz dafür entpuppen, dass der gesamte Rahmen unpassend gewählt ist bzw. dass der Wissensrahmen sich für die Integration der sensorischen oder textuellen Daten als inadäquat erweist. Das kann zum Beispiel zu einer von Minsky beschriebenen Spezialfallanpassung führen. Die Daten werden dabei von einem spezielleren Rahmen akkommodiert, der eine geringfügig abweichende Konfiguration der Informationen erlaubt. Eine solche Spezialfallanpassung veranschaulicht Minsky am STUHL-Rahmen. Dieser kann in einen SPIELZEUGSTUHL-Rahmen überführt werden, wenn eine Anomalie auftritt wie zum Beispiel eine Abweichung von der prototypischen Größe. Sollte sich ein Stuhl als wesentlich kleiner erweisen, so kann der STUHL-Rahmen mit einem SPIELZEUG-Rahmen korreliert werden, was zur Konstruktion eines SPIELZEUGSTUHL-Rahmens führt. Sollte keine Möglichkeit der Anpassung gefunden werden, so kann der vollständige Rahmen verworfen werden oder es können neue Rahmen konstruiert werden, bei denen Bestandteile bereits vorhandener Rahmen rekrutiert und in einem amalgamierten Wissenskomplex zusammengeführt werden. Bei inadäquater Rahmenwahl bieten sich dem kognitiven System also verschiedene Möglichkeiten zu reagieren, die die Kompatibilität zwischen Rahmen und sensorischen Daten anstreben.32

      Füllwertkompabilität, Selektion, Füllwertrestriktionen bzw. kontext-sensitive oder bedingte Prototypikalität (auch variable constraints).33 Elemente eines Wissensrahmens müssen miteinander kompatibel sein. Um dies zu gewährleisten, gibt es bestimmte Selektionsbestimmungen für Füllwerte, die dazu führen, dass sich epistemische Einheiten rahmenintern beeinflussen.34 In einem SCHREIBEN-Wissensrahmen würden prototypischerweise PAPIER als Material und STIFT als Instrument ergänzt werden. Würde sich allerdings eines der beiden Elemente aufgrund des sensorischen oder textuellen Inputs ändern, so würde es zu einer alternativen Sättigung der jeweils anderen Leerstelle führen. Setzt man zum Beispiel TAFEL als Material ein, so würde KREIDE als Instrument instantiiert werden und umgekehrt, der Füllwert einer Leerstelle beeinflusst also den Füllwert einer anderen.35 Barsalou beschreibt diese rahmeninterne Beeinflussung am Beispiel von Transportmitteln. Mit steigender Geschwindigkeit erhöht sich der Preis. Zwischen Geschwindigkeit und Kosten besteht also eine rahmeninterne Beeinflussung.36

      Statische und dynamische Rahmen. In der Literatur wird zwischen statischen und dynamischen Rahmen unterschieden. Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass keine zeitliche Dimension involviert ist, während dynamische Rahmen ohne diesen zeitlichen Aspekt auskommen.37 Ein Beispiel für einen statischen Rahmen ist ZIMMER mit seinen prototypischen Elementen WAND, FENSTER, DECKE, BODEN, MÖBEL. Bei statischen Rahmen spielt die zeitliche Dimension keine Rolle. Daneben gibt es dynamisch strukturierte Wissensrahmen. Sie repräsentieren Handlungs- und Ereignisfolgen und werden Scripts genannt. Das klassische Beispiel ist das RESTAURANT-Skript, das sich aus der Perspektive des Gastes in verschiedene zeitlich und kausal aufeinander folgende Handlungen gliedert wie EINTRETEN, TISCH WÄHLEN, PLATZ NEHMEN, KARTE LESEN etc., die zum Teil in weitere Teilhandlungen zerlegt werden können. Dabei sind häufig auch Objekte, d.h. statische Elemente involviert wie TISCH, KARTE, SERVIETTEN. Prototypische Abläufe können in der Regel aus verschiedenen Perspektiven beschrieben werden. Neben dem Gast können zum Beispiel der Koch, der Kellner oder der Besitzer ins Zentrum der Handlungsfolge rücken. Dadurch können sich alternative Handlungsabläufe ergeben, die mit diesen zum Rahmen gehörenden Rollen verbunden sind.38 Zusätzlich gibt es verschiedene Spezialfälle wie den Besuch in einer Cafeteria oder in einem Imbiss, die eine Variation sowohl des zugrunde liegenden Ablaufs als auch der involvierten statischen Elemente darstellen.39

      Universelle Anwendbarkeit. Dass sich Wissensrahmen zur Beschreibung statischer und dynamischer Entitäten anbieten, hebt ihr universelles Beschreibungspotential hervor. Deutlich wird dies auch durch die Aufzählungen verschiedener Autoren. Rumelhart nennt Objekte, Situationen, Ereignisfolgen, Aktionen und Aktionsfolgen.40 Van Dijk nennt daneben Personen, Rollen, Handlungen, Konventionen, Normen.41 Minsky beschreibt zusätzlich sprachbezogene Rahmen, die unter anderem grammatische Aspekte und den Aufbau von Geschichten einschließen.42

      I use the word scene in a maximally general sense, including not only visual scenes but also familiar kinds of interpersonal transactions, standard scenarios defined by the culture, institutional structures, enactive experiences, body image, and, in general, any, kind of coherent segment of human beliefs, actions, experiences or imagings.43

      Abstraktionsgrade von Schemata. Rumelhart und Ortony unterscheiden zwischen spezialisierten und generellen Schemata. Erstere unterstützen das effiziente Zuordnen von Variablen in kurzer Zeit. Generalisierte Wissensrahmen eignen sich dazu, eine große Anzahl verschiedener Datenpotentiale zu subsummieren und zu verarbeiten. Demnach könnte das Wissen ein allgemeines Konzept für WERFEN beinhalten, dass eine Spezialisierung erfährt, sobald man es auf ein Dartspiel anwendet. Dort wird WERFEN hinsichtlich der Wurftechnik spezifiziert,44 die anders ausfällt als zum Beispiel beim Diskus- oder Waschmaschinenwerfen. Der Abstraktionsgrad ergibt sich relativ zu anderen Konzepten, sodass ein Konzept im einen Fall als abstrakter gilt und im anderen Fall als spezieller. WERFEN zum Beispiel wäre ein Spezialschema von BEWEGUNG.

      Weitere Beispiele für abstrakte Konzepte sind die thematischen Rollen, die unter anderem fest etablierte umfassen wie Agentiv, Instrumental, Lokativ etc.45 Sie werden nicht als idiosyncratic verstanden, es handelt sich um Rollen, die in einer großen Anzahl von Situationen zum Tragen kommen.46 In der Regel werden sie in verbzentrierten Ansätzen untersucht im Zusammenhang mit syntaktischen Strukturen. Der Kognitionslinguist Evans beschreibt diese Rollen als Leerstellen auf Satzebene.47 Neben intrasententialen Ansätzen greifen auch Studien zu transphrastischen Zusammenhängen auf diese Leerstellen zurück und zeigen, wie sie Satzgrenzen überschreitend gefüllt werden können (siehe zum Beispiel die indirekten Anaphern von Schwarz in Absatz 4.2.2). Von semantischen Rollen grenzt Evans participiant roles ab, die spezifischer sind und die auch mit Verben verbunden sind. Im RESTAURANT-Wissensrahmen wären dies zum Beispiel die Konzepte KELLNER, GAST, ESSEN etc. Thematische Rollen besitzen einen allgemeineren Status als diese Wissenselemente.48

      Zum allgemeinsten und abstraktesten Wissen gehören auch Metaannahmen über kausale Zusammenhänge auf Ereignis- und Handlungsebene. Darunter könnten Wissensbestände fallen, die besagen, dass Handlungen Ziele verfolgen, dass alles eine Ursache hat, dass die Welt konstant bleibt und weitere logische, zeitliche etc. Zusammenhänge. (Welche Rolle dieses Wissen bei der Textrezeption spielt, wird in Absatz 4.2.2 bis 4.2.4, in Unterabschnitt 4.3.2, in Kapitel 5 und in Teil III deutlich.)

      Quellen des Wissens und Expertise. Schemata ergeben sich aus Erfahrung. Aus einer Vielzahl