Terra matta. Alberto Nessi

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Название Terra matta
Автор произведения Alberto Nessi
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038550464



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und italienischen Wäldchen, stellten ihre Körbe auf den Boden; die Frauen breiteten ein Tuch aus und verteilten die Esswaren; die Männer sicherten den fiasco, die grosse Korbflasche, mit einem Stein, und dann setzten sie ihn sich an die Lippen, die noch feucht waren vom Kuss, den sie den Füssen der Jungfrau aufgedrückt hatten und so die Worte des Psalmis­ten bestätigten, wie der Pfarrer aus Moltrasio gesagt hatte in seiner Predigt: «Dienet dem Herrn in heiliger Fröhlichkeit!» Ob es wohl so ist, das Paradies, mit einem fiasco, Brot mit etwas darauf und einer Frau unterm Haselstrauch?

      Auf der Tessiner Seite gingen die Gespräche vom frühen Morgen weiter unter den Männern, die im Gras ausgestreckt dalagen und die Fliegen vom Schnurrbart verscheuchten, während die Kinder in ihre Pfeifchen bliesen.

      Die Frauen waren die Ersten, die sich wieder auf den Weg hinunter machten, das Messbuch in den Händen, in welches sie das Bildchen der Madonna gesteckt hatten; sie wollten es über das Bett hängen oder in den Stall, um die Kuh zu beschützen, oder in die Seidenraupenzucht, damit die Raupen nicht den Kalkbrand erwischten und zu klebrig-faulem Brei würden durch den Donner.

      Nachdem das Fass des Pfarrers Maderni – er war der Pfarrer von Morbio Sopra, bei dem zu Hause sich zweimal pro Woche der Spezereihändler aus Balerna, der Arzt aus Castello und zwei Pfarrherren aus Caneggio trafen, «um die Gegenrevolution zu planen» – geleert war, stimmte einer von den Frommen das Lied vom Spazzacamino, vom Kaminfeger, an. Der Sohn des Professore blies zur Begleitung das Kornett.

      Es bildete sich eine Gruppe von etwa vierzig Personen. Innocenzo, der Kirchendiener, ein Bruder des Kornettspielers, hatte sich auf den Rücken des Maultieres geschwungen.

      Betrunken machten sie sich auf den Weg über die hohen Alpweiden voller Sonne. Dann teilten sie sich in zwei Kolonnen auf, und einer begann zu rufen:

      «Nieder mit den Liberalen! Zu Tode!»

      Es war einer von den Schwarzen aus Caneggio, von denen, die vor ein paar Jahren vom Kirchturm herunter auf die Liberalen geschossen hatten, die sich versammelt hatten, um den Wahlsieg zu feiern, bevor sie die verräterische Urne verschleppten und sie in die Schluchten der Breggia warfen.

      Jetzt gab es ein wildes Singen und Lärmen:

      «Hoch die Schwarzen – sie sind die Besten!»

      Die Camponovo aus Torre ob Mendrisio stimmten ein Lied an, das lautete: «Du kannst mir das Leben, die Ehre wieder geben», und bei der zweiten Strophe war Gamba­rón bereits zu Boden gesackt, völlig betrunken. In diesem Moment aber zogen ein Papiermacher aus Chiasso, Barbee genannt, und ein Pächter aus Mezzana, der auf einem Auge fast blind war, ihre schwarzen Halstücher aus und banden sie an ihre Stöcke. Die Menge setzte sich wieder in Bewegung, hinter den beiden her, die stöckeschwingend riefen:

      «Es lebe unsere Fahne!»

      Doktor Catenazzi stimmte mit voller Stimme an:

      «Unsere Fahne flattert nicht umsonst …»

      Und Barbee, mit glühendem Blick:

      «Du bist schwarz, bald wirst du blutrot sein.»

      Bei Sella waren der Hauptmann Bulla aus Cabbio, der mit seiner Frau von der Kirchweih kam, der Pfarrer von Vacallo und einer, der den Herrschaften den Proviant trug. Als sie die Kampfrufe und Gesänge hörten, hielten sie an.

      Wie nun die Bande die Lichtung erreicht hatte, erteilte Bulla den Rädelsführern den Befehl, die Fahne zu senken, doch sie schwenkten sie ihm direkt vor der Nase herum, ihm, dem Hauptmann und seiner teuren Verfassung.

      Da stürzte er sich auf den Camponovo und entriss ihm den Stock samt dem schwarzen Tuch.

      Es begann Stockschläge zu hageln, alle schrien und rannten herbei und schlugen drauflos. Im Gemenge zückte Batarèll, ein Pächter mit einer tiefen Narbe auf der Wange, sein Stellmesser und rammte es dem Pfarrer von Vacallo in den Bauch. Darauf machte er sich in Richtung San Martino aus dem Staube: der liberale Pfarrer brach blutüberströmt zusammen.

      Zwei, die herbeigeeilt waren, um ihm zu helfen, bekamen ein paar weitere Messerstiche ab und blieben, sich vor Schmerzen windend, auf dem Wege zurück, während Mene­ghino Barbón gesehen wurde, wie er eine Messerklinge im Gras putzte und dann floh.

      «O wir Armen! Sie streiten schon wieder …», schluchzten die Frauen.

      Andere dagegen antworteten denen, die nach dem niedergestreckten Pfarrer fragten:

      «Soll er sich aufhängen, der Don Antonio! Soll er verrecken, der Don Antonio!»

      Weiter unten, auf dem Hügel von San Martino, lag der Landjäger Carlo Casartelli aus Chiasso, genannt Balín, in Hemdsärmeln und mit dem Gesicht auf dem Boden im Unterholz, die Füsse auf dem Saumpfad, voller Blut.

      An seiner Seite versuchten ein paar Frauen, die von der Kirchweih heruntergestiegen waren, seine Wunden mit Taschentüchern zu stopfen und ihn zum Sprechen zu bringen. Doch Balín sagte gar nichts mehr. Eine hob seinen weissen Hut auf, der ins Farnkraut gefallen war.

      Nach den Tätlichkeiten bei Sella, die mit der Verwundung der drei Liberalen geendet hatten, war Balín den ausser Rand und Band Geratenen nachgelaufen, hatte sich an den alten Camponovo herangemacht und ihn mit dem Stock herausgefordert:

      «Los, auf mich, wenn es noch richtige Schwarze gibt!»

      Die beiden hatten miteinander gerungen und sich zwischen den Baumstämmen gewälzt. Man hatte Hilferufe vernommen und gehört, wie die Töchter des Camponovo jammerten: «Jesses, mein Vater …!», währenddem einige weitere aus der Schar atemlos und betroffen hinzutraten. Nachdem die Messer und Rebsicheln gezückt worden waren, hatte hinten jemand gehetzt: «Gib’s ihm! Gib’s ihm!», bis man dann Balín mehrmals hatte schreien hören und Camponovos Leute entgeistert mit ihren Frauen in Richtung Morbio auf und davon gestürzt waren.

      Am Abend wurde Balíns Leiche auf einer Leiter in die Kirche von Sant’Anna gebracht.

      Als die Nachricht von den Vorfällen am Monte Bisbino durch die Dörfer gegangen war, beeilten sich die Liberalen, ihr Gewehr zu holen: in Mendrisio überfielen sie das Haus der Camponovo und richteten den Alten übel zu, indes die vier Brüder schon auf der Flucht in Richtung Grenze waren, um sich in Sicherheit zu bringen. In Vacallo banden die Brüder Luigi und Antonio Pagani, die man Mattirolo nannte, sich ihre Stoffschuhe um die Füsse, schulterten das Gewehr, riefen ihre Getreuesten zusammen und machten sich davon, auf die Suche nach den Pfarrern des Muggiotals.

      Der Pfarrer von Bruzella, Don Clericetti, der vor dem Mittag in seiner Küche überrascht wurde, versuchte, sich zu verteidigen, doch wurde er von Luigi Pagani mit einem Gewehrschuss niedergestreckt. Er starb noch in derselben Nacht.

      Die Pfarrer von Caneggio und von Morbio hielten es für ratsam, sich im freien Feld zu verstecken, wurden jedoch aufgestöbert und nach Chiasso verbracht, wo die Menge, die auf den Platz geströmt war, ihnen das Fell über die Ohren ziehen wollte, und Balíns Witwe, von ihren fünf Söhnen umringt, gestikulierte völlig ausser sich und wollte sich auf die Pfarrer werfen, wobei sie schrie, man solle sie ihr überlassen; sie werde ihnen schon das Herz aus dem Leibe reissen, um es ihren Kindern zum Essen zu geben:

      «Tod den Schwarzröcken von Morbio!»

      Tags darauf machten sich die Brüder Mattirolo, nachdem sie Balín das letzte Geleit zum Friedhof gegeben hatten, auf nach Morbio, fest entschlossen, ihren Rachezug fortzusetzen.

      Sie hatten die Schlucht des Ghitello passiert, da stiessen sie völlig ausser sich auf die ersten Häuser von Morbio Sotto, wo bei der Kirche von San Rocco die Liniensoldaten einquartiert waren, die die Regierung abgeordnet hatte, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, setzten über eine Hecke und sahen eine Gestalt die Strasse überqueren, einen, der gegangen war, den Soldaten einen Korb Brot zu bringen.

      «Da ist er, da ist er!» Antonio Pagani legte blitzschnell seine Doppellaufbüchse an und liess den Schuss knallen, als wäre er beim Scheibenschiessen. Der Verletzte liess den leeren Korb in dem sonnenbeschienenen Engpass zu Boden fallen, tat, die Hände auf die Brust gepresst, noch ein paar Schritte, torkelte in die Spinnerei Peverelli und brach zwischen den Seidenraupen