Terra matta. Alberto Nessi

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Название Terra matta
Автор произведения Alberto Nessi
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038550464



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ein Fest. Oder aber sie warteten im Freien, längs der kleinen Strasse, an die Mauer gelehnt, die Pfeife rauchend, währenddem Graziosos drei Töchter herunterkamen, um zuzuschauen und ein wenig zur Hand zu gehen.

      Er kam mit den Waffen, einem Säcklein Bleikugeln und zwei Schüsseln Pulver, die er auf die Theke stellte. Diejenigen, die ein Gewehr hatten, luden es.

      Er wollte, dass auch Grazioso ihm seines gebe, und begann zu lachen, weil der Wirt Ausflüchte machte: Aber! Wo sie doch sogar die Gewehre von den Gemeinden hätten!

      Also zog Grazioso seine alte Feuersteinknarre vom Mili­tär hervor. Und der Zug machte sich auf den Weg.

      Nach dem Tag in der Ziegelbrennerei von Sant’Antonio war Quartin in den Stall eines Nachbarn gegangen, um ein wenig zu plaudern, als um die acht herum einer völlig ausser Atem hereinkam und sagte:

      «Rennt, rennt! Da sind ganz viele, die Zeug holen gehen beim Marnetta!»

      Als er in Gorla anlangte, sah Quartin vor Angiolinas Wirtshaus einen grossen Auflauf. Es waren wohl um die zweihundert gewesen, einige mit geschultertem Gewehr, andere mit einem Stock oder einer Hacke, dazu ein paar Neugierige, die hergekommen waren, um zu schauen, was zum Teufel da gespielt werden sollte.

      Er erkannte Matto aus Vigino, bei dem während des Nachtessens der jüngere Mattirolo plötzlich den Kopf in die Küche gestreckt hatte, um ihn zu fragen, ob er einen Halben mit ihm trinken komme; zahlen werde er. Da war auch Ventura, dem der Scherer eben den Bart rasiert hatte, weil’s Samstag war, ferner Cavallasca, der in einem solchen Durcheinander nie fehlte, und Rossinelli aus Coldrerio mit einer Knarre, geladen mit Amselschrot.

      Er sah auch Legría und Giacinto, die nach der Arbeit in der Ziegelbrennerei die Brüder Dones getroffen hatten. Sie waren bewaffnet und hatten sich ihnen angeschlossen bis Balerna, wo der Friedensrichter vergeblich gerufen hatte: «Zurück, zurück! Das ist euer Abend nicht! Geht nach Hause!» Er erkannte Giuseppe, der seine Geliebte in Gorla hatte und voll Bange war um sie; er traf Marco Solcà, den man später dabei beobachtete, wie er sich schleunigst davonmachte zum Hause des Pächters des Herrn Matti aus Chiasso, um ihm zu berichten von dem, was sich gerade ereignete. Und alle grüssten sich, klopften sich mit der Hand auf die Schulter, es war ein grosser Rummel.

      In der Wirtschaft, die von einer Laterne und dem Kamin­feuer erhellt war, ass jemand Kuttelsuppe, andere unterhielten sich und tranken dazu einen Becher Wein, wieder andere schliesslich waren verlegen oder aufgeregt.

      Der Wirt hatte viel zu tun und ging hin und her mit dem fiasco und den Bechern. Mit einem Ohr hörte er den Gesprächen der Männer zu, die, wie es schien, die Revolution machen wollten. Er war es gewesen, der den Spion Solcà benachrichtigt hatte, welch letzterer nach einer gewissen Zeit wieder auftauchte und sich von neuem der Gesellschaft anschloss, als sei nichts gewesen.

      Überall hatte es welche, im Hof des Wirtshauses, unterm Vordach, draussen auf der Strasse; sie lehnten sich gegen den Stall und sassen auf den Mäuerchen. Weitere stiessen noch zu ihnen, andere verschwanden, tauchten wieder auf.

      Einer schwang eine Axt und rief dabei:

      «Gehen wir die Türen der Weinkellerei von Capolago einschlagen, um zu trinken!»

      Nun waren es an die dreihundert.

      Mattirolo feuerte einen Schuss ab in die Luft, in der Hoffnung, die Gefährten Waldarbeiter würden es hören, ebenso die Kärrner aus dem Muggiotal, die sich zu dieser Stunde gewiss schon in die Ställe eingeschlossen hatten, um sich etwas aufzuwärmen, zu plaudern und zu dösen, während ihre Frauen Hanf und Leinen spannen.

      Dann fragte er die Bande, wo man hingehen wolle: Mar­netta, den wollten sie lieber in Ruhe lassen; er war nur ein Einzelner und ausserdem war auch er ein armer Teufel mit Frau und Kindern, die erschrecken würden. (Doch Mar­netta war schon nach Mendrisio gegangen, um Gewehre zu holen, und er hatte seine Männer rings ums Haus aufgestellt, nachdem er die Säcke in die Meierei und in die Kirche von Villa hatte bringen lassen.)

      Nach Chiasso? Lohnte sich gar nicht, davon zu reden.

      Da griff Moscianella in die Debatte ein. Er hatte den lieben langen Tag Wagen voll Ware nach Capolago geschafft. Und Mattirolo: «Hört, liebe Freunde! Gehen wir nach Capolago, wo es so viele Herren hat, die wir ausplündern können, solche, die den Mais auf dem Boot wegführen lassen, aus dem Bezirk hinaus.»

      Die Menge setzte sich in Bewegung.

      Der Anführer versuchte zusammen mit seinen Helfern ein bisschen Ordnung ins Ganze zu bringen: «In Vor- und Nachhut die mit einem Gewehr, die mit den Stöcken in die Mitte! Und wehe dem, der irgendwem etwas zuleide tut oder in irgendeinen Laden in Mendrisio eindringen will – ich brenne ihm eins auf den Pelz! Wir müssen leise durch den Ort gehen. Pfeifen aus und Maul zu! Besser immer zwei und zwei auf dem Weg!»

      Ein hinkender Papiermacher aus Vacallo bildete das Schluss­licht.

      Auch Kinder waren dabei; sie liefen im Dunkeln hin und her. Als der Schuster seinen Buben unter ihnen fand, versetzte er ihm zwei Tritte in den Hintern, nahm ihn bei der Hand und schleppte ihn nach Hause. Das war kein Abend für Kinder, dieser nicht.

      «Und die Wagen? Die Säcke?»

      «Wir werden die Säcke schon aufstöbern. Wir wollen einzig die Ware beschlagnahmen, dann werden wir sie durch die Regierung an die Bedürftigen verteilen lassen.» Um die Wankelmütigen zu überzeugen, zog Mattirolo ein Papier aus der Tasche und erklärte, dies sei der Befehl des Kommissärs. Der grösste Teil konnte ohnehin weder lesen noch schreiben und vertraute ihm.

      Während in der Wirtschaft «Del Giardino» zu Mendrisio das samstägliche Kartenspiel tresette zwischen dem Spezereihändler, dem Kaufmann, dem Anwalt und den Brüdern Beroldingen in vollem Gang war, platzte im Eilschritt der Amtsdiener des Regierungskommissärs herein und schlug Alarm: ein Schreiben aus Chiasso sei eingetroffen, das von Unruhen spreche, und Marnetta sei aus Villa gekommen, um Hilfe zu erbitten. Die Honoratioren verharrten im ersten Augenblick völlig sprachlos mit ihren Karten in den Händen, dann fassten sie sich und trafen ihre Vorkehrungen.

      Beroldingen übernahm am Tor des Fleckens das Kommando über die Landjäger. Dort hatten sich auch der Bürgermeister Soldini eingefunden, der Hufschmied Pedroni mit der Trommel, der Kaufmann Terraneo, ferner zwei oder drei junge Leute, alle bewaffnet. Die anderen, die gegen Villa weiterziehen wollten, vernahmen nach einem kurzen Wegstück Stimmengewirr und das Getrampel von zoccoli und Schuhen in der Nacht. Und dann sahen sie sie:

      «Sie kommen, sie kommen!», riefen die Brüder Boffi. Einer von beiden, der Gemeinderat, war den ganzen Nachmittag im Weinkeller gewesen und liess betrunken seinen Säbel sausen, trat vor und rief:

      «Wer da?»

      «Gute Freunde.»

      «Wer sind diese guten Freunde?»

      Einer trat vor: Sie wollten lediglich durchziehen durch Mendrisio. Doch der Gemeinderat beharrte darauf, dass man da nicht durchziehe: «Ich lasse euch einlochen, Hundesöhne!» Die drei drohten damit, alles in Brand zu stecken, und kehrten zu ihren Kameraden zurück.

      Da feuerte ein Bursche vom Tor her den ersten Schuss ab, der Metzgergeselle legte das Gewehr an und schoss ebenfalls, doch blieb ihm keine Zeit mehr, neu zu laden, denn ein Schuss aus der Pistole von Mattirolo, der genau in dem Augenblick von der Mauer eines Guts an der Stras­se heruntergesprungen war, durchlöcherte die Krempe seines Hutes.

      Die Glocken begannen Sturm zu läuten, und der Hufschmied schlug auf seine Trommel, so heftig er nur konnte. Und nun war auch schon der ganze Ort auf den Beinen: schreiende Kinder, Köpfe, die gegen die Fensterläden press­ten, um etwas zu erspähen, Männer, die aufrecht und mit gespitzten Ohren im Bett sassen.

      «Wir sind Bürger wie ihr. Wir wollen nur durchziehen!»

      «Wir wollen Brot!»

      «Wir wollen polenta!»

      «Wir haben Hunger!»

      «Wenn wir sterben müssen, dann sollen die Herrschaften auch sterben!» Und von der anderen Seite:

      «Schickt